- Kapitel 3 -

Familie

   Link spürte einen Blick. War es sein Instinkt, der den Blick gespürt und ihn aufgeweckt hatte? Eigentlich war er sich nicht ganz sicher, ob er wirklich einen Blick spürte. Und jetzt, da er im Halbschlaf; doch noch etwas zu müde um sich auch nur irgendwie zu bewegen; nachdachte, war er sich nicht einmal sicher, ob es nicht mehrere Blicke waren. Aber es war ihm momentan egal. Wie gesagt, er war müder als zuvor, schlief noch halb – und fühlte sich absolut wohl. Kafei’s schützende Wärme war schöner als alles, was er je gespürt hatte. Nicht, dass er je viel mehr gespührt hatte als den Kontakt mit Gegebenheiten seiner Umgebung und diversen Kreaturen, beziehungsweise auch sehr schmerzhafte Magie – aber von allem das nicht unangenehm gewesen war, war diese Wärme wohl das Schönste. Nun wusste er, dass ihm tatsächlich die Geborgenheit von Eltern fehlte – oder zumindest ein großer Bruder. Und er dankte Kafei für sein Verständnis und seine bedenkenlose Fürsorge.

   Langsam wurde das Gefühl, beobachtet zu werden, doch etwas unangenehm. Er spürte zwar, dass Kafei noch schlief – oder zumindest fühlte es sich so an – aber es musste wirklich noch jemand im Zimmer sein. Vielleicht tatsächlich am Fuße ihres Bettes. Kafei’s Hände an seinem Hinterkopf und seiner linken Schulter, die Wange wischen der oberen Hand und seiner an ihn geschmiegten Stirn, machten die Annahme jedoch unwichtig. Er wollte einfach nur wieder weiterschlafen. Obwohl nun, dank seines Nachdenkens, ein Hungergefühl in seinem Magen wuchs. Und dann bestätigte sich seine öde Vermutung. Er hörte, wie sich leise Schritte vom Bett entfernten. Auch hörte er, dass es zwei Personen waren. Die eine stattlicher als die andere. Aber es waren definitiv weibliche Schritte. Der Trägheit der schwereren Schritte nach zu schließen, war es Madame Aroma. Die anderen erkannte er nur zu gut als Anju’s. Die Tür wurde vorsichtig leise geöffnet und wieder geschlossen.

 

   „Jemand sollte mich mal photographieren.“, schlagartig standen Link’s Augen sperrangelweit offen, als Kafei flüsterte. „Ich wüsste echt zu gerne, ob Frauen nur finden, dass ich – süß – aussehe, wenn ich – vortäusche zu – schlafen, oder ob ich es wirklich tue. Und nein, ich hätte kein Wort gesagt, wenn ich nicht gemerkt hätte, dass du dasselbe getan hast.“, Link entfernte sich ein klein wenig von ihm und starrte ihn an. „Guten Morgen.“, lächelte Kafei und gab ihm einen Kuss auf die haarüberdeckte Stirn. „Was Nettes geträumt?“

   „Um ehrlich zu sein, ich hab ein blaues Huhn vor einem grausamen Schicksal durch ein Folterexperiment bewahrt und Anju’s Schwester gebracht. Sie war überglücklich – und ich auch irgendwie.“

   „Du kannst es echt nicht lassen.“, gluckste Kafei.

   „Anscheinend nicht.“, seufzte Link und kuschelte sich wieder zurück.

   „Vielleicht sollte ich meinen ersten Sohn nach dir benennen.“, überlegte Kafei.

   „Ja, ja. Sicher. Mach nur.“, grummelte Link.

   „Hunger?“

   „Und wie.“, gähnte der Junge. „Aber ich mag nicht aufstehen.“

   „Mmm. Geht mir genauso.“, raunte Kafei ebenfalls gähnend. „Aber ich kann sagen, dass das bei mir zumindest normal ist.“

   „Was haben sie sonst noch so gedacht?“

   „Nicht viel. Du würdest mich eh erschlagen, wenn ich dir das sage.“

   „Jetzt erst recht.“, horchte Link auf.

   „Und jedes weibliche Familienmitglied extra, da ich so hinterhältig bin und ihre Gehirne anzapfe.“

   „Sag schon.“

   „Mutter findet deine Haare – zum Knuddeln.“

   „Was?“, fauchte Link und drängte sich, wenn auch nicht ganz wollend, ungläubig von Kafei weg. „Was ist bitte an meinen Haaren – “

   „Hab nicht ich behauptet.“

   „Die sind grauenhaft! Hätte ich die Mütze nicht, würden sie in alle erdenklichen Richtungen stehen!“

   „Das ist es ja vielleicht sogar.“

   „Und wie bitteschön hat sie überhaupt viel von meinen Haaren sehen können?“

   „Frag mich nicht.“, seufzte Kafei und Link’s Magen gab ein eigenartiges Geräusch von sich. „Aber ich denke, es wäre besser, wenn wir aufstehen.“, fügte er kichernd hinzu und kletterte aus dem Bett.

 

   Link sah ihm dabei zu, wie er die Augen zusammenkniff und die Arme bis ins Unmögliche schräg nach oben von sich streckte. Dann ließ er sie in den Nacken sinken, öffnete die Augen wieder und ging um den Vorhang herum, um sein Festgewand wieder anzuziehen. Link setzte sich im Schneidersitz auf, fiel aber sogleich wie ein Gorone nach vorne und vergrub das Gesicht schnaufend in der Decke. Noch einmal tief durchatmend richtete er sich auf und stieg ebenfalls aus dem Bett. Momentan wurde es ihm so kalt, dass er gegen den Gedanken kämpfte, sich wieder zurück ins Bett zu kuscheln. Aber es half nichts.

   So breitete er die verschiedenen Kleidungsstücke auf dem Bett aus und überlegte, welche ihm gefielen. Manche waren ikana’scher Herkunft, andere erkannte er als typisch hylianisch. Er hörte, wie Kafei etwas zu sich selbst murmelte, das er nicht verstand. Und es lag ganz sicher nicht an der Lautstärke. Dann wurde die Klappe zum Dachboden erneut geöffnet. In diesem Moment realisierte auch Link, was Kafei vergessen hatte: Schuhe.

   Kurz in sich hineinlachend, traf er eine Entscheidung. Er wollte mischen, zumindest so, dass es nicht lächerlich aussah. Also nahm er das weiße Hemd mit den roten Flammenmustern an den Säumen und die dazupassende Hose. Kafei hatte ihm sogar Unterhosen und Socken in verschiedenen Farben gebracht. Ein grünes, ärmelloses Oberhemd mit roten und violetten Stickereien stach ihm besonders ins Auge. So konnte er seine widerspenstigen Haare wieder unter seiner Mütze verstecken – und auch vor Madame Aroma.

   Kaum angezogen, löste er sein Schwert samt Scheide vom Gürtel, steckte die Dinge und auch den anderen Gürtel in die Mütze und dehnte den Rand so gut es ging, um auch sein Schild und seine Stiefel, sowie seine persönliche Kleidung darin zu verstauen. Auch wenn er sich äußerst naiv vorkam, man konnte sich nie genug auf Notfälle vorbereiten. Die Mütze zog sich von selbst in ihre ursprüngliche Form zurück. Er setzte sie auf, trat vor den Spiegel und legte die sich außerhalb befindenden Haarbüschel zurecht. Zumindest diese taten, was er wollte. Kafei kam mit mehreren Schachteln herunter, sah Link, lachte und kletterte wieder zurück hinauf. Link wunderte es doch etwas, wie geschickt Kafei war. Als er wiederkam, hatte er nur mehr drei Schachteln auf dem linken Arm.

 

   „Denkst du wirklich, dass wir angegriffen werden?“, lachte Kafei.

   „W– ? He!“, protestierte Link verstehend. „Könntest du bitte damit aufhören? Du weißt ohnehin schon mehr über mich als ich selbst.“

   „Tut mir leid.“, lächelte Kafei. „Kommt nicht wieder vor. Zumindest nicht durch mich, in Ordnung?“, Link nickte und Kafei stellte die Schachteln auf den Tisch, sie nacheinander öffnend. „Die passen farblich dazu. Probier, welche sich auch mit deinen Füßen vertragen.“, bereits das erste Paar passte. „Faszinierend.“, staunte Kafei. „Gut. Gehen wir.“

   „Und wegräumen?“

   „Das hat Zeit. Das Essen ist sicher schon fertig. Sonst wären sie nicht gekommen.“

 

 

 

   Auf dem Dach der Milchbar waren zwei Personen äußerst beschäftigt. Kafei’s Eltern hatten eine große Tafel mit weißen Tüchern und Blumendekoration, sowie Bänke aufgestellt. Es gab einen dritten Tisch, offenbar als Buffet. Nun verteilten sie Teller, Gläser und Besteck.

   „Den Giganten sei Dank.“, atmete Esra auf. „Ich dachte, ihr würdet ewig schlafen. Könnt ihr bitte die anderen fragen, wie es in der Küche aussieht?“

   „Natürlich.“, sagte Kafei.

   Sie stiegen die Treppe hinab und betraten die Rezeption. Niemand war zu sehen. Aus der Küche drangen typische Geräusche, die beim Zubereiten von Speisen verursacht wurden. Auch konnten sie ein Gespräch aufschnappen.

 

   „Das war so richtig herzig.“, sagte Anju. „Es war mit Abstand das Süßeste, das ich je gesehen habe.“

   „Was denn?“, fragte Anidja.

   „Ich hab dir doch gesagt, dass Kafei bei Link geblieben ist, um ihm Gesellschaft zu leisten, oder?“

   „Ich dachte, Link schläft?“

   „Tut er auch.“, kicherte Anju. „Aber Kafei ist bei ihm. Vermutlich hat sich Link einsam gefühlt. Jedenfalls, als ich vorhin mit Esra rauf bin um ihnen zu sagen, dass das Essen fast fertig ist, haben sie beide noch geschlafen.“

   „Wie – beide?“, fragte Cremia.

   „Doch nicht etwa in einem Bett?“, raunte Anidja.

   „Ich bin mir sicher, Kafei wird ein wunderbarer Vater. So fürsorglich, wie er Link in seinen Armen gehalten hat – “, etwas zerbrach, das sich stark nach einem Teller angehört hatte. „Was?“, erschrak Anju.

   „Er hat – was?“, zischte Anidja. „Tz. Ich hab dir doch gesagt, du kannst ihm nicht trauen.“

   „Bitte? Ich versteh nicht ganz – “

   „Du verstehst mich sehr wohl. Er ist gerade einmal ein paar Stunden verheiratet und vergeht sich schon an einem Kind!“

 

   Nicht nur Link und Kafei waren starr vor Schock. Die Worte `Mutter´ und `Anidja´ vielen gleichzeitig und sehr fassungslos.

 

   „Jetzt tut nicht so! Das ist doch offensichtlich, oder?“

 

   Schweigen.

 

   „Anju. Wieso willst du nicht sehen, dass dieser Mann eine Gefahr ist? Du hast selbst gesagt, wie kalt er war, als er dieses Gespenst erledigt hat – oder die Königsgruft von Ikana geplündert hat. Ikana, Anju. Ikana! Das war schon immer eine zwielichtige Gegend voller schwarzer Magier. Er ist einer dieser Shiekah. Denen kann man nicht trauen. Es ist schon schlimm genug, solch einen als Bürgermeister zu haben. Und dann noch, dass er einen Sohn hat, der ein unschuldiges Mädchen mit seinem Zauber blendet, vernachlässigt und sich dann auch noch am Retter unseres Landes vergreift.“

   „Ich muss wohl träumen!“, hauchte Cremia.

 

   Wenn Link nicht gerade so geschockt gewesen wäre, wäre er in die Küche gestürmt und hätte Anidja mit einer Pfanne auf den Kopf geschlagen, das wusste er. Kafei war einfach nur – nicht mehr da. Link hatte nicht einmal bemerkt, dass der Mann zu Boden gesunken war. Mit leeren Augen saß er da und starrte geradeaus. Link legte ihm die Hand auf die Schulter. Zumindest registrierte Kafei es, denn er wandte den Blick in seine Richtung, auch wenn sich der Ausdruck nicht veränderte.

   Dann hörte Link aufgebrachte Laufschritte. In dem kleinen Winkel hinter dem Tresen sah er einen hellen Schimmer vorbeischwirren, gefolgt von einem weiteren. Die beiden Farbschimmer bogen, gefolgt von einem kleineren, über die Treppe nach oben. Eine Tür ging auf und wieder zu. Dann – lautes Schluchzen. Link raffte sich am Riemen, sammelte alle Kraft, die er gerade aufbringen konnte und versuchte, Kafei hoch zu zerren, doch er ließ es nicht zu. Schlaff wie ein Kartoffelsack und schwerer als ein Pulverfass saß er da und weinte stumme Tränen.

 

   „Komm schon.“, flüsterte Link. „Gehen wir zu ihnen. Sie brauchen uns jetzt. Und wir brauchen sie.“

 

   Kafei nickte kaum merklich, schaffte es aber eigenständig aufzustehen, um ihnen mit Link nach oben zu folgen. Link klopfte leise drei Mal an die Tür.

 

   „Ja?“, war Cremia zu hören.

 

   Vorsichtig öffnete Link die Tür, bedacht, so schnell wie möglich ins Blickfeld zu kommen und zerrte Kafei mit hinein.

 

   „Oh. Ihr seid es.“

 

   Beide Frauen saßen auf Anju’s Bett. Letztere, zitternd und weinend in den Armen ihrer Freundin. Als sie aufsah, sich die Tränen aus den Augen wischte und bemerkte, dass auch Kafei weinte, brach sie erneut in bitterliches Schluchzen aus. Romani stand mitten im Zimmer und verstand die Welt nicht mehr. Kafei verzog die Lippen und mied mit seitlich gesenktem Kopf, jedweden Blickkontakt. Link schob ihn etwas weiter ins Zimmer und schloss die Tür. Erst jetzt kam die Wut wirklich in ihm hoch. Es war eine kalte, mutlose Wut. Ohne aufzusehen ging Kafei zum Bett, setzte sich an Anju’s andere Seite, legte seine Arme um seine zitternde Frau und schmiegte sich an sie.

 

   „Ich schlage vor, wir lassen dieses verdammte Hochzeitsessen sein, plündern stattdessen die Speisekammer und fahren hinaus auf die Ranch. Weit weg von diesem Biest.“, meinte Cremia.

   „Nein.“, entgegnete Link. „Ich habe eine bessere Idee. Mich mag sie. Ich gehe nach unten und bitte sie höflich, zu gehen. Egal wohin, nur raus aus der Oststadt. Zumindest für diesen Tag.“, alle vier starrten ihn an.

   „W-w-was?“, kam es von Anju.

   „Das ist mein voller Ernst. Entweder ich mach das, oder ich erschlag sie. Mit dem Gästebuch, wenn es sein muss.“, er nahm seine Mütze ab und ließ sie achtlos auf den Boden fallen.

   „Wozu – “, begann Kafei.

   „Die lass ich hier. So laufe ich nicht Gefahr, mein Schwert raus zu ziehen und sie abzustechen. Glaubt mir. Ich hatte noch nie das Bedürfnis, jemanden umzubringen. Ganondorf vielleicht. Aber nie, dass ich sagen kann, ich würde ihn gerne in seinem eigenen Blut ersticken sehen. Tut mir leid, Romani, dass du das hören musst. Aber im Moment hab sogar ich selbst Angst vor mir. Entweder ich werfe diese herzlose Schlange auf der Stelle aus der Stadt oder ich fürchte, ich bringe sie um. Und wenn ich sie vergiften muss.“

 

   Ohne auf weitere Reaktionen zu warten, verließ Link den Raum, stieg die Treppe hinab und bog in den Korridor zur Küche. Anidja stand am Herd und rührte wie mechanisch in einem großen Suppentopf. Als sie Link wahrnahm, dämpfte sie das Feuer aus und sah zu ihm um.

 

   „Link!“, lächelte sie künstlich. „Du siehst fabel- was ist los mit dir?“, bemerkte sie dann doch seinen kalten Blick.

   „Bitte.“

   „Was? Ich wusste es.“, sie ließ den Schöpfer los und machte einen Schritt auf den Jungen zu. „Was hat dieser Bastard – “

   „Wenn Sie damit Kafei meinen, muss ich Sie enttäuschen.“, sie blieb entgeistert stehen. „Er ist das gütigste und mitfühlendste Lebewesen, das ich je kennen gelernt habe. Deshalb – “, er senkte kurz den Blick, sah aber gleich wieder auf. „Ich bitte Sie von ganzem Herzen. Wenn Ihnen etwas an ihrer Tochter liegt, gehen sie. Nein, nicht zu ihr nach oben, um sich zu entschuldigen, sondern fort. Zumindest raus aus Ost-Unruh. Wenigstens bis morgen. Sie können sich so viel Essen mitnehmen, wie Sie brauchen. Immerhin haben Sie es gekocht. Aber keine Entschuldigung rechtfertigt, was Sie gesagt haben. Ich weiß, Sie haben es nicht böse gemeint, nur sind Sie diesmal zu weit gegangen. Gehen Sie. Um aller Wohl Willen. Denn Sie wollen nicht wissen, was ich oben gesagt habe, noch will ich es je wieder auch nur denken müssen. Also bitte. Gehen Sie. Wir kommen hier schon zurecht. Ihre Tochter hat heute den Mann geheiratet, den sie liebt und der auch sie liebt. Wenn Sie wollen, dass der schönste Tag im Leben ihrer Tochter weiterhin dieser ist, machen Sie ihr die Freude und – haben Sie nicht länger an diesem Tag Teil.“

   „W-w-was – Kindchen! Was redest du da?“

   „Sie haben gehört, was ich gesagt habe. Es ist meine Meinung und mein voller Ernst. Gehen Sie, bevor Dotour davon Wind bekommt und zu dem Shiekah wird, für den Sie ihn halten. Denn das ist er nicht. Noch nicht.“

 

   Völlig perplex, aber nickend, packte Anidja ein paar Sachen in einen Korb der in einer Ecke stand und verließ die Küche. Er selbst trat gerade so viel heraus, dass er sie sehen konnte, wie sie durch die Eingangstür verschwand. Eine Weile stand Link nur da. Er schämte sich noch immer für seine Gedanken, aber er hatte das Richtige getan. Langsam ging er zur Treppe. Diese nahm er laufend. Die Zimmertür stand noch immer offen, so, wie er sie zurückgelassen hatte. Schweigend betrat er das Zimmer, als Esra’s und Dotour’s Stimmen aus der Rezeption nach oben drangen.

 

   „Hallo? Ist jemand hier?“

   „Kafei? Anju? Link? Cremia? Irgendwer?“

   „Wir sind hier oben.“, brachte Link gerade noch laut genug heraus, dann hörte er, wie die beiden angerannt kamen.

   „Was zum – was ist hier los?“, fragte Esra verwirrt. „Was ist denn mit euch? Warum – Anidja ist plötzlich aus der Stadt raus – mit einem Korb – und ihr? Sagt mir einer was los ist?“

   „Sie ist weg.“, hauchte Link ohne sich zu ihr umzudrehen und atmete tief durch.

   „Wie – weg?“, fragte Dotour.

   „Fort. Ich habe sie gebeten, zu gehen.“, sagte Link

   „Aber wohin?“, wurde Esra’s Stimme immer höher.

   „Einfach nur fort.“

   „Wieso?“, meine Güte, konnte diese Frau fragen – wie ein kleines Kind.

   „Das ist nicht mehr wichtig. Holen wir das Essen und gehen feiern. Ablenkung tut uns allen jetzt gut.“

   „Aber – “, drängte Esra, Link jedoch drehte sich nur zu ihr um, gab ihr einen doch recht unmissverständlichen Blick, hob seine Mütze auf und setzte sie zurück an ihren Bestimmungsort.

   „Bitte. Wenn ich älter wäre, würde ich alle bitten, sich mit mir zu betrinken. Und ich bin mir sicher, außer euch beiden und Romani hat niemand was dagegen einzuwenden. Aber ich bin nun mal nicht älter, halte nichts von Alkohol und habe Hunger. Also. Lassen wir es nun dabei beruhen und gehen essen?“

   „Na gut.“, seufzte Esra. „Mir knurrt auch schon der Magen. Und das beste Mittel gegen Trübseligkeit ist Essen.“, sie machte kehrt, schob Dotour mit hinaus und ging in Richtung Küche.

   „Sie muss ja sehr oft betrübt sein.“, drehte Link sich zu den anderen im Zimmer um, eine Augenbraue hochziehend und froh, dass sie alle zumindest ein bisschen lachen konnten.

 

 

 

   Die ersten Minuten des Festessens verliefen eher wie ein Totenmahl. Als sich alle ihre Teller vollgeladen hatten, setzten sich Cremia, Esra und Dotour mit dem Rücken nach Westen. Esra nahmen sie in die Mitte. Link wusste, dass sie es nur taten, da sonst die Bank kippen würde. Er selbst setzte sich gegenüber von Cremia. Kafei nahm rechts von ihm Platz und Anju daneben. Link wäre, der Aufteilung wegen, lieber gewesen, Romani hätte sich der Braut angeschlossen. Doch das Mädchen ließ es sich um nichts nehmen, sich an Link’s andere Seite zu setzen. Und sie saß schon ausgesprochen knapp neben ihm.

   Als die ersten Minuten schweigend gegessen wurde, rückte sie auch noch ein bisschen näher heran. Zwar fiel es niemandem außer ihm auf, doch kam er sich ziemlich bedrängt vor. Es gab nur einen Ausweg. Link trank sein Glas aus und langte nach dem Wasserkrug vor Anju. In diesem Moment rückte er näher an Kafei heran, dem dies nicht entging, jedoch sagte er nichts dazu. Aber nun war es zu viel des Guten. Kaum zwei Minuten waren vergangen, da rückte ihm Romani schon wieder auf die Pelle. Es reichte ihm. Etwas provokant legte er sein Besteck nieder und wandte sich zu ihr.

 

   „Romani?“

   „Ja?“, grinste sie.

   „Denkst du nicht, dass es Kafei stören könnte, wenn ich auf seinem Schoß sitze, während er isst?“, sie wurde schlagartig rot.

   „Romani!“, mahnte ihre Schwester. „Lass Link in Ruhe.“

   „Ich tu doch gar nichts.“, jammerte sie.

   „Hör mal. Ich mag vielleicht ausgelaugt und noch immer müde sein. Aber ich bin nicht blöd.“, fauchte Link, sogar für seinen Geschmack etwas zu schroff.

   „Tut mir leid.“, hauchte sie niedergeschlagen und rutschte ein Stück von ihm weg.

   „Danke. Es ist ja nicht so, dass ich dich nicht mag.“, sie horchte auf, „Aber nach wie vor entscheide ich selbst, wen ich in meine Nähe lasse. Zumindest, wenn ich die Wahl habe.“

   „In Ordnung.“, seufzte Romani und aß mit gesenktem Blick weiter.

   „So viel zu deiner Selbstlosigkeit.“, schmunzelte Kafei.

   „Ich habe dieses lächerliche Gerücht nie bestätigt. Wenn ich nur auf andere Acht geben würde, wäre ich nicht einmal vier Jahre alt geworden.“

   „Lass hören.“

   „Er wollte mich opfern lassen!“

   „Wie? Und – wer?“

   „Ach so. Ja. Mido. Das momentane Oberhaupt der Kokiri. Es hat mehrere Tage lang nicht aufgehört zu regnen. Das Dorf war schon fast ein Sumpf. Da hat er beschlossen, mich zu opfern, um die Göttinnen milde zu stimmen. So ein Schwachsinn. Auch wenn er noch immer behauptet, ich wollte ihn umbringen, war es andersrum. Ich hab mich nur gewehrt. Und da ist er eben – ach egal. Wir essen.“, schnaubte Link.

   „Weißt du,“, begann Romani, „Das passt dir echt gut. Das Gewand, mein ich“, versuchte sie gerade zu flirten?

   „Ist nicht meins.“

   „Das hätte mich gewundert.“, lachte Dotour. „Es kommt mir nämlich irgendwie bekannt vor. Ich bilde mir ein, Kafei hat so etwas einmal getragen.“

   „Ach – echt?“, meinte Kafei nur. „Wie kommst du darauf?“

   „Also doch.“

   „Was dachtest du? Dass er mit einem Kleiderschrank die Welt retten geht? Er ist kein Mädchen.“

   „Ich würde auch nicht mit einem Kleiderschrank die Welt retten.“, verteidigte sich Romani.

   „Außerdem hab ich bis jetzt nur ein Gewand. Ja, das mag vielleicht eklig klingen, aber ich brauch nicht mehr.“

   „Über solche Dinge erhaben, nicht?“, lächelte Dotour. „Immaterialistisch, wie ein Held nun einmal ist.“

   „Ich habe auch nicht behauptet, nicht materialistisch zu sein.“, überlegte Link – er legte doch auch sehr viel Wert auf materielle Dinge.

   „Genau, Dotour. Der Junge hat fünftausend Rubine auf dem Konto. Die vollen fünftausend.“, grinste Esra

   „Woher weißt du das?“, horchte Link auf.

   „Jemand hat es gewagt, sein Bankgeheimnis vor uns zu lüften. Aber keine Sorge. Dein Geld ist in guten Händen.“

   „Das will ich wohl hoffen. Ich hab teilweise echt dafür geblutet.“, er spürte Romani’s untersuchenden Blick. „Und nein, du darfst meine Narben nicht sehen. Außerdem hab ich keine.“, enttäuscht ließ sie die Schultern hängen.

   „Lass sie.“, kicherte Kafei leise.

   „Tz.“

   „Apropos – willst du, dass ich dein Gewand wasche, bevor du uns wieder verlässt?“

   „Du verlässt uns?“, jammerte Romani.

   „Romani. Er kann doch nicht für immer hier bleiben.“, sagte Cremia. „Er muss auch sein eigenes Land retten. Vielleicht verstehst du das nicht, aber auch, wenn die Leute auf dem Südplatz fröhlich Karneval feiern und wir hier gemütlich essen, schläft das Böse nicht.“

   „Das weiß ich, Schwester.“, raunte sie energisch.

   „Aber ein bisschen bleiben könntest du schon.“, meinte Esra. „Zumindest noch bis zum Ende des Karnevals.“

   „Nein. Tut mir leid. Ich muss. Am besten heute noch. Ich weiß, ich geh auch nicht gerne, aber ich muss. Außerdem hab ich inzwischen die Nase voll von Karneval und Dergleichen.“

   „Das glaube ich dir gerne.“, seufzte Dotour. „Ein Monat noch. Dann trete ich zurück. Das war’s. Mein letzter Karneval. Zehn Jahre sind genug. Ich weiß nicht, wie mein Vater das fünfzig Jahre lang ausgehalten hat. Und dann auch noch das ständige Hin und Her.“

 

 

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   Es dämmerte bereits, als Link ankündigte, dass es nun wirklich an der Zeit war. Sie hatten bis dorthin beisammen gesessen und über belanglose Dinge gesprochen, ja, gar nicht so selten auch gelacht. Link verabschiedete sich von allen. Jetzt nahm er sogar in Kauf, von jedem umarmt zu werden. Esra hielt sich wirklich zurück – was man von Romani jedoch nicht behaupten konnte. Er kam sich danach vor, als wäre er zwischen zwei Wänden eingequetscht worden. Kafei hatte ihn gebeten, das Gewand zu behalten. So konnte er ohne Zwischenstop in die Südstadt. Er würde sich dann im Uhrturm umziehen, wo er ungestört war.

   Nun – das konnte ein wenig schwierig werden, dachte er, als er die Menge vor dem Uhrturm sah. Dennoch schaffte er es ohne größere Mühen und unbemerkt durch die Tür. Jedoch spürte er, dass ihm jemand gefolgt war. Er drehte sich zu der Person um.

 

   „Dachtest du wirklich, dass ich dich einfach so gehen lasse?“, lächelte Kafei. „Hast du was dagegen, wenn ich dich ein Stück begleite? Ich muss mir ohnehin die Bäume ansehen, damit ich weiß, was mich erwartet.“

   „In Ordnung.“, sagte Link, doch irgendwie froh, dass Kafei ihm nachgegangen war.

 

   Sie redeten noch über allerhand Dinge. Hauptsächlich über Mädchen, Termina und andere Verrücktheiten der Welt. Endlich waren sie an den Bäumen angekommen.

 

   „Verdammt.“, hauchte Kafei. „Nicht ein Splitter ist mehr da. Das schreit nach sehr viel Arbeit. Nach sehr viel gefährlicher Arbeit. Aber egal.“, er kniete sich vor Link und legte ihm die Hände auf die Schultern. „Weißt du, überhaupt auch nur annähernd, wie viel du mir bedeutest?“

   „Ich kann’s mir denken, so wie du dich mir gegenüber verhältst.“, Kafei lächelte etwas verlegen.

   „Noch einmal. Es tut mir leid, dass ich dich so Hals über Kopf in meine Familie hineingezerrt hab.“

   „Das hast du nicht. Es war meine Entscheidung.“

   „Trotzdem hab ich dich überrumpelt.“

   „Das ist halb so schlimm. Ich denke, ich hab das überstanden. Bis auf die Tatsache, dass ich neun Jahre alt bin, bereits zwei Länder gerettet habe – von denen ich eines noch einmal retten werden muss – und gerade eine Kombination aus Karneval, Hochzeit und Begräbnis erlebt habe, sowie zudem ein Mädchen in meinem Alter versucht hat, mich zu erobern – “

 

   Er brach ab und beobachtete Kafei, wie er an seinem Armband herumfummelte. Dann band er es Link etwas lockerer um die rechtes Handgelenk.

 

   „Nein – das – das kann ich nicht annehmen.“, hauchte Link.

   „Bitte.“, seine Hände wanderten wieder auf Link’s Schultern. „Es ist ein Geschenk.“, dann gab er dem Jungen einen sanften Kuss auf die Stirn. „Mach’s gut, mein Freund. Wir seh’n uns.“

 

   Er stand mit Tränen in den Augen, aber einem Lächeln auf den Lippen auf und wandte sich zum Gehen. Auch Link wollte bereits die Dekuschale hervorholen. Doch dann machte er kehrt und packte Kafei um den Bauch. Er spürte, wie ihn der Mann ebenfalls an sich drückte. Eine Weile standen sie noch so da. Dann ließen sie fast gleichzeitig voneinander ab.

 

   „Ganz bestimmt.“, hauchte Link, ebenfalls den Tränen nahe und Kafei verließ ihn in die Dunkelheit, nicht ohne noch ein letztes Mal zurück zu lächeln.

 

   Es war schon etwas seltsam, lachte Kafei in sich selbst hinein. Sein Leben war einfach nur verrückt. Und diese Tatsache teilte er sich mit jemandem, den er kaum kannte. Dennoch war Link ihm so vertraut – als hätte seine Seele eine Ahnung, wie viel Zeit er und Link tatsächlich miteinander verbracht hatten. Sein Vater war nicht eingerostet. Er war es. Das musste sich ändern. Wenn ein kleiner Junge durch die Zeit reisen und tausende Leben retten konnte – er konnte nicht zulassen, dass ein so einzigartiges Volk wie die Shiekah sich einfach so ausrotten ließen. Er konnte nicht zulassen, dass er selbst weiterhin wie ein Hylianer dahinvegetierte. Sie hatten ihre angeborene Macht schon längst vergessen. Doch die wenigen, noch lebenden Shiekah wussten um die Geheimnisse ihres Volkes. Ja, sie waren eine Randgruppe. Ja, sie waren theoretisch von der Bildfläche verschwunden. Doch nein, sie waren noch nicht ausgestorben. Und so lange es, wenn auch nur eine handvoll, Shiekah gab, war es nicht zu spät.

   Kurz bevor er das Innere des Uhrturms emporsteigen wollte, blieb er stehen, hob seine rechte Handfläche vor sich hoch und ging in sich. Wenige Augenblicke später wurde sein selbstzufriedenes Lächeln vom orangen Schein einer kleinen Flamme beleuchtet, die auf seiner Handfläche tänzelte. Noch breiter lächelnd klappte er die Hand zu und stieg hinauf, in Richtung Unruhstadt. Nicht vergessen, nein. Nur ein gut gehütetes Geheimnis. Er atmete tief durch, legte die Hand auf das schwere Holztor und –

 

   „Ja, Kafei. Die Dinge, die uns wirklich etwas bedeuten, kommen immer zu uns zurück. Wie viel Zeit vergeht, weiß niemand. Doch sie kommen zurück.“

 

   Kafei kannte die Stimme. Auch, wenn er sie schon lange nicht mehr gehört hatte. Und er wusste um die Bedeutung der Worte. Langsam drehte er sich um und blickte seinem alten Freund in die Augen. Nicht vergessen, nein. Nur ein gut gehütetes Geheimnis. Wenn auch nun ein paar mehr darum wissen.

 

 

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