- Kapitel 24 -

Zeichen der Zeit

   Nur ein Lichtball leuchtete noch in der Küche des Gasthofes. Link hatte beschlossen, alleine sauber zu machen. Nach dem Schock in der Schule, wollte er einfach alleine sein. Kafei’s vorwurfsvolles Schweigen in der Schneiderei war schlimm genug gewesen. Er würde erst nach oben ins Rathaus gehen, wenn alle schliefen. Der Gedanke an die bevorstehenden Reaktionen der Bevölkerung; und diese würden die Göttinnen genauso wenig abwenden können wie Dotour’s unkontrollierbare Raserei; drehte ihm ohnehin den Magen um. Vermutlich hatte Kafei Recht, aber er hatte doch nicht gewusst, dass – egal. Link atmete mit einem langen Seufzen tief durch, stellte die letzten Töpfe in ihren angestammten Schrank und griff nach dem Besen. Völlig in Gedanken versunken, bemerkte er nicht einmal, dass er beobachtet wurde. Als eine Faust leicht auf den Rahmen der offenen Küchentür klopfte, ließ er vor Schreck den Besen fallen.

 

   „Entschuldige – ich – ich wollte dich nicht – “

   „Jargo – “, hauchte Link mit verwirrtem Blick auf ihn und versuchte im Blindflug den Besen aufzuheben, wobei er sich nicht gerade geschickt anstellte. „Was – was willst du hier?“

   „Mir war langweilig – und – da dachte ich, warum machst du nicht das, wozu du hier bist?“

   „Und das wäre?“, Jargo zuckte kurz mit den Schultern.

   „Zeit mit dir verbringen?“

   „Wieso.“, es war eine kalte, fast traurige, mahnende Feststellung.

   „Ich – also – wir haben uns lange nicht mehr gesehen – “

   „Was ist los.“, drängte Link.

   „Du weißt, was los ist.“, jammerte Jargo, selbst im schummrigen Licht sichtbar rot.

   „Ich dachte, das hatten wir.“, Link kehrte weiter.

   „Bitte – ich – ich weiß nicht, wo ich sonst hin soll. Ich habe meine Wohnung in der Stadt verloren.“

   „Dann geh doch nach Kakariko. Oder Ordon.“

   „Also – ich – ähm – “

   „Du hast gute Freunde dort. Warum kommst du zu mir? Ich kann dir nicht helfen. Außer wenn du Geld brauchst. Das kann ich dir geben. Aber das war schon alles.“

   „Ich brauche kein Geld.“

   „Du arbeitest nicht.“

   „Muss ich nicht – äh – woher weißt du – “

   „Warum bist du dann aus der Wohnung geflogen? Denn Ich glaube kaum, dass du sie auf irgendeiner Suche nach verlorener Shiekah-Technologie, die angeblich unter dem Gebäude begraben liegt, auseinandergenommen hast.“

   „Nein – ich – was?

   „Hör mal – hier gibt es keine Wohnung für dich. Geh zurück nach Hyrule. Von mir aus eben auch nach Ordon. Moe hat geschrieben, dass das Haus noch immer leer ist. Mir haben sie es gratis überlassen, und das, obwohl ich ein Fremder war. Dich kennen sie.“

   „Link – ich – “, er war ein paar Schritte auf ihn zugegangen, was Link erneut von seiner Tätigkeit abhielt.

   „Was, willst, du?“, fauchte dieser mit einem Kopfschütteln. „Ich hab dir doch gesagt – “

   „Link?“, es war Dotour, wenngleich er sich auch nicht sicher war, ob dieser der richtige Retter sein konnte. „K-kann ich mir dir reden?“, fragte er kaum hörbar, als Link den Mist im Mülleimer versenkte.

   „Der Gasthof hat bereits geschlossen. Hier.“, er lehnte den Besen und die Schaufel zurück an die Wand, holte seinen Geldbeutel aus dem Medaillon und gab Jargo einige Rubine, sowie die Kopie eines der Zimmerschlüssel. „Bleib ruhig noch eine Nacht. Zweiter Stock, nicht schwer zu finden. Der Rest ist für eine Kutsche zurück nach Hyrule. Spätestens morgen nach dem Frühstück bist du weg.“

   „Link – “

   „Frühstück ist von Sieben bis Neun. Gute Nacht.“

 

   Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er an Jargo vorbei, legte die linke Hand auf Dotour’s Rücken und führte diesen in Triri’s altes Zimmer, das im Moment von keinem Gast belegt war und sperrte hinter sich ab, während Dotour leicht zitternd die Hand auf die Feuerstelle richtete. Im Nu brannten Flammen im Kamin und fluteten den kalten Raum mit hell flackernder, knisternder Wärme. Das Licht von unten betonte allerdings jede noch so kleine seiner wenigen Falten und ließ annähernd sein Alter anmerken. Vielleicht war es aber auch sein niedergeschlagener Ausdruck.

 

   „Link – es – “

   „Sch. Sag nichts.“, er ging auf den alten Mann zu und legte die Arme um ihn. „Es war meine Schuld. Ich hätte dich nicht provozieren dürfen.“

   „Du – hast nicht – “, hauchte Dotour.

   „Doch. Ich hab verdient, was du mit mir gemacht hast. So offen gehässig hab ich mich noch nie erlebt. Und das dir gegenüber, wo du mir doch so viel bedeutest. Es tut mir leid.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Fasziniert starrte er auf die kleine Flamme, die auf seiner Handfläche tänzelte. Er klappte die Hand zu, drehte sie dem Boden entgegen und spreizte die Finger wieder. Ein karger Schwall Wasser, nicht mehr als ein Glas voll, hinterließ eine kleine Pfütze im wenigen Schnee. Er ließ die Hand wie sie war und der gerade noch nasse Fleck war ebenfalls Schnee. Mit einem Schlenker wirbelte er das weiße Pulver auf und formte es in der Luft zu einem bröseligen Kügelchen, das er zerstoben ließ. Sirileij nickte zufrieden.

 

   „Du hast es verstanden. Nun musst du es immer wieder üben und verbessern.“

 

   Am Anfang hatte er gedacht, dass es schwierig war, die steilen Felswände Ikanas hoch zu klettern. Nun konnte er bereits bei allem was direkt vor ihm war, auf jede Art von technischem Gerät verzichten. Er musste zugeben, es war ein seltsames aber gutes Gefühl. Jedes Mal wenn er in den Spiegel sah, war er verblüfft, dass seine Augen blau und nicht rot waren. Es wäre ihm logischer erschienen. Aber damit hatte Sirileij bewiesen, dass sie Recht hatte. Kafei wollte er noch immer nicht sagen, dass er heimlich eine Grundausbildung von einer Suro genossen hatte. Der sollte es schon selbst herausfinden – oder sehen, wenn Link’s neu erworbene Fähigkeiten einmal zum Einsatz kommen würden.

   Sirileij verabschiedete sich und ließ ihn alleine vor Sakon’s einstigem Versteck stehen. Dort war einer ihrer Übungsplätze. Kafei hatte den Dieb kurz nachdem er Bürgermeister geworden war, eigenständig davongejagt. Nun wurden die Räume als Lager genutzt. Wie oft hatte er mit Kafei hier auf ihn gewartet? Achteinhalb Jahre war es her. Erschreckend, wie schnell Zeit vergehen konnte. Schon fast hatte er Vaati’s Brief über den Kopierstab vergessen, so oft in der Woche hatte ihn Sirileij inzwischen gefordert.

   Eines hatte er ihr verheimlicht. Er hielt die Hand wie zuvor auf, doch statt der Flamme, wuchs eine Lichtkugel auf ihr. Er konnte sogar schon ihre Größe kontrollieren, sie schicken wohin er wollte. Würde es reichen? Dieses Licht sicher nicht. Aber Kafei’s Licht war stärker. Wenn es stärker war als das der Lichtgeister in Termina – und wenn nicht, sie wussten ja beide, wie man nach Hyrule kam. Er holte den Schattenkristall heraus und sah ihn nachdenklich an. Was hatte er schon zu verlieren?

   Seine Finger berührten das grobe Objekt. Plötzlich leuchteten die Linien orange auf – ein altbekanntes Ziehen in seinem ganzen Körper. Ehe er sich versah, blickte er auf den Schattenkristall herab, der zwischen seinen Pfoten lag. Er drehte sich einmal im Kreis herum – tatsächlich. Es hatte funktioniert. Und nun?

   Lange konnte er nicht überlegen. Ein spitzer, entsetzenserfüllter Schrei hallte durch den Canyon. Link fasste den Kristall samt Tuch und verstaute die Dinge unter seinem Nackenfell, das die gleiche Verzauberung wie seine Mütze oder das Medaillon hatte und hetzte in Richtung Dorf. Warum musste auch immer etwas passieren, wenn er gerade sehr mit sich selbst beschäftigt war?

   Jemand hatte bereits einen Pfad nach oben erschaffen. Bevor er verschwinden konnte, hastete Link dem Mann nach, der den Pfad erzeugt hatte. Auf dem Platz hatte sich eine Ansammlung von Leuten gebildet. Sie standen vereinzelt in größerem Abstand zum Baum. Kafei, mit einem Schwert in der Hand, versuchte verzweifelt seine Tochter vom Baum wegzubekommen, was allerdings bei seinen Gegnern unmöglich war.

   Die Laternen wirbelten ihm nach und er schaffte es mehrere Male nur knapp, ihnen auszuweichen. In diesem Augenblick verlor Link wohl all seinen noch vorhandenen Restglauben an Zufälle. Zielsicher stürmte er auf die Geister zu und riss ihnen nacheinander die verfluchten Seelen heraus, die er so zerbiss, dass die Hüllen schwarzer Magie platzten und ihr Inhalt sich golden glitzernd in eine bessere Welt verflüchtigte. Nach einer Weile war er fast blind. Das Blitzen der befreiten Seelen – die Flammenschweife der schwingenden Laternen – alles brannte sich in seine in diesem Zustand empfindlichen Augen.

   Schlussendlich hatte er wieder festen Boden unter seinen federnden Pfoten und mit einem prüfenden Blick vergewisserte er sich, ob er wirklich alle erwischt hatte. Doch etwas geschafft weil es so viele gewesen waren, sah er schnaufend zu Kafei auf, der zwischen Erleichterung, Verwirrung und Verzweiflung hin und her gerissen war.

 

   „Link?“, hauchte Taya zittrig und sackte an den Baum gelehnt zu Boden. „Bist du das?“

   „Ja.“, sagte er, doch heraus kam nur ein Bellen, was er allerdings sehr wohl als das verstand, als was er es gemeint hatte.

   „Danke.“, sagte sie, schon etwas kräftiger.

   „Ja. Danke.“, wiederholte Kafei. „Du alter Narr.“, seufzte er jedoch. „Schön und gut – das war vielleicht die einzige Möglichkeit – aber was jetzt?“

 

   Ja, was jetzt? Da war er wieder an dem Punkt angelangt. Er setzte sich hechelnd hin und ließ vollkommen automatisch die Zunge ein Stück heraushängen. Kafei begann zu kichern.

 

   „Und ich dachte bis jetzt, du wärst süß.“, schmunzelte er. „Das ist so ziemlich das Süßeste, das ich je von dir gesehen hab.“

   „Was ist denn hier los?“, Anju hatte es endlich auf den Dorfplatz geschafft. „Kafei? Taya? Was macht ihr hier? Und all die Leute?“, die Menge, die noch immer in einigem Abstand im Kreis stand, löste sich eigenartigerweise genau jetzt auf. „Und – der Hund?“, Link konnte nicht umhin, sie kurz anzuknurren. „Huch! Hab ich was Falsches gesagt?“

   „Ja, Mama. Das ist ein Wolf.“, sagte Taya knapp. „Und er hat Papa und mir gerade das Leben gerettet.“

   „Da war plötzlich eine Horde Geister. Keine Ahnung, wo die her gekommen sind.“, erklärte Kafei.

   „Meine Güte!“, Anju schlug vor entsetzen die Hände auf den Mund, wie sie es so oft tat.

   „Aber das eigentliche Problem haben wir jetzt.“

   „Wieso?“, fragte sie, die Hände wieder sinken lassend.

   „Weil wir Link irgendwie zurückverwandeln müssen.“, dieser bellte ein Mal, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Ja?“

   „Link?“, stutzte Anju. „Nein.“

   „Doch.“, bestätigte Kafei, während Link mit der Pfote ein Zeichen in den Schnee scharrte. „Ja schon – aber ich hab dir doch schon gesagt, dass die Lichtgeister gerade noch so viel Kraft haben, das Licht hier aufrecht zu erhalten. Wenn einer von ihnen seine Energie auch nur kurz auf etwas anderes konzentriert – was?“, er hatte ihn angeknurrt und sich mit der Pfote auf die Stirn getippt. „Was willst du?“, er wiederholte seine Geste. „Keine Ahnung, was du damit meinst.“, nun war Link doch etwas genervt, packte einen abgebrochenen, kleinen Ast und drehte sich in seine Blickrichtung. „Du – sollst – “, begann Kafei die Zeichen zu lesen, die Link für ihn in den Schnee schrieb. „Meine – Gedanken – lesen – Idiot. Oh.“, grinste Kafei peinlich verlegen. „Ich bin ja wirklich blöd. Was? Du meinst, dass ich dich mit Licht zurückverwandeln könnte?“

 

   Link nickte nur. Kafei sah ihn leicht schief an, atmete einmal tief durch und konzentrierte sich schließlich doch so gut er konnte auf die Kraft des Lichts in sich. Er schloss die Augen und richtete die rechte Hand auf Link. Ein gleißender Lichtstrahl schoss daraus hervor. Link musste regelrecht dagegen ankämpfen, von der Macht nicht umgehauen zu werden. Etwas Derartiges war schon einmal passiert, nämlich als er sich als Wolf dem Masterschwert genähert hatte. Ein altbekanntes Gefühl in seinem Körper. Kafei sackte ausgelaugt auf die Knie. Auch Link hockte etwas schlaff da.

 

   „Sosh.“, keuchte Kafei und öffnete die Augen, was den Blick auf seine glühend roten Augen Iriden freigab. „Entweder – dir fällt – etwas besseres ein – oder – wir brauchen – Große Feen. Aber wo kriegt man – Große Feen her?“

   „Keine Ahnung.“, schnaubte Link. „Aber danke. Sirileij hat Recht. Du bist mächtiger, als du es dir eingestehst.“

   „Vermutlich.“, nickte Kafei und sah zu seiner entgeisterten Tochter, die noch immer an den Baum gelehnt am Boden hockte.

   „Aber wir haben doch eine Große Fee.“, sagte diese.

   „Was?“, die Köpfe der anderen beiden schnellten ebenfalls in ihre Richtung.

   „Sie ist zwar nicht groß, aber wir haben eine Fee.“

   „Wo?“, kam es von allen Dreien.

   „Na – in ihrer Quelle! In der Grotte hinter Toru’s Zuhause!“

 

   Nach ein paar ausgetauschten Blicken standen Link und Kafei auf, Anju hob ihre Tochter auf die Arme und rannte mit ihnen zur Feenquelle. Als sie in der Grotte rutschend zum Halt kamen, dauerte es einen Moment, bis alle sahen, dass Taya nicht gelogen hatte: ein gelber, wabernder Lichtschimmer schwebte über dem Wasser. Er wurde heller und aus ihm trat – ein kleines Mädchen, vom Aussehen nicht viel jünger als Taya selbst. Sie trug ein einfaches, ärmelloses Kleid. Ihre gelben Haare reichten ihr bis zur Hüfte und liefen etwas unterhalb der Mitte hellgrün aus. In sämtlichen Farben schimmerten ihre zierlichen, durchsichtigen Flügel.

 

   „Schön, dich wieder zu sehen, Taya.“, lächelte sie. „Und diesmal bringst du deine Familie mit. Was führt euch zu mir? Mir scheint, ihr habt euer kleines Treffen der Welten schadlos überstanden. Was ist es also?“

   „Du weißt, dass wir von Geistern angegriffen worden sind?“, raunte Link.

   „Ich habe ihn fluchen hören. Du hast seine neueste Attraktion vernichtet, Grüner Wolf.“

   „Oh! Tja, jetzt wissen wir zumindest, wo sie her waren.“, gluckste Kafei.

   „Die Shiekah und die Toten. Auf Ewig miteinander verbunden. In Ikana stärker als an anderen Orten. Und auch noch zur sadistischen Unterhaltung. In der Zeit als sie die Herrschaft übernommen hatten, war es nicht vermeidbar. Aber nun bist du König. Verbiete ihm diesen Jux. Es tut deinem Land nicht gut, die Geister zu schänden. Die Toten sollen ruhen. Und sind sie verflucht, so muss man sie davon erlösen. Alles andere bringt Chaos und Zerstörung. Der Tod gehört zum Leben, da er der darauffolgende Abschnitt ist. Aber man sollte die Dinge nicht vermischen. Genau so wie sich Licht und Finsternis ergänzen. Werden sie aber vermischt, entsteht Chaos. Lass nicht zu, dass er sich von dieser alten Magie abhängig macht. Er benötigt sie nicht. Es sind drei Linien, die aufrecht erhalten werden. Sie werden stets eingehalten, Roter Kater. Mach das auch deinem Wolf klar. Wenn ihr mich nun entschuldigt, eine meiner Schwestern benötigt Hilfe. Ach ja – draußen steht ein Kurier mit einer Botschaft der Blauen Eule.“

   „Was bei allen verfluchten Geistern der Welt hat sie gemeint, Papa? Papa?

   „Nicht so wichtig, Taya.“, seufzte Kafei der an den Punkt starrte, an dem die Fee sich aufgelöst hatte. „Wir erwarten einen Brief.“

 

   Rätselnd folgten sie ihm auf den Platz hinaus, wo in der Tat ein Reiter auf sie wartete. Schweigend händigte er die beiden Briefe aus und ritt wieder von dannen. Kafei öffnete sie nacheinander und versuchte sie zu lesen. Allerdings war er sehr abgelenkt. Dennoch verstand er die Kernbotschaft beider Briefe und verkündete sie mit einem Lächeln.

 

   „Macht euch auf was gefasst! Wir sind eingeladen!“

   „Wozu?“, fragte Anju.

   „Zu einer Hochzeit.“

   „Was?“, fragte Link verwirrt.

   „Beide schreiben so ziemlich das gleiche. Sie werden heiraten.“

   „Was?“, fragte Link noch einmal, nun noch schleppender. „Doch nicht etwa – Vaati? Und Zelda? Sie werden – ?“

   „Sieht so aus.“, grinste Kafei.

   „Na das ging ja schnell!“, meinte Anju. „Schon nach einem halben Jahr!“

   „Aber sie wollen noch bis zum Frühling warten.“

   „Na hoffentlich überlegt sie es sich bis dort hin nicht anders.“, stöhnte Link. „Warum hat dich die Fee so genannt?“

   „Wie?“, erschrak Kafei doch etwas überraschend.

   „Warum hat dich die Fee `Roter Kater´ genannt?“

   „Oh. Das.“, hauchte er und ließ die Briefe verschwinden. „Das – es tut mir leid. Ich hätte es euch sagen sollen. Vermutlich brauchst du diesen Schattenkristall wirklich nicht, um dich zu verwandeln.“

   „Was?“

 

   Plötzlich schrumpfte Kafei. Einen Augenblick später starrte ein rot-weiß gemusterter Kater zu ihnen hoch. Seine Augen waren noch rot. Er senkte den Blick und war wieder er. Anju hätte beinahe ihre für sie ohnehin schon fast zu schwere Tochter fallen gelassen. Auch Link klappte die Kinnlade herunter.

 

   „Die Legenden bezeichnen Hethriol manchmal als `Roten Kater´. Bis zu diesem einen Tag an dem ihr euch solche Sorgen gemacht habt, weil ich nicht aufgetaucht bin, dachte ich an eine Metapher. Ich habe euch doch gesagt, ein Schatten hätte mich aufgehalten.“, Anju nickte bejahend. „Aber ich habe etwas verschwiegen. Es war eine seltsam gekleidete Frau. Sie hat mich mit einem Schatten attackiert. Ich habe mich verwandelt. Sie war ganz schön überrascht und ist verschwunden. Und ich muss sagen, ich war auch mehr als überrascht, als ich festgestellt hab, warum ich plötzlich so klein war. Aber ich konnte mich wieder zurück verwandeln. Aus eigenen Stücken. Es war anstrengend, aber dennoch.“

   „Soll das heißen, ich benötige keine Magie des Lichts? Oder die Hilfe von jemandem aus dem Schattenreich?“

   „Vermutlich nicht. Wir haben es anscheinend im Blut.“

   „Kann ich so was auch?“, japste Taya.

   „Ich denke nicht.“, überlegte Kafei und ihre Begeisterung verflüchtigte sich so schnell, wie sie gekommen war. „Es hat wohl eher was mit den Göttinnen zu tun. Ilchanji war angeblich auch ein Auserwählter.“

   „Und Zelda kann sich etwa in eine Eule verwandeln? Oder warum hat die Fee – “

   „Ich fass es nicht!“, stöhnte Link.

   „Was?“

   „Dieses Biest! Und ich dachte, es wäre eine allwissende, sprechende Eule! Kaepora Gaebora!“

   „Äh – nein. Das war nicht Zelda.“, bemerkte Kafei.

   „Oh.“

   „Zelda müsste weißes und bläuliches Gefieder haben. Und ich weiß, wer deine Eule war.“

   „Wer?“

   „Mir gibt zu denken, dass die Linien eingehalten werden. Das bedeutet für mich so viel, dass du einmal Vater sein wirst, was so viel bedeutet wie, dass du doch einmal was mit einer Frau haben wirst. Ich weiß – es klingt lächerlich – aber ich an deiner Stelle würde aufpassen.“

   „Denkst du, Zelda könnte mich tatsächlich dazu nötigen?“

   „Ich weiß nicht. Zelda nicht. Sonst würden zwei Linien zu einer werden. Hoff also darauf, dass die Göttinnen ihre Prinzipien zumindest in dieser Sache einhalten und es verhindern. Obwohl – wenn man den Legenden glaubt, wäre es die – die Rückführung zum – Ursprung – und der – “, Kafei’s Augen weiteten sich fast angsterfüllt. „Der Weise König – verlor all seine Weisheit – hatte nur noch Vertrauen – in seine Kraft – und stellte sich – “

   „Wir stehen an einem kritischen Punkt, oder?“, unterbrach Link Kafei’s seltsame Überlegungen, nicht sonderlich erpicht auf mehr von welchem Wahnsinn auch immer.

   „Du sagst es. Wir stecken knietief in der – “

   „So extrem hab ich das jetzt zwar nicht gemeint, aber – “

   „Weitaus extremer als du dir vielleicht vorstellen kannst – “, hauchte Kafei weiter. „Selbst sein eigenes Volk – lhasziareh – “

   „Wie auch immer,“, warf nun Anju drängend ein, „Sie haben nicht erwähnt, ob sie hylianisch heiraten, oder? Oder nach Art der Minish?“

   „Es wird wohl eine hylianische Hochzeit werden.“, schnaubte Kafei. „Immerhin bedeutet es für Zelda, dass sie Königin wird. Hyrule ist zum Glück noch von Hylianern dominiert.“

   „Zum Glück? Hast du was gegen die anderen Völker?“

   „Oh nein, gar nichts.“, meinte Kafei schulterzuckend. „Es erscheint mir nur etwas seltsam, woher plötzlich all diese Menschen kommen. Ich kenn mich nämlich sehr gut in unserer Welt aus. Von hier sind sie nicht. Egal. Ich muss zurück in die Stadt. Die Pflicht ruft.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   „Was auch immer dich aus deinem vorigen Leben getrieben hat, ich weiß jetzt, dass es mehr als spannend war.“, er legte ihm die Hand auf die Wange. „Aber eine Sache nur – das hier bleibt unter uns, ja?“

   „Hab nichts dagegen.“, meinte Link und legte seine Hand auf Moe’s, sie somit näher an sich drückend.

   „Also doch?“

   „Also doch, was?“

   „Du bist anders.“

   „Inwiefern?“

   „Anders als alle andern.“

   „Ach so. Das hab ich nur zu oft gehört.“

 

   Moe’s Daumen wanderte zu seinen Lippen und er trat näher. Als er nah genug war, tauschte er den Daumen gegen seine eigenen Lippen aus. Immer leidenschaftlicher begann er Link zu küssen. Nach nicht einmal einer Minute drückte er ihn mit der anderen Hand auf den Boden und ging mit. Moe’s Berührungen waren so identisch mit denen, die er von Kafei kannte, dass Link sich einfach nicht wehren wollte. Er spürte, wie ihm die Hose ausgezogen wurde und etwas von dem er wusste was es war, sich eine Zeit lang gegen ihn rieb. Selbst wenn er es gewollt hätte, hätte er sich nun nicht mehr wehren können. Er versank genießend in Moe’s Bewegungen, in zweierlei Hinsicht. Als er sich kaum noch halten konnte, riss es ihm die Augen auf und –

 

   „Guten Morgen.“, ein sanft lächelndes Gesicht füllte sein Blickfeld aus und Link musste zweimal hinsehen, damit er begriff, was los war.

   „Du – du – “

   „Ja?“

   „Du Schwein!“

   „Was kann ich denn dafür, dass du solche Sachen träumst?“, kicherte Kafei grinsend.

   „Träumst? Hallo?“

   „Sicher doch. Gib bloß nicht mir die Schuld. Du hast angefangen, meine Hand zu streicheln. Ich hab nur weiter gemacht. Anfangs dachte ich, du wärst munter. Aber dann – naja – es war einfach zu verlockend. Du hast mich doch nicht wirklich betrogen, oder? Nicht, dass es mich kümmert. Immerhin musstest du es ein Jahr lang ohne mich aushalten.“

   „Nein. Er hat die Hand weggenommen. Wir sind nur gute Freunde. Eigentlich ist er für mich fast wie ein Onkel geworden. Da war und ist nichts. Außerdem war das an meinem ersten Tag dort. Aber – “, Link seufzte. „Ich muss dir was beichten. Ich hab versucht, es zu verdrängen. Jargo – er – naja – er hat mich geküsst. Ich wollte es nicht – aber dann doch irgendwie – und bin eingestiegen – aber dann bin ich davon gerannt. Naja – eigentlich erst nachdem – “

   „Nach was?“

   „Er – “, Link schloss beschämt die Augen. „Er – hat mir einen geblasen.“

   „Was?“, gluckste Kafei.

   „Bitte – “

   „Bitte was?“

   „Verzeih mir.“

   „Was? Hast du mir nicht zugehört? Es wäre mir sogar egal, wenn du mit dem Priester von Kakariko geknutscht hättest. Meine Güte, jemand hat dir einen geblasen und du tust, als wärst du bedroht worden?“

   „Ich bitte dich!“, fauchte Link. „Leonard? Für wie krank hältst du mich?“

   „Reg dich ab. Das war nur ein Beispiel. Soll ich runter?“

   „Nein.“

   „Ach? Jetzt auf einmal?“

   „Ich hab nie gesagt, dass du runter sollst.“

   „Komm. Wir müssen was für die Hochzeit besorgen.“

   „Hochzeit? Welche Hochzeit?“

   „Hab ich dir wirklich so den Kopf verdreht?“

   „Entschuldigung? Du hast mich im Schlaf gevö- “

   „Wer sagt das?“

   „Ich spür ganz genau, wie du auf mir sitzt. Ich bin nicht blöd. Außerdem – “

   „Offenbar doch. Sonst wüsstest du, welche Hochzeit. Zelda, du Dekunuss.“

   „Verdammt.“, stöhnte Link, die Augen überdrehend. „Diese Hochzeit. Warum müssen wir was dafür kaufen?“

   „Wir können’s uns auch von Ydin schenken lassen.“

   „Achso. Aber ich hab doch schon was – “

   „Diese eine Rüstung?“

   „Ja.“

   „Hm. Ja, die steht dir. Bis auf das Teil auf dem Kopf. Und die Flossen. Aber im Notfall kannst du hoffen, dass der Mundschutz dir etwas Anonymität verschafft.“

   „Danke. Ja. Darauf verzichte ich auch gerne.“

   „Mit der Rüstung verzichtest du sehr auf Anonymität, ja. Wie wär’s denn mit der anderen Rüstung?“, zumindest sagte ihm Kafei’s Tonfall, dass er ihn weiterhin ärgern wollte.

   „Wenn ich pleite bin, bin ich mit ihr schwer wie ein Moblin, der drei ausgewachsene Goronen trägt.“, schnaubte Link. „Wenn es wirklich darauf ankommt, kann ich immer noch in meinem üblichen Grünzeug gehen. Auch nützlich, falls es zu einem Angriff kommt, und ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass es üblicherweise einen Angriff gibt, wenn ich irgendeiner Zeremonie in diesem Schloss beiwohne. Aber was um alles in der Welt brauchst du? Deine Kästen sind voll mit schönen Sachen. Du bist Bürgermeister und König.“

   „Eben. Das ist alles schon abgedroschen, und die von dir eben erwähnten Positionen verbitten es mir, mich in altbackener Kleidung auf einer königlichen Hochzeit blicken zu lassen.“

   „Warum gehst du nicht in deinem Prunkkleid?“

   „Welchem?“

   „Tz. Ja. Welchem. Dem vom Karneval, du Dekunuss. Den Schleier und die Maske kannst du ja weglassen.“

   „Das hab ich zuerst auch in Erwägung gezogen. Vaati kennt es ja noch nicht.“

   „Und mit dem Diadem – “

   „Schon. Aber denkst du nicht, dass es ein kleines bisschen zu dreist ist? Ich repräsentiere immerhin eines der größten Königreiche auf unserem Kontinent.“

   „Das Kleid ist doch repräsentativ. Außerdem sind die Farben sehr hylianisch. Wäre ein Entgegenk–“

   „Wuchtig und repräsentativ für meine Verrücktheit. Nicht für Ikana, wie du auch schon so freundlich bemerkt hast.“

   „Dafür ist ja das Diadem. Außerdem ist Ikana verrückt. Ich hab noch niemanden von euch kennen gelernt, der oder die nicht in irgendeiner Art spinnt. Positiv und negativ. Ich meine, die Gene, die dein Vater weitergegeben hat, sind teilweise echt zweifelhaft – versteh das jetzt bitte nicht falsch. Aber du hast diesen Schwachsinn auch deinen Kindern vererbt. Rim war der Wahnsinn in Person, Toru taucht immer ungelegen aus dem Nichts auf, Sirileij hat eine Steinsammlung die sie regelmäßig putzt und auch poliert und jede Woche neu ordnet, Zelda hat mich ständig grundlos mit Dekunüssen geblendet – was sie offensichtlich von Impa gelernt hat, Chaliém hat fast ständig gegrinst und Igos hat gern mit seinem Kopf nach mir geworfen – “

   „Da ist was dran. Er hat auch zu Lebzeiten gerne mit Köpfen geworfen. Das war sein einziger wirklicher Fehler. Auch bei den anderen Sachen kann ich dir nur Recht geben. Aber du weißt wohl, dass wir durchaus ernstzunehmend sind, oder?“

   „Ich nehme dich ernst.“

   „Ich weiß. Und manchmal leider ein bisschen zu sehr.“

   „Damit hast du dir gerade selbst widersprochen.“

   „Schon.“, überlegte Kafei. „Aber – “

   „Kein Aber.“

   „Aber wir schauen doch trotzdem bei Ydin vorbei?“

   „Von mir aus.“, seufzte Link.

   „Könntest du mir vorher noch mit einer Kleinigkeit helfen? Du warst etwas zu schnell.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Kaum hatten sie das Rathaus verlassen, grinste Kafei Link kurz an und rannte zum unteren Eingang der Südstadt. Link schüttelte nur den Kopf, dachte sich nichts dabei und lief ihm hinterher. Aber statt nach Westen zu laufen, wendete er vor dem Uhrturm nach rechts und verschwand wieder in der Oststadt. Er war so schnell, dass Link ihn gerade noch auf der Treppe erblickte. Gerade hatte er diese erreicht, da war Kafei auch schon ins Nordviertel verschwunden. Dort holte Link ihn wieder etwas ein, wenn auch der Schnee und die kalte Luft es ihm erschwerten.

   Kafei hastete in Richtung Feenquelle, doch nicht hinein, sondern ließ Link aufholen, sprang vom Aufgang herab, rannte erneut nach Süden und um den Uhrturm herum wieder nach Osten. Link prallte keuchend gegen den Stützpfeiler des Gasthofes, als ein blauer Schwall hinter der Schatzkiste verschwand. Die Treppen nach unten stolperte und rutschte er schon regelrecht. Zu seiner Verzweiflung lief Kafei auch noch zum Waschplatz, wo er wieder kurz auf Link wartete, eine Runde; teilweise über die Mauer; ums zugefrorene Becken drehte, in das Link beinahe hineinfiel, über die Treppe hinunter und endlich nach West-Unruh, wo Link es schaffte, ihn innen zu überholen, aber dank seines Tempos, neben der Tür zum Trainingscenter gegen die Wand prallte.

   Kafei ließ ihn nicht einmal kurz atmen, sondern drückte sich gegen ihn und saugte ihm mit einem Kuss auch noch das letzte Fünkchen Ausdauer heraus. In diesem Moment betraten zwei Damen mit Rücksäcken die Stadt. Sie kamen offenbar von weit her und wirkten müde von ihrer langen Reise. Von der anderen Seite trippelte der Postbote in die Weststadt.

 

   „Na da hat es sich doch gelohnt.“, sagte eine der beiden Hylianerinnen, die ihre langen dunkelblonden Haare unter der Wollhaube zu einem tiefen, seitlichen Pferdeschwanz gebunden hatte. „So ein süßes Liebespaar! Und so schöne Haare hat sie!“

   „So früh am Tag und schon wieder am Rennen.“, Kafei hatte sich von Link gelöst und sprach doch etwas keuchend den Postboten an. „Und das bei diesen Temperaturen.“

   „Du musst reden.“, hauchte Link und versuchte Luft zu bekommen.

   „Ja. Tut mir leid, ich muss. Mein Zeitplan – “

   „Gar nichts musst du. Du vergisst schon wieder, dass du schon seit Jahren nicht mehr für Mutter arbeitest. Gönn dir mal eine Pause. Weißt du was das ist? Pause?“, der Postbote zögerte kurz und zog eine Schnute.

   „Ja. Einen schönen Tag noch, Herr Bürgermeister.“

   „Das war eine Anordnung!“, zack und zu war die Tür.

   „Wetten – dass du ihn – verklagen kannst? Der missachtet – einen direkten – Befehl von dir.“

   „Ach mir doch egal. Soll Anju ihn verhauen – solange er sich nicht selbst zu Tode läuft. Komm jetzt. Wir müssen da rein.“

   „Wieso? Ich hab doch schon gesagt, welches Kleid du anziehen wirst.“, dennoch öffnete er die Tür und Kafei folgte ihm.

 

   Die Frauen waren geschockt. Völlig entgeistert starrten sie auf die Tür, hinter der die beiden Männer verschwunden waren.

 

   „Dein überaus entzückendes Liebespaar ist schwul!“, sagte die zweite Frau und kratze sich unter ihren schulterlangen, stark gelockten, dunkelbraunen Haaren. „Und diese wunderschönen Haare gehören dem Bürgermeister. Dem Bürgermeister! Hörst du mir überhaupt zu?“

   „Das war er – “

   „Wer?“

   „Das war er eindeutig – “

   „Wer denn?“

   „Link – “, nun war ihre Freundin noch entgeisterter.

   „Ach du träumst.“

   „Nein – das war er!“

   „Du warst zwei Jahre alt.“

   „Aber das war er!“

   „Selbst wenn. Komm bloß nicht auf die Idee, ihm zu folgen.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   „Ach komm schon. Wie oft soll ich’s dir noch sagen? Das Ding ist repräsentativ genug.“

   „Lass ihn doch. Er will einfach nur wie eine Königin auftreten. Nicht wie eine Prinzessin.“

   „Trotzdem. Er bringt dich noch in den Ruin.“

   „Das muss ich doch selbst wissen, oder?“, lächelte Ydin.

   „Meinetwegen.“

   „Ach gib’s doch zu. Das Kleid macht dich an.“, murmelte Kafei amüsiert.

   „W- wa- nein! Es ist einfach – schön – und – es passt dir – und – “

   „Gib’s zu.“

   „Was soll ich bitte zugeben?“

   „Verkauf mich nicht für blöd. Ich hab dich damals genau beobachtet. Du konntest es kaum erwarten, mich auszuziehen, wolltest aber auch, dass ich es anbehalte. Ich musste ja nicht mal in deinen Kopf rein, um das zu sehen. Du stehst auf dieses Kleid.“

   „Schön, du hast mich. Aber ich steh nicht auf das Kleid, ich steh auf dich in diesem Kleid.“

   „Gut. Dann hätten wir das. Wär doch zu dumm, wenn du mitten in der Trauung einen Orgasmus bekommst. Denn wir beide wissen, dass du das inzwischen so gut wie lautlos kannst, aber nicht unauffällig. Folglich, brauch ich ein neues Kleid. Ich soll Ikana repräsentieren. Nicht meine weibliche Seite.“

   „Was ja ein Kleid überhaupt nicht macht.“

   „Was soll denn das jetzt? Zuerst willst du mich in diesem Klimper-Prunk und dann in Hosen? Kommt gar nicht in Frage!“

   „Ich hab nichts von Hosen gesagt,“

   „Also.“

   „Gut, Kinder. Seid ihr fertig? Ich möchte euch gerne den Entwurf zeigen.“

   „Entwurf? Entwurf? W- “, weiter kam Link nicht, da die Tür aufging – herein kam der Postbote.

   „Ich hab doch gesagt, du sollst dir eine Pause gönnen.“

   „Ja. Aber ein Kurier kam mit zwei Eilbriefen zu mir. Sie sind für Link.“

   „Für mich?“

   „Ja.“

   „Und von wem?“

   „Das weiß ich nicht.“

   „Ich kann’s mir schon denken. Danke.“

   „Bitte.“, keuchend trippelte er wieder hinaus.

   „Lass sehen!“, drängte Kafei, als die Tür geschlossen war.

   „Ja, ja.“, er riss den ersten Brief auf. „Der ist von Zelda.“

   „Was schreibt sie?“, er überflog den kurzen Brief.

   „Sie – ich fass es nicht. Das war doch so klar.“

   „Was, was, was?“

   „Sie will, dass ich ihr Trauzeuge bin.“

   „Nein. Gib her.“, er schnappte ihm den Brief aus der Hand und las ihn hektisch durch.

   „Sicher nicht.“

   „Was?“

   „Sie ist noch immer eifersüchtig auf dich.“

   „Hör doch auf damit.“

   „Nein. Sieh mal. Du hast mich zu deinem Trauzeugen gemacht. Als wir uns das nächste Mal wiedergesehen haben, haben wir uns ineinander verliebt. Sie steht total auf mich und erhofft sich, dass ich irgendwann ihre Gefühle erwidere, wenn sie das tut, was du getan hast.“

   „Komm schon.“

   „Nein. Noch einmal. Sie konnte mich nicht haben, also haut sie ab und überlässt dir die Schmach, mich davonzujagen.“

   „Noch einmal, du hättest ohnehin gehen müssen.“

   „Ja. Weil Midna es auch gesagt hat. Aber das beweist doch nur, wie Frauen sind. Und wie gesagt, sie hat mir sehr viel von ihrer Persönlichkeit offenbart. Zweitens, hat Zelda mir Navi wieder auf den Hals gejagt. Du hast keine Ahnung, wie mich dieses Glühwürmchen dieses eine Jahr lang genervt hat. Ich verstehe ja, dass sie sich um mich sorgt, aber sie ist ein nervtötender Kontrollfreak! Und dann mischt sie sich auch noch in mein Gefühlsleben ein, ohne was davon verstehen zu wollen! Ilya hier, Ilya da! `Wenn du sie nicht willst, warum gehst du dann nicht Zelda besuchen? Sie würde sich freuen.´ Das ist ein gut durchdachter Plan, mich in ihre Arme zu locken. Verdammt noch mal, sie will Vaati heiraten. Vaati! Und nebenbei ist sie noch immer in mich verknallt! Dieses Wesen braucht professionelle Hilfe!“

   „Reg dich ab, Schatz. Du bist meine Gurke und Zelda liebt Fleisch. Also?“, Link schnaubte.

   „Na gut. Aber trotzdem hab ich’s satt, mir ständig von Frauen sagen zu lassen, was ich tun soll.“

   „Dann lass es dir sagen, aber tu es nicht. Aber königlicher Trauzeuge – hast du eine Ahnung, was für ein Status das ist?“

   „Ich hab schon genug Status, den ich nicht haben will. Die einen betrachten mich so sehr als Held, dass sie mich am liebsten überall bei sich haben wollen – “

   „Also deshalb will ich dich nicht bei mir haben, ja?“

   „Von dir rede ich ja nicht. Und die anderen – die anderen anderen – weißt du, wie sie mich inzwischen nennen?“

   „Nein. Wie?“

   „`Das Flittchen des Bürgermeisters´! `Der Hintereingang zum Rathaus´! `Steckenpferd´! `Des Königs Schoßhündchen´! Letzteres mit einer sehr gezielten Betonung!“

   „Was?“, fauchte Kafei ungläubig.

   „Ehrlich – hörst du den Leuten auf der Straße nie zu? Merkst du nicht, wie sie hinter uns hertuscheln?“

   „Schon gut. Jetzt beruhige dich. Das ist ein Problem, das sich nicht von heute auf morgen beseitigen lässt. Außerdem – wie kannst du ernsthaft erwarten, dass alle so tolerant sind wie Anju? Sie hat selbst gesagt, dass die Leute ihr mitleidig nachstarren. Sie hat sich daran gewöhnt, diese Idioten zu ignorieren. Aber dass die öffentlich solche Bezeichnungen verwenden, hätte ich echt nicht gedacht. Egal. Was steht im zweiten Brief? Ich nehme an, er ist von Vaati?“, Link öffnete ihn seufzend.

   „Ja. Tz. Da hast du’s.“

   „Was?“

   „`Tu es nicht.´“, las Link vor. „`Ich liebe diese Frau und sie liebt mich. Aber sie hängt noch immer an dir. Es ist mir zwar egal, aber ich möchte sie heiraten. Ich habe keine Lust, meinem zukünftigen Volk erklären zu müssen, dass seine Königin in ihrer Hochzeitsnacht ihren verlorenen Traummann vergewaltigt hat. Darauf läuft es nämlich hinaus. Aber ich liebe sie trotzdem. Mit all ihren Verrücktheiten. Sie hat einfach ein zu gütiges Herz. Bitte´ – was?“

   „Was ist?“

   „`Bitte brich es ihr, damit sie dich um aller Willen vergessen kann.´

   „Oha.“, gluckste Kafei. „Das fängt ja heiter an.“

   „Ich glaube, das Beste kommt noch.“, überlegte Link. „`Es tut ihr nicht gut, einem Traum nachzuweinen, dessen Erfüllung nie vorherbestimmt war. Ich hoffe, ich habe das umsonst geschrieben und du wusstest ohnehin schon Bescheid. Wenn es dich tröstet, es wäre mir eine Ehre, wenn du stattdessen mein Trauzeuge wärst. Aber ich weiß nicht, ob du für zwei Wahnsinnige diese Bürde tragen kannst. Ich kann dich zu nichts zwingen; hör auf dein Herz und tu was du für richtig hältst. Falls du dich gänzlich gegen uns beide entscheidest, ist das in Ordnung. Wir hätten ein paar Leute in der Auswahl. Lass es uns trotzdem bitte rechtzeitig wissen. In Freundschaft, Vaati.´“

   „Ein paar Leute.“, schnaubte Kafei. „Und wer soll das bitte sein?“

   „Keine Ahnung. `P.S.: Bitte halte Kafei davon ab, dieses Kleid zu tragen, das er beim Maskenball anhatte – falls es noch existiert und er es vor hat. Ich habe es zwar nicht gesehen, aber Zelda schwärmt so sehr davon, dass ich Angst habe, sie stiehlt es ihm vom Leib.´“

   „Faszinierend.“, hauchte Ydin. „Diese Ehe steht ja schon auf der Kippe, bevor sie überhaupt existiert.“

   „Nimm Anju und mich. Wir haben darum gekämpft, heiraten zu dürfen. Und jetzt sieh uns an. Wir sind glücklich. Alle.“, er lächelte kurz und schief zu Link. „Und siehst du? Ein prä-königlicher Befehl, mir ein neues Kleid zu besorgen.“

   „Ach halt die Klappe. Aber siehst du? Ich hatte Recht.“

   „Schon gut. Die Runde geht an dich. Ydin? Darf ich den Entwurf sehen?“

   „Das hatte ich schon seit Stunden vor.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   „Oh! Neue Gäste Aana?“, die Rezeptionistin nickte. „Dann wünsche ich die Damen ebenfalls herzlich Willkommen im Gasthof Zum Eintopf. Gestatten, Anju Maranóshu. Ich bin die Besitzerin. Und Bürgermeisterin.“

   „Sehr erfreut.“, sagte die Brünette und die Frauen schüttelten einander die Hände.

   „Was führt Sie nach Unruhstadt?“

   „Der Handwerksmarkt.“, antwortete die Blondine. „Auch wenn es eine etwas kalte Angelegenheit werden dürfte.“

   „Ach ja. Sicher.“, lächelte Anju. „Und da machen sie sich bitte keine Sorgen. Es gibt genug Stände, an denen Sie sich aufwärmen können und jedem Aussteller wird ein kleiner Ofen zur Verfügung gestellt.“

   „Schöner Anhänger, übrigens.“

   „Oh. Danke.“, meinte Anju und nahm den Anhänger der Erinnerungen kurz in die Hand. „Ein Geschenk von meinem Mann. Er hat ihn von seiner Großmutter bekommen.“

   „Wir sind Schmuckkünstlerinnen, wissen Sie? Und da dachten wir, wir könnten uns ein bisschen Inspiration holen oder Waren tauschen. Eventuell verkaufen.“

   „Ich sehe, Sie haben Ihr Gepäck schon auf dem Zimmer. Wollen Sie einen kleinen Stadtrundgang? Wir bieten so etwas hier an.“

   „Wir wollten gerade danach fragen. Einen Teil haben wir ja schon gesehen.“

   „Gut. Wenn Sie nichts dagegen haben, führe ich Sie herum. Ich brauche ohnehin etwas frische Luft. Was ich eigentlich wollte – Aana, wenn die Lieferung ankommt, achtest du bitte darauf, ob eine Schachtel mit der Aufschrift `Zerbrechlich´ dabei ist? Das sind die neuen Teller.“

   „Sie sind bereits in der Küche und auch schon gewaschen und eingeräumt.“

   „Ah gut. Danke.“, die Tür ging auf.

   „Wusste ich doch, dass ich dich hier finde.“, lächelte Kafei. „Hast du schon was Neues bezüglich der Uhrturmlieferung gehört?“

   „Was? Welche Uhrturmlieferung?“

   „Oh. Du weißt nicht einmal Bescheid? Das Sorgenkind hat schon wieder einen Riss und unsere Handwerker sind viel zu beschäftigt, im Hafen mit zu helfen. Dort liegt ein Schiff mit einem riesigen Loch im Rumpf und droht zu sinken. Wegen des Rades – weißt du, entweder ist das Holz mangelhaft oder irgendwo entsteht eine falsche Belastungsverteilung.“

   „Aber – die Uhr geht doch!“

   „Noch. Das neue Rad aus rostfreiem Stahl hätte schon vorgestern kommen sollen. Ich bin echt drauf und dran, es selbst zu holen. Wenn wir wegen dem Markt noch mehr Verzögerungen haben, bricht uns bald das ganze Werk wieder zusammen.“

   „Meine Güte! Und was machen wir jetzt?“

   „Ich hab doch gesagt, ich geh es holen. Ich wollte nur fragen, ob es nicht doch schon da ist. Das würde mir den Weg nach Calatia ersparen.“

   „Aber das – Calatia? Willst du ernsthaft nach Calatia reiten? Und wie – “

   „Anju.“, kicherte er. „Guten Morgen.“

   „Oh. Sicher.“, sie wurde leicht rot. „Aber – es ist doch sicher schwer.“

   „Anju. Die Kugel hab ich auch hinauf bekommen.“

   „Ja. Schon.“, seufzte sie. „Aber pass trotzdem auf. Du weißt, wie heikel der Austausch ist. Und vergiss nicht, sie richtig nachzustellen.“

   „Jetzt – mach dir nicht immer solche Sorgen um mich.“

   „Ich weiß.“

   „Ich habe Link gebeten, mich derweilen zu vertreten.“

   „Er – was? Und er hat zugestimmt?“

   „Er hat doch erwähnt, dass er schon mit dem Gedanken gespielt hat, Bürgermeister von Ordon zu werden und dass er das nur verworfen hat, weil er zu mir zurückkehren wollte.“

   „Warte – ja – irgendetwas klingelt da. Ganz leise.“

   „Schön.“, lächelte Kafei und küsste sie kurz. „Hoffen wir, dass ich das zum letzten Mal in den nächsten hundert Jahren machen muss. Ich erwarte auch noch ein Schreiben aus Labrynna. Und – von Ethchji ist nichts gekommen, oder?“

   „Warum fragst du mich ständig nach der Post? Miluna ist dafür zuständig.“

   „Sie war gerade auf der Toilette und ich wollte nicht warten. Du weißt ja, wie lange sie immer braucht.“

   „Hm. Ja. Ich frage mich ehrlich, was sie immer dort drinnen macht.“

   „Wer weiß, vielleicht präsentiert sie uns einmal eine Kiste voll Toilettenpapiertierchen.“

   „Und was erwartest du bitte vom Schmied?“

   „Ach nichts. Es hätte mich ohnehin gewundert, wenn er schon fertig ist.“, er strich ihr sanft über die Wange und verließ den Gasthof wieder.

   „Hmm.“

   „Dieser Link – ist der zufällig blond?“, fragte die Brünette und riss Anju aus ihrer Gedankenwelt.

   „Ach – Sie haben die beiden also schon zusammen gesehen?“

   „Ähm – zusammen trifft es. Wissen Sie – wie soll ich das sagen – es geht mich ja nichts an, aber wissen Sie, wie nahe sich ihr Mann und dieser Link stehen?“

   „Oh! Deshalb die Verlegenheit. Sie haben sie beim Küssen erwischt, oder? Ja. Ich weiß, es mag vielleicht seltsam wirken, aber wir führen eine ziemlich lockere Dreierbeziehung. Die beiden lieben sich wirklich und Kafei und ich lieben uns ebenfalls. Kafei ist der beste Mann, der mir passieren konnte. Er ist mein bester Freund, ein fantastischer Liebhaber und ein großartiger Vater. Link und ich stehen bei ihm an oberster Stelle. Dann kommen unsere Kinder und seine Eltern, der dritte Platz geht an sein Volk und am vierten stehen Kleider.“

   „Kleider?“, jammerte die Frau. „Und ich dachte, ich hätte mich verhört.“, fügte sie flüsternd hinzu.

   „Äh – ja. Er trägt gerne Kleider. Also wundern Sie sich nicht, wenn sie ihn einmal als äußerst glaubwürdige Frau sehen. Er ist beides, stolzer Mann und stolze Frau.“

   „Deshalb trägt er ein Diadem.“

   „Nein, nein. Das Diadem hat seiner Mutter gehört. Eigentlich sollte er eines wie – wie ich tragen! Meine Güte! Ich hab es ja noch immer auf!“, hastig vernichtete sie sich beim Abnehmen ihre Frisur und ließ das Insignium im Medaillon verschwinden. „Nur, eben etwas – etwas größer und einem Aufsatz, aber ein unbeweglicher König ist kein Nutzen für sein Volk.“

   „König? Ich dachte, Sie wären Bürgermeisterin?“

   „In erster Linie sind wir das Bürgermeisterpaar. Ikana regelt sich so gut selbst, dass wir nicht viel tun müssen. Aber Kafei steigert sich trotzdem sehr hinein und tut fast alles, um unseren Leuten zu helfen. Zumindest hat er jetzt Unterstützung von Link. Außerdem können es Kafei’s Eltern auch nicht lassen, uns nach wie vor zu helfen. So. Ich denke, wir können gehen, oder?“, sie strich sich noch einmal etwas grob die Haare zurecht.

   „Also doch. Was hab ich dir gesagt? Link.“, stellte die Blondine fest.

   „Der Name ist hier bestimmt nicht selten.“

   „Da muss ich Ihnen Recht geben. Ich hatte einmal einen Goronen, der zufällig auch so hieß und auch noch zur selben Zeit in die Stadt gekommen ist wie unser Link, der seinerseits erzählt hat, dass bereits weitere Goronen nach ihm benannt worden sind – oh – und unser Sohn. Aber den mussten wir inzwischen endgültig umtaufen, weil es einfach zu anstrengend gewesen wäre. Gut. Gehen wir?“

   „Ja. Sicher.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Als sie etwa zwei gemächliche Stunden später aus der Nord-Ost-Passage kamen, waren die beiden Frauen noch mehr von der Stadt begeistert. Anju stoppte vor der Tür des Rathauses.

 

   „Und bevor wir wieder zum Gasthof kommen, zeige ich Ihnen noch das Rathaus, da ich ohnehin unsere Sekretärin etwas fragen muss.“, sie öffnete ihnen die Tür und führte sie zum Tresen. „Die Tür auf der rechten Seite führt zu meinem Büro, die auf der linken Seite zu dem von meinem Mann. Miluna? Kafei hat irgendetwas von einem Schreiben aus Labrynna gesagt.“

   „Da ist noch nichts gekommen, Madame Anju.“

   „Und von Ethchji?“

   „Nein. Aber Link hat nach Ihnen gefragt.“

   „Oh. Ähm, Sie entschuldigen mich einen Moment?“, ihre Gäste vernichtigten die Entschuldigung mit laschen Gesten.

 

   Sie ging zu Kafei’s Büro, klopfte, wartete auf Antwort und trat ein. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Bücher. Link’s Gesicht war gerade noch hinter ihnen zu sehen.

 

   „Was gibt’s?“, fragte er.

   „Was machst du da?“

   „Ich bin auf der Suche nach dem Sinn des Lebens.“

   „Äh – “

   „Nein.“, kicherte er. „Ich plündere die Vergangenheit. Dotour schweigt sich ja aus. Und Kafei ist zu stolz, um sein Gehirn zu durchforsten, beziehungsweise hat, denke ich, ernsthaft Angst davor, mir das eine oder andere Detail zu verraten.“

   „Ach so. Ja, da könntest du Recht haben. Ich rate dir, nicht nachzustochern. Er kann sehr mürrisch werden, wenn man ihn bezüglich diverser – ähm – Schattenseiten seines Volkes bedrängt. Miluna hat gesagt, dass du nach mir gefragt hast?“

   „Ja. Aber das hat sich erledigt.“

   „Wenn das so ist – dann will ich dich nicht bei – was auch immer du plünderst, stören.“, lächelte sie.

   „Oh nein, nein. Ich brauch sowieso eine Pause. Was dagegen, wenn ich schon mit runter komme? Du gehst doch in den Gasthof? Die Zeit schreit nach Mittagessen.“, er stand auf und ging an ihr vorbei.

   „Ja. Geh ich.“, sie folgte seinem Blick zu den beiden Frauen, die sich über die Masken an den Wänden unterhielten.

   „Wer sind die beiden?“, fragte er in belanglosem Tonfall.

   „Nur Gäste im Eintopf. Ich hab ihnen die Stadt gezeigt. Sie – Link?“

 

   Er starrte wie gebannt die blonde Frau an. Sie bemerkte es und drehte den Kopf zu ihm. Konnte das sein? Konnte das wirklich sein? Sie sah ihr so ähnlich. Ja – sie waren beide noch sehr klein gewesen. Aber die Ähnlichkeit war trotz des Alters verblüffend. Auch kamen ihm ihre Augen so vertraut vor. Zögernd ging er langsam auf sie zu, währenddessen sie sich ganz zu ihm drehte. Sie sahen einander nur tief in die Augen und wussten, dass sie sich nicht getäuscht hatten.

 

   „Aril?“, hauchte er leise.

 

   Ein freudiges Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als auch in ihre glasig werdenden Augen. Dann fielen sie einander in die Arme. Die anderen drei Frauen im Raum waren etwas verwirrt. Auch war es Kafei, der gerade zur Tür herein kam. Hauptsächlich war er verwirrt, da Link eine andere Frau als Anju umarmte und diese Umarmung rein gar nichts mit den kurzen, freundschaftlichen Gesten zu tun hatte, die es sonst bei Anju waren.

 

   „Ich dachte, du wärst tot – “, hauchte Aril. „Aber dann finde ich dich – hier – “

   „Das dachte ich auch oft. Aber ich bin immer wieder aufgestanden. Wie geht’s dir? Wie hast du mich gefunden?“

   „Es war – Zufall – ich bin nur mit Doria hier her gekommen, um mir den Markt anzusehen.“, sie nickte kurz zu ihrer Freundin. „Und der erste den ich in dieser Stadt sehe bist du. Ich dachte, ich würde träumen. Bist du es wirklich?“

   „Ja.“

   „Dann geht’s mir blendend.“, lächelte sie weinend und Link wischte ihre Tränen ab. „Ich sehe, dir auch? Wie kommst du überhaupt hier her? Was ist aus Mutter und Vater geworden? Wieso seid ihr nie mehr zurück?“

   „Sie – sind wirklich tot.“, hauchte er traurig. „Deshalb sind wir nicht wieder zurück. Der Rest ist einfach nur langatmig und nicht im Stehen abhandelbar.“, er lächelte wieder. „Wie geht’s Großmutter?“

   „Ach – sie ist vor drei Jahren gestorben. Sie hatte einen sehr friedlichen Tod. Wir waren spazieren und haben uns unter unseren Lieblingsbaum gesetzt. Kannst du dich noch an ihn erinnern?“

   „Ja. Der, der nie mehr als eine handvoll Blüten hatte. Hier.“, er holte das Medaillon hervor, das er von Dotour bekommen hatte, dessen leuchtend grüner Stein kleine, punktartige, gelbe Einschlüsse hatte.

   „Das ist er!“

 

   Aril japste aufgeregt, genau so wie er sie in Erinnerung hatte, nur der Strand fehlte. Der Strand de er so genau in Erinnerung hatte, selbst nach all den Jahren. Der Strand, der viel wärmer war als in Termina, die Luft weniger frisch aber stickig mit einem heimeligen Geschmack von Salz und dem süßen Duft von Palmen, Krabben und Muscheln. Eine alles umgebende schlichte Weite die dennoch keine unerträgliche Einsamkeit schuf. Und er war sich sicher, dass er noch immer genau so fühlen würde, sollte er eines Tages auf die Insel zurückkehren.

 

   „Das ist unser Baum! Genau so leuchten die Blätter in der Mittagssonne! Und die Einschlüsse haben genau die Farbe der Blüten!“

   „Ja.“

   „Jedenfalls, sie hat auf den Ozean gesehen, lächelnd die Augen geschlossen und ist eingeschlafen.“

   „Das – das ist schön.“, lächelte Link, ebenfalls Tränen in den Augen. „Ich wünschte, ich hätte sie noch einmal gesehen. Aber es war mir anscheinend nicht bestimmt. Auch hätte ich nicht gedacht, dass ich dich noch einmal sehe. Auch nicht jetzt, wo Termina einen ordentlichen Hafen hat. So sehr man auch versucht, sich los zu reißen, es kommt immer etwas dazwischen.“

   „Das kenn ich nur zu gut.“

   „Davon kannst du dich wohl nicht trennen?“, er fuhr ihr durch die dichten Stirnfransen.

   „Nein. Sie gefallen mir. Und sie erinnern mich immer an damals.“

   „Und die hier?“, er ließ seine Zeigefinger über die vielen silbernen, kleinen Ringe und Kettchen an ihren Ohren wandern.

   „Ich steh auf Schmerzen.“, lächelte sie künstlich gequetscht. „Nein. Ich bin verrückt nach Ohrringen.

   „Und auch noch einer in der Nase.“

   „Ja. Aber du magst Ohrringe auch, wie ich sehe?“

   „Ist doch nur einer in jedem Ohr. Aber ich denke, es ist mein Schicksal, Ohrringe zu tragen.“

   „Schicksal?“

   „Lange, langweilige und sinnlose Geschichte. Nur ein lächerlicher Gedankengang von mir. Steht in Kapitel fünf meines Lebens.“

   „Was? Hat etwa jemand ein Buch über dich geschrieben?“

   „Nicht, dass ich wüsste. Aber irgendein Idiot in meinem Hirn hat mich dazu überredet, mein Leben in nummerierte Kapitel einzuteilen, damit ich mir leichter merke, wann mir was auf den Kopf gefallen ist.“

   „Bei den Winden. Und – wie kommt es bitte, dass du mit dem König von Ikana zusammen bist?“

   „Das musst du schon ihn fragen.“, gluckste Link. „Er hat mich immerhin zuerst geküsst. Habt ihr euch etwa schon kennen gelernt?“

   „Nicht ganz.“, entgegnete dieser.

   „Ist das Rad da?“, fragte Link.

   „Ich hab’s schon eingebaut. Das alte Rad hab ich klein gehackt. Ein paar frische Scheite für alle.“

   „Wieso weißt du von dem Rad und ich nicht?“, fragte Anju Link entrüstet.

   „Es tut mir leid, ja?“, lächelte Kafei schief. „Ich dachte, ich hätte es dir gesagt. Also, Link. Stellst du uns einander nun endlich vor?“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Das Mittagessen hatte eine Stunde länger gedauert als erwartet. Als sie den Gasthof wieder verließen, gingen Kafei und Anju zum Rathaus. Kaum waren sie verschwunden, kam Cremia mit Nachschub für die Bar. Sogleich fand sich Doria als unfreiwillige Helferin eingeteilt. In einem unachtsamen Moment zog Link Aril durch die Passage und ließ die anderen beiden Frauen mit der Arbeit zurück. Er wollte mit seiner Schwester alleine sein. Also schlenderte er mit ihr zum Waschplatz, wo sie sich auf ihren Umhängen in den weniger dichten Schnee unter dem Baum setzten.

 

   „Es ist zwar kein Meer, aber immerhin ist es Wasser.“, meinte er, als er ihren Blick sah. „Oder eher – Eis. Das ist einer von Kafei’s Lieblingsplätzen. Und ich muss sagen, ich mag ihn auch. Er wird immer seltener besucht, was einerseits schade ist, aber auch positiv, da man so seine Ruhe hat, wenn man nachdenken will.“

   „Ich fasse es nicht, dass du der Held bist, von dem alle Welt spricht.“, sagte sie monoton.

   „Ich auch nicht.“, entgegnete er nicht minder leblos.

   „Mutter wusste also, warum sie dir so einen dummen Namen gegeben hat. Sie hat wohl die Verbindung zum Großen Helden gespürt.“

 

   Sie sahen einander an und mussten lachen. Als sie sich beruhigt hatten, legte Link seinen rechten Arm um Aril und sie lehnte sich an ihn.

 

   „Das ist seltsam. Du hast mich heute zum ersten Mal umarmt. Auch das hier ist nicht der Link, den ich in Erinnerung hatte. Naja – viel Erinnerung ist da nicht, aber das was ich noch von dir gewusst habe, war doch anders.“

   „Ich bin eben erwachsen geworden, falls man das so nennen kann. Und das was andere meine Kindheit nennen würden, hab ich zumindest einmal verschlafen und die restlichen Male verkämpft oder mit Arbeiten verbracht.“

   „Tja, so spielt das Leben. Weißt du, ich wollte vorhin nichts sagen. Ich weiß nicht, wie ich das Doria erklären soll. Diese Ironie. Sie ist auch verheiratet, weißt du? Und hat zwei Kinder.“

   „Sag jetzt nicht – “, er starrte mit offenem Mund auf sie herab, sehr wohl verstehend, worauf sie anscheinend hinaus wollte.

   „Ironie, ja. Nur, dass sie nicht einen Hauch von – sie ist absolut kein Kafei. Sehr abgeneigt gegenüber solchen Dingen. Sie sieht Homosexualität als Krankheit.“

   „Oh. Das ist hart. Faszinierend, diese Ironie.“

   „Ja, oder?“

   „Ja, das ist es. Ausgerechnet heute, da du versprochen hast, pünktlich zu sein. Und ich habe mich gefragt, warum du nicht pünktlich sein solltest.“, die beiden erschraken.

   „Verdammt!“, fauchte Link zu sich. „Tut mir so leid – ich hab total auf dich vergessen – “

   „Und wer ist das?“, fragte Sirileij und stellte sich mit verschränkten Armen vor die beiden.

   „Das ist Aril. Meine Schwester.“

   „Oh.“, sie ließ die Arme sinken und setzte sich ebenfalls in den Schnee. „Dann musst du dich nicht entschuldigen. Ich bin Sirileij.“, sie bot ihr die Hand an. „Link’s Meisterin.“

   „Meisterin?“

   „Ich hoffe, du bist noch aufnahmefähig.“, jammerte Link und kniff die Augen zusammen.

   „Na – immer her mit den Details!“, gluckste Aril. „Ich will ganz genau wissen, was du in den letzten fünfzehn Jahren getrieben hast.“

 

 

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