- Kapitel 12 -

Lebenswege

   Kafei beobachtete die Bewegungen der kleinen Blätter über ihnen, die kaum erkennbar im sachten Lüftchen wiegten. Link folgte seinem Blick. Ein gelbgoldener Schmetterling fand seinen Weg in ihr Idyll im Paradies und setzte sich auf Link’s Knie.

 

   „Halt still.“, flüsterte Kafei und richtete sich auf.

 

   Ganz vorsichtig bewegte er seine Hand auf den Schmetterling zu und schaffte es tatsächlich, ihn auf seine Finger zu heben. Noch vorsichtiger legte er sich wieder hin und sie studierten fasziniert jede Schuppe des empfindlichen Geschöpfs.

 

   „Na ishrinoij“, flüsterte Kafei dem Schmetterling zu, der wieder abhob und durch ein Loch das Gebüsch verließ.

   „Was hast du ihm gesagt?“

   „Dass er uns nicht verraten soll.“

   „Was?“, kicherte Link.

   „Man weiß ja nie. Lust auf Wasser?“

   „Durst vor allem.“

 

   Link verstaute das Öl und krabbelte Kafei hinterher. Er konnte sich nicht ganz beherrschen und gab ihm einen Kuss auf die rechte Pobacke, woraufhin Kafei einen kleinen Lachanfall bekam und sich, zu ihm zurückblickend, auf den Weg fallen ließ. Link krabbelte einfach weiter, bis er direkt über ihm war, die Unbekümmertheit immer mehr genießend. Ja, wenn jetzt ein Wanderer gekommen wäre und sie so hier liegen gesehen hätte, noch dazu, da sie es sich nicht nehmen ließen, wieder einmal ihre Lippen zueinander zu führen. Aber wie viele Wanderer kamen hier schon vorbei? Eine Weile rieben sie nur ihre Nasen aneinander, bis Kafei Link von sich rollte, aufstand und ihm die Hand reichte.

   Laufend zog er ihn weiter den See entlang. Das Rauschen der Wasserfälle wurde lauter und der Weg bald mehr Klettersteig über Wurzeln und Felsen. Dennoch war er leichter zu erklimmen als der Uhrturm. Link hoffte nur, dass er nirgends abrutschte. Die Abschürfungen die dadurch entstehen konnten, wollte er sich gar nicht ausmalen. Kafei kannte den Weg in- und auswendig. Ohne Probleme kletterte er den leichtesten Weg voraus, immer darauf achtend, dass Link ihm auch mühelos folgen konnte. Irgendwann wurde es nasser, aber nicht lange und sie kletterten nur noch in einer breiteren Felsspalte nach oben. Sie verließen die Spalte und traten auf eine große Felsplatte. Vor ihnen schnellte das Wasser vorbei und stürzte in die Tiefe. Link trat an den Rand und sah hinab.

   Es war in etwa gleich hoch wie der höchste Sprung, den er während seinem ersten Langversuch, Hyrule zu retten, im so nicht mehr existierenden Gerudotal gemacht hatte – also nicht sonderlich schlimm. Das Wasser war hier bestimmt noch tiefer als es dort gewesen war. Dann tat Kafei allerdings etwas, das schlichtweg verrückt war. Die schwarz glänzenden, das Wasser trennenden Felsen waren oben alle gleich hoch und fast ebenmäßig flach. Kafei nahm Anlauf und sprang einfach über die erste Abzweigung hinweg. Gekonnt landete er auf der anderen Seite und grinste zurück. Noch verrückter, er machte Link ganz deutlich klar, ihm zu folgen. Es war durchaus weit, rutschig und er hatte ohne Stiefel, oder zumindest Schuhe, so gut wie kein Gefühl für Halt, da er solche Dinge nie mit bloßen Füßen gemacht hatte. Zwar hatte er beim Aufstieg üben können, aber auf so etwas war er nicht vorbereitet.

   Er wusste aber insgeheim, dass Kafei ihn nie dazu aufgefordert hätte, wenn der See unterhalb der ersten Plattform tief genug gewesen wäre. Er fasste allen Mut zusammen und nahm ebenfalls Anlauf. Genau an der Kante sprang er ab. Gerade noch berührten seine Füße hart den Stein. Kafei langte nach seinem Arm und zog ihn sicher zu sich, bevor er rückwärts kippen konnte. Kafei ging noch weiter. Zumindest waren zwischen den nächsten beiden Plattformen weitere Steine, sodass sie relativ gefahrlos hinübersteigen konnten. Dort setzte Kafei sich hin, zog Link zu sich herab und gab ihm eine kleine Verschnaufpause, in der sie den Ausblick genießen konnten.

   Hinter dem See konnten sie in der Ferne die Felsentürme über die Hügel ragen sehen. Flussaufwärts machte das wilde Wasser eine Rechtskurve in die Schlucht hinein. Eine Weile sah Link ihren beiden Pferden beim Schlafen zu. Durch die Baumkronen hindurch konnte er gerade noch erkennen, wie sie am Uferweg lagen, die Köpfe zu Boden gesenkt. Kafei rückte an ihn heran und schloss ihn zärtlich in die Arme. Kuschelnd saßen sie eine Weile nur da, bis der Stein doch etwas zu kalt wurde. Sie standen gemeinsam auf und gingen zur Kante, die Blicke dem Wasser folgend.

 

   „Dein Gehirn hat mir gesagt, dass du schon öfters so hoch gesprungen bist?“

   „Ja. Das tue ich eigentlich gerne. So lange ich auf tieferes Wasser zuspringe. Der Uhrturm war mir nicht ganz geheuer.“

   „Ich weiß. Der Adrenalinschub ist anfangs gewöhnungsbedürftig, macht aber irgendwie süchtig.“

   „Das kenn ich.“

   „Tatsächlich?“

 

   Sie sahen sich kurz verträumt in die Augen, um danach in eine innige Umarmung zu verschlingen und wieder etwas Speichel auszutauschen. Kafei stöhnte kurz auf, als Link ihm in einem Zug über die Mandeln und den Gaumen zu den oberen Schneidezähnen leckte und weiter hinauf bis zur Nasenspitze, wobei sie dann beide kichern mussten.

 

   „Kann es sein, dass deine Zunge mit jedem Mal länger wird?“

   „Ich dehne sie konsequent wenn niemand hinsieht.“, scherzte Link und zog demonstrativ daran, rutschte aber logischerweise ab und lachte mit Kafei mit, der den Kopf schüttelte und ihm übers Gesicht strich, wobei er besonderen Augenmerk auf Link’s Kinn richtete. „Ich weiß. Ich sollte mich rasieren.“

   „Nein. Mir gefallen diese unscheinbaren Stoppel.“

   „Mir aber nicht.“, schmollte Link. „Sag – du hast mich ja gar nicht gefragt, wie es war.“

   „Das hab ich gehört. Da braucht man nichts zu fragen.“

   „Ich denke, ich schulde deinem Vater etwas.“

   „Ich auch. Springen wir gemeinsam oder einzeln?“

   „Einzeln und du zuerst.“, sagte Link und schubste ihn doch recht unverantwortlich von sich weg in die Tiefe.

 

   Kafei nahm es gelassen. Der Weg nach unten war weit genug, dass er sogar noch ein paar Salti und Schrauben einlegen konnte, bevor er kerzengerade mit den Armen voraus eintauchte. Link wartete bis er wieder auftauchte und sprang wie ein Adler hinterher. Auf Kunststücke verzichtend, da er sie ohnehin nicht gut genug beherrschte, genoss er den kühlen Gegenwind und durchstieß die Wasseroberfläche genau wie Kafei. Als er auftauchte, fehlte von diesem aber jede Spur.

   Plötzlich wurde er unter Wasser gezogen. Sehr verschwommen sah er eine Momentaufnahme von Kafei’s Gesicht näher kommen und wurde in einen tiefen, wilden Kuss gedrängt, dem er sich voll Vertrauen hingab. Allmählich ging ihnen aber doch die Luft aus und sie waren gezwungen, aufzutauchen. Das spritzende Wasser der Wasserfälle prasselte ihnen trotz der Entfernung auf die Köpfe und sie wurden Arm in Arm leicht abgetrieben.

   Mit den Füßen sacht paddelnd hielten sie sich an der Oberfläche, von der Strömung langsam im Kreis getrieben und Link legte seine rechte Hand gegen Kafei’s Brust, wo er vorsichtig den blauen Steinspitz, den er ihm am Vormittag wieder zurückgegeben hatte, zwischen die Finger nahm. Kafei senkte den Kopf zur Hand seines Freundes, sah ihm aber gleich wieder ins Gesicht, ohne den Kopf zu heben. Seinen Ausdruck nicht ändernd, lehnte er seine Stirn nach vorne an die von Link, der ihm leicht erschrocken in die Augen sah.

 

   „Was ist los?“, hauchte Link.

   „Nichts.“, meinte Kafei nur belanglos. „Gefällt er dir?“

   „Schon irgendwie.“

   „Mir auch.“, sagte Kafei monoton.

   „Wa- “, Link begann zu lachen und Kafei stieg ein.

   „Es ist Tradition, dass jeder und jede Shiekah zur Geburt einen kleinen, in irgendeiner Art achteckig geschliffenen Stein in der Farbe ihrer Haare als Anhänger bekommen. Den Grund, warum es ausgerechnet die Haarfarbe ist und warum überhaupt, kenne ich nicht. Vermutlich kennt ihn keiner mehr. Ist dir der Ring mit dem flachen, schirmartigen, sandfarbenen Stein an Zelda’s Hand nicht aufgefallen? Sie hat ihn umfassen lassen, damit sie ihn unter ihren Handschuhen versteckt tragen kann. Hier hat sie eigenartigerweise darauf verzichtet.“

   „Ich hab nie so genau auf ihre Hände geachtet.“, meinte Link und wandte den Kopf nachdenklich von Kafei ab. „Auch denkt man bei einem Mädchen, das Schmuck trägt, nicht automatisch daran, dass es ein Zeichen ihrer Herkunft sein könnte. Mit Ausnahme von Diademen oder offensichtlichen Symbolen.“

   „Jetzt weißt du es zumindest. Kein anderes Volk trägt achteckig geschliffene Steine.“

   „Nicht?“, schnellte Link’s Kopf zurück.

   „Nein.“

   „Warte – der Kokiri-Saphir ist achteckig.“

   „Ich weiß.“, lächelte Kafei schelmisch

   „Die wurden von den Shiekah gemacht?“

   „Braver Junge.“

   „Das – whow.“

   „Jetzt tu nicht so überrascht. Du müsstest schon längst wissen, dass wir überall unsere Finger im Spiel haben.“, er tippte Link mit dem Zeigefinger kurz auf die Nasenspitze.

   „Ja. Du vor allem.“

   „Was dagegen?“, er legte die Fingerkuppe sanft auf Link’s Lippen. „Offenbar nicht.“, gluckste Kafei, da Link seinen Finger in den Mund nahm und mit geschlossenen Augen genussvoll herumleckte. „Darf ich dir ein Geschenk machen?“, Link stoppte und sah ihn, den Finger noch im Mund, groß an.

   „Hm?“

   „Schau mich nicht so an.“, lachte Kafei und zog seinen Finger zurück.

   „Ich schau dich nicht so an.“, jammerte Link. „Was auch immer `so´ ist.“

   „Also?“

   „Was ist es?“

   „Schließ die Augen, hol tief Luft und lass mich nur machen, in Ordnung?“

 

   Link nickte und tat wie geheißen. Kafei zog ihn unter die Wasseroberfläche. Er spürte, wie Kafei ihm die Hand auf die Augenlider legte. Ein leichtes Ziehen in seinen Augen und Kafei strich mit der Hand herunter. Link ließ die Augen weiterhin fest geschlossen, bis er Kafei’s Stimme in seinem Kopf hallen hörte, die ihm sagte, dass er sie öffnen konnte. Er erschrak und schluckte Luft. Kafei’s Gesicht war gestochen scharf. Er kniff die Augen noch einmal zusammen und öffnete sie erneut, nicht glaubend, was er sah. Ihm ging die Luft aus. Kafei merkte es und lieh ihm etwas von seiner. Als Kafei grinste, traten ein paar kleine Luftblasen aus seinen Mundwinkeln. Schillernd trieben sie nach oben und platzten an der Oberfläche. Jetzt wurde auch Kafei’s Atemluft knapp und er zog Link mit nach oben.

 

   „Bleibt das?“, keuchte Link.

   „Ja, das bleibt.“, kicherte Kafei ob seinem Blick und der Frage.

   „Du bist ein Gott.“

   „Nein. Das sind nur, wie Nérimlath sie nennt, Straßenkünstlertricks. Ich weiß ja, dass ihr Hylianer unter Wasser blind seid, wie ein Gorone der zu oft hintereinander gegen eine Wand gekracht ist.“

   „Oh ja. Das kann ich sogar auf Erfahrungen beruhend bestätigen.“

   „Tatsächlich? Bist du ein ungeschickter Gorone?“

   „He. Aller Anfang ist schwer, ja?“

   „Schon gut. Ich wollte dir eigentlich was zeigen. Wenn du schon hier bist, musst du das auch gesehen haben.“

   „Muss ich wieder so lang die Luft anhalten?“

   „Du hältst die Luft eigentlich ziemlich lange, so viel ich weiß. Leider hattest du in meiner Anwesenheit noch nicht wirklich die Gelegenheit dazu.“

   „So kann man es auch ausdrücken.“, schmunzelte Link.

   „Bereit?“

 

   Sie atmeten beide tief durch und holten danach so viel Luft wie nur möglich. Kafei zog Link wieder nach unten. Dieser sah sich um. Der von der bereits tief stehenden Sonne beleuchtete Himmel ließ das kristallklare Wasser fahl golden schimmern. Der See war tatsächlich tief und verlor sich nach unten beinahe. Die steilen Hänge des Grundes waren dicht bewachsen. Solche Pflanzen hatte Link noch nie gesehen. Es waren kleine Algen, aber auch kleine Gräser. Manche wuchsen in Büscheln. Schillernde Fische schwammen um das Paar herum. Link fiel ein, dass er sich noch nicht einmal bei Kafei für dieses unbezahlbare Geschenk bedankt hatte. Nun zog er ihn nach oben und tat dies mit dem zärtlichsten Kuss, den er auf die Schnelle zustande brachte.

 

   „Gern geschehen.“, kicherte Kafei leise in einer kurzen Pause. „Darf ich weiterzeigen? Diesmal brauchst du noch etwas mehr Luft.“

   „Ich hatte genug Luft.“

   „Gut.“, grinste Kafei.

 

   Er tauchte in etwa sechs Ellen Tiefe auf die Wasserfälle zu. Link sah ein finsteres Loch. Kafei konnte zwar im Dunkeln sehen, da er aber wusste, dass Link es nicht konnte, erschuf er einen kleinen Lichtball und ließ ihn neben sich hertreiben. Der Tunnel war recht lang und kurvenreich. Allmählich wurde Link’s Luft doch knapp. Kafei stoppte, zog die Beine ein, drehte sich um und gab Link wieder einmal etwas Luft ab. Wie groß waren die Lungen dieses Mannes nur? Sie tauchten weiter um noch zwei Kurven und fanden sich in einem großen Becken wieder. Kafei tauchte auf und Link folgte ihm so schnell er konnte, da ihm schon wieder die Luft ausging. Gerade rechtzeitig erreichte er die Oberfläche.

   Sie befanden sich nun in einer stockdunklen Grotte. Das Licht zwischen ihnen schien mystisch und beleuchtete sie unheimlich. Kafei schickte es in die Luft und vergrößerte es ein wenig. Link stockte der Atem noch mehr als gerade eben. Die Grotte war weitaus größer als er angenommen hatte. Nicht weit von ihnen waren die Felsen in Wassernähe eben. Terrassenartig zogen sie sich höher. Mehrere Gänge verloren sich in der Dunkelheit. Die Terrassen waren eindeutig eingehauen und die Gänge bearbeitet worden. Überall durch das Gestein zogen sich schillernde blaue und grüne Metalladern, wie eine Kuppel aus systemlosen Spinnennetzen. Link wusste, welches Metall es war.

 

   „Die Miene ist schon lange stillgelegt, da man anderswo größere, qualitativ hochwertigere Adern gefunden hatte. Sie wurden aber auch stillgelegt, da die Sasziradern erschöpft waren. Die Eingänge zu dieser hier wurden geschlossen. Man kommt also nur noch durch den Tunnel hinaus, durch den wir gerade gekommen sind. Er wurde angelegt, damit die Lufterneuerung besser ist. Diese Metalle haben den Vorteil, dass sie weder gegen Luft noch Wasser empfindlich sind. Sie sind quasi für die Ewigkeit. Ich wünsche auch, ich wüsste, wo man sonst noch Saszirstaub herbekommt.“

   „Ich liebe dich mehr als alles andere existierende.“, hauchte Link. „Und ich bin nicht einmal in der Lage, mich gebührend für all das erkenntlich zu zeigen, das du mir gegeben hast.“

   „Das musst du nicht. Niemals. Ich tue das, weil ich dich an meinem Leben teilhaben lassen will. Aber ich wüsste etwas, das du tun könntest, um die Schönheit meines Lebens aufrecht zu erhalten.“

   „Pass auf oder du wirst noch süchtig.“

   „Ich bin bereits süchtig.“

 

   Er ließ das Licht in der Mitte der Grotte schweben, schwamm ans Ufer und kletterte auf die erste Terrasse, wo er sitzend auf Link wartete. Der Boden war ungewöhnlich eben und weder sonderlich rau noch rutschig. Kafei ließ Link einen paar Augenblicke zum Staunen, bevor er ihn sachte zu sich zog. Die nächsten Minuten versanken sie regelrecht in ihrem Kuss und den mit unendlicher Liebe erfüllten Streicheleinheiten.

 

   „Lust auf ein kleines Experiment?“, flüsterte Kafei, als Link nach diesen Minuten die berüchtigte Flasche hervorholte.

   „Im Wasser oder was?“

   „Nein. Ich will uns ja nicht ertränken. Kannst du die Tücher rausholen?“, Link öffnete das Medaillon erneut und breitete die Flugtücher übereinander auf dem kalten Stein aus.

   „Warte.“, Kafei faltete sie wieder zwei Mal zusammen. „Der Platz reicht. So schützen sie dein zartes Hinterteil mehr.“

   „Wie jetzt.“

   „Setz dich ganz normal hin.“

   „Normal?“

   „Du weißt schon – äh – schlechter Vergleich, ja. So wie der Postbote, wenn er übt.“

   „Das ist wohl ein unangebrachter Vergleich.“, lachte Link, tat es aber dennoch.

   „Schon eine Idee?“

   „Vage.“, grinste Link und Kafei bearbeitet sie beide mit dem Wundermittel.

   „Normalerweise sagt man ja so was nicht, aber in unserer Lage darf ich das, oder?“

   „Und was?“, Kafei setzte sich mit den Beinen um Link’s Taille auf dessen Schoß und lehnte sich an dessen aufgestellte Oberschenkeln an. „Mit Anju auf mir hat es funktioniert. Hoffen wir, dass diese Position variabel ist.“

   „Na du bist mir einer.“

   „Oder willst du was Schrägeres probieren?“

   „Nein, nein.“, tat Link mit großen Augen ab. „Gehen wir die Sache ruhig langsamer an. Für unsere Verhältnisse halt.“, kicherte er und half Kafei ein wenig, bis sie ihren Rhythmus fanden.

 

   Dieses Mal waren beide froh, dass sie in einer abgeschotteten Grotte waren. Andernfalls hätte man sie mit Sicherheit bis zu den Felsentürmen gehört. Dennoch hallte alles so laut an den Felsen wider, dass es ihnen fast in den Ohren wehtat. Kümmern tat es sie aber nicht wirklich. Nicht einmal Link machte sich etwas draus, dass Kafei sich so fest in seine Oberschenkel krallte, dass er schon blutete. Es war ihnen wirklich alles egal.

   Gelegentlich versuchten sie, ihr Stöhnen durch Küsse zu erdrücken – es half alles nichts. Beide kamen so heftig, dass sie fast ohnmächtig wurden. Kafei schoss ein regelrechter Stromschlag durch die Beine. Link erging es nicht viel anders. Völlig erschöpft fiel er keuchend rückwärts auf den kalten Stein und zog Kafei mit sich, der sich gerade noch rechtzeitig einrollen konnte, damit ihre Köpfe nicht aufeinander krachten. Geschafft, landete sein Kopf auf Link’s rechtem Schlüsselbein. Er ließ die Arme schlaff zu seinen Seiten fallen und Link schrie auf, als ihm der Schmerz bewusst wurde. Kafei zog die Arme zitternd zurecht und stemmte sich so gut es ging hoch.

 

   „Au.“, hauchte Link mit halb geschlossenen Augen, lachte aber flach.

   „Scheiße – “, erschrak Kafei, als er seine blutbeschmierten Finger sah. „Was? Das – nein – “, er wandte den Kopf so gut es ging um und sah das teilweise verwischte, noch immer langsam rinnende Blut an Link’s aufgestellten Oberschenkeln. „Nein!“, jammert Kafei. „Tut mir leid! Tut mir so leid!“

   „Macht nichts.“, lachte Link. „Das Opfer war es wert.“

   „Nein. Nimm das ja nicht so hin.“

 

   Er krabbelte etwas ungeschickt von seinem Liebhaber, drehte sich unbequem sitzend um und legte die Handflächen auf Link’s Wunden. Dieser spürte ein leichtes Ziehen und der Schmerz war weg. Er versuchte den Kopf zu heben, schaffte es aber nicht wirklich. Kafei drehte sich wieder zu ihm um und starrte ihn mitleiderregend an. Link lachte nur und schüttelte den Kopf. Der andere betrachtete entgeistert seine vollgebluteten Handflächen. Seine Augen schnellten kurz zu Link und wieder zurück. Dann leckte er interessiert über eine der Hände.

 

   „Kafei!“, kicherte Link. „Schmeckt’s?“

   „Leicht metallisch.“, überlegte Kafei, konnte ein Lachen aber ebenfalls nicht ganz zurückhalten.

   „Sei nicht so kindisch und komm her zu mir.“, lächelte Link und zog ihn ohne viel Widerstand auf sich.

   „Es tut mir leid.“, wiederholte Kafei.

   „Halt die Klappe. Ich liebe dich. Egal, ob du mich massakrierst oder nicht.“

   „Soll ich dir was sagen?“

   „Was denn?“

   „Und glaub mir bitte. Das ist die vollste Wahrheit.“

   „Sag schon.“

   „Das war der beste Sex meines Lebens.“, hauchte Kafei.

   „Da kann ich dir nur zustimmen.“, seufzte Link.

   „Das war dein drittes Mal.“, raunte Kafei. „Ehrlich, Junge. Du musst schon einen klaren Strich zwischen nur Orgasmus und tatsächlichem Sex ziehen. Fang am besten gleich jetzt damit an.“

   „Trotzdem.“

   „Wir sollten uns wirklich ein bisschen einbremsen.“

   „Inwiefern?“

   „Sonst bekommen wir irgendwann Entzugserscheinungen, wenn wir mal einen halben Tag lang aussetzen.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Doch etwas erleichtert über das Ende des Ritts, stiegen sie vor der Stadt ab. Schon von Weitem war ihnen Musik an die Ohren gedrungen. Sie traten durch das Osttor und fanden den Platz belebt. Zwar war er nicht so dicht bevölkert wie am Vortag, aber die Gaukler unterhielten die Menge gekonnt. Jedoch hatte jemand die beiden entdeckt. Eine nur zu bekannte Stimme in nur zu bekanntem Tonfall hallte ihnen entgegen und die Musik erstarb.

 

   „Du! Wie kannst du nur! Anju liebt dich! Wo bist du gewesen? Sie kommt fast um vor Sorge und du spazierst hier gemütlich herein!“, brüllte Anidja quer über den Ostplatz und stampfte auf Kafei zu, alle Blicke auf sich ziehend. „Und ich gebe dir auch noch eine Chance, du nichtsnutziger Bengel! Es ist mir verdammt noch mal egal, was du bist! Das rechtfertigt nicht, dass du Anju das Herz – “, sie schliff kurz vor Link zusammen, der sich mit felsenfestem Blick schützend vor ihn stellte.

   „Wenn schon, dann brüll mich an. Es war meine Schuld.“

   „Link? Was – “

   „Es war meine Schuld, dass wir erst jetzt hier sind.“, log er ihr stur und überzeugend ins Gesicht. „Also hör auf, ihn anzuschreien. Sie hat sich sicher keine Sorgen gemacht. Ich wette, es war Sorrei, die sich gesorgt hat und ihre Schwester so lange vollgequatscht hat, bis sie Anila auf ihrer Seite hatte. Kann es einfach nur sein, dass du anfängst, deine Töchter zu verwechseln oder Anila sich gar keine Sorgen gemacht hat und du dir gar nur einbildest, sie – “

   „Nein. Sie hat sich Sorgen gemacht. Und du brauchst ihn nicht in Schutz nehmen.“

   „Ich nehme ihn nicht in Schutz. Ich sage nur, wie es war.“, sie wollte widersprechen. „Halt den Mund. Ich will es gar nicht hören. Weißt du, wie krank du alle machst?“, jetzt war es raus. „Nicht nur Kafei, auch mich und deine beiden Töchter. Selbst Romani und Cremia schweigen nur dazu und tun ihr Bestes, dich zu ignorieren. Das tun sie so gut, dass sie inzwischen schon auf Rim abgefärbt haben. Wir dachten, du hättest beschlossen, dich zu ändern. Aber da das nicht geht, kann ich nur wiederholen, was deine Tochter gesagt hat. Entweder du hältst die Klappe und gibst klein bei, oder du packst deine Sachen. Na und, dann übernimmt Kari. Bis zum nächsten Karneval findet Anju bestimmt jemand anderes. Vielleicht bleibt auch ihre Schwester endgültig hier. Es würde den beiden gut tun.“

   „Jetzt hat er auch noch dich vergiftet.“

 

   Der ganze Platz erschrak, als Anidja zu Boden ging. Wenige Fuß vor der Tür des Gasthofes schlug Anju-Anila die Hände auf den Mund, die anderen hinter ihr waren nicht minder geschockt. Sich die Handfläche reibend sah Link verächtlich zu Anidja hinab, die sich die Wange hielt. Tränen traten in ihre Augen, als sie schwer atmend aufsah. Er hatte nicht so fest zuschlagen wollen. Ihm war die Hand einfach ausgekommen. Vielleicht war es ihr eine Lehre.

   Link spürte Kafei’s Hand auf seiner Schulter. Instinktiv drehte er den Kopf in seine Richtung, aber nicht ganz. Dotour und Esra kamen über die Treppe hinuntergestolpert und besahen sich entgeistert das Szenario. Dotour’s Augen wanderte nur kurz zwischen Anidja und Link hin und her und er verstand. Anju stürmte in den Gasthof. Niemand sprach ein Wort. Kein Getuschel, kein Gemurmel der Passanten.

   Man hörte Anju die Treppe empor poltern. Nicht einmal zwei Minuten später kam sie zurück, mit einem großen, vollgestopften Reisesack über der Schulter. Die blanke Wut ins Gesicht geschrieben, stapfte sie auf ihre Mutter zu und knallte den Sack neben ihr auf den Pflaster. Anidja betrachtete den Sack kurz und sah zu ihrer Tochter auf.

 

   „Geh.“, sagte diese nur.

   „Was?“, hauchte Anidja.

   „Spreche ich deine Sprache nicht? Du sollst gehen.“

   „A-aber – “

   „Kein aber. Geh. Ich will dich nie mehr wiedersehen.“

   „Anju – “

   „Als Bürgermeisterin von Unruhstadt verweise ich dich dieses Gebietes von Termina. Du bist hier nicht länger willkommen.“

   „Anju – ich.“

   „Das ist mein letztes Wort. Steh auf, nimm deine Sachen und geh, bevor ich dich von den Wachen gewaltsam aus der Stadt werfen lassen muss.“, sie sah kurz zur Stadtmauer hoch, woraufhin einer der Wachposten eine Leiter nach unten ließ und auf den Platz kletterte.

   „Das kannst du nicht mit mir machen!“, jammerte Anidja und hievte sich auf. „Ich bin deine Mutter!“

   „Da musst du dich täuschen. Ich habe keine Mutter mehr. Meine Mutter ist tot.“

   „Anju – “

   „Geh jetzt.“

   „Ich bitte dich!“, flehte sie unter Tränen.

   „Wachen, schafft mir diese Frau aus den Augen und sorgt ab sofort dafür, dass sie nie wieder einen Fuß in diese Stadt setzt.“

 

   Die beiden Männer lehnten ihre Speere an die Mauer, packten die protestierende Anidja unter den Schultern und drängten sie zum Tor, einer von ihnen ihr Hab und Gut hinter sich herschleifend. Link und Kafei drehten sich ihnen nach und sahen, wie die Wachen die stärkere Frau verachtend auf den sandigen Boden vor der Stadt stießen, ihr Gepäck an ihrer Seite absetzend. Dann gingen sie schweigend zurück auf ihre Posten. Sie rappelte sich hoch, schwang ihren Sack über die Schulter und warf einen letzten Blick in die Stadt zurück. Dann verschwand sie gen Süden außer Sicht. Anju atmete auf und ließ die Schultern und den Kopf sinken. Kafei trat hinter Link hervor und zog sie in seine Arme. Eine Weile hing sie nur Schlaff gegen ihn. Sie sah auf und küsste ihn mit einem Lächeln.

 

   „Es ist vorbei, Schatz.“, Kafei nickte und sie legte ihm die rechte Hand auf die Wange. „Ich hoffe, du weißt, dass Link richtig lag. Ich hab mir keine Sorgen gemacht. Warum auch? Du kannst auf dich aufpassen. Außerdem war er bei dir. Ich liebe dich und kenne dich. Ich weiß, dass ich mir um dich keine Sorgen machen muss.“

   „Ich liebe dich auch.“

   „Link?“, sie löste sich aus den Armen ihres Mannes und ging auf ihn zu. „Ich danke dir von ganzem Herzen.“, sie nahm ihn sanft an den Schultern und gab ihm einen Kuss auf die Wange, wobei Link leicht überrascht zu Kafei sah. „Und ich danke den Mächten des Himmels dafür, dass sie dich uns gegeben haben.“

   „Dank, wem du willst. Ich schließ mich dir an.“, seufzte Link nur und bemerkte etwas. „Wo ist Zelda?“

   „Oh. Ja.“, sie ließ die Arme sinken. „Fort.“

   „Äh – was? Wohin?“

   „Sie musste zurück nach Hyrule. Ein Notfall. Aber keine Sorge. Sie hat gesagt, es wäre rein politisch. Nur irgendwelche Komplikationen bei einer Einteilung von was auch immer. Sie wünscht dir alles Gute und – “, einen Moment brach sie nachdenklich ab, „Viel Glück bei deinem Neuanfang in Ordon.“

 

   Schweigend starrten sie alle an. Nur Kafei nicht. Er wandte den Blick gen Boden. Link verstand genau so wenig, was das sollte, wie die anderen. Nur Kafei schien etwas zu wissen, das er versucht hatte zu verschweigen.

 

   „Es tut mir so leid, Link.“, hauchte er.

   „Was?“, bekam er von diesem als Reaktion.

   „Es tut mir leid. Ich hätte es dir sagen sollen.“

   „Wie – was hat das zu bedeuten? Warum will Zelda, dass ich nach Ordon gehe?“

   „Sie wissen beide, dass du bis jetzt nicht wirklich ein Leben hattest. Ordon ist abgeschottet. Dort kannst du dir ungestört eine neue Identität aufbauen. Niemand kennt dich dort. Es wäre nur zu deinem Besten. Wenn ihr euch wieder begegnen solltet, wird sie es dir selbst sagen. Du musst nur wissen, dass sie mich gewarnt hat. Sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Sie wollte zu dir, ja, aber sie hat unsere Gefühle füreinander erkannt und hat mich gewarnt, dass so etwas womöglich passieren könnte. Es kam nur überraschend, wie schnell es passiert ist. Es tut mir leid. Mehr hat sie mir auch nicht gesagt. Nur, dass das hier erst der Anfang ist. Diese Kreatur war ein Vorbote. Es wird wieder Ruhe einkehren. Doch dann wird alles Schlag auf Schlag gehen. Sie können dir nicht viel tun. Du bist von Farore gesegnet. Aber sie können denen schaden, die dir nahe stehen und dich dadurch verwundbar machen.“

   „Wer hat dir das gesagt? Diese Frau? Wen meint sie? Warum?“

   „Das weiß ich nicht. Der Name `Zanto´ ist gefallen, auch wenn ich nicht weiß, wer oder was das ist. Und sie hat Ganondorf erwähnt. Ich schätze, wir stehen kurz vor dem letzen Akkord. Irgendwas Großes ist im Gange. Eine Finsternis, eine schlummernde Bestie im Nebel der Ungewissheit. Aber vorerst haben wir nichts zu befürchten. Die Ruhe vor dem Sturm hat begonnen. Wir dürfen aufatmen, müssen aber bereit bleiben.“, Link nickte.

   „Aber ich werde nicht nach Ordon gehen.“

   „Das wirst du.“, Kafei sah ihm endlich ins Gesicht. „Ich weiß, das wird nicht leicht. Aber du musst. Das ist deine einzige Chance, uns zu retten. Vergiss dein Leben und fang ein neues an.“

   „Das – weißt du, was du da von mir verlangst?“, jammerte Link.

   „Ich weiß, was ich von mir selbst verlange. Link. Du weißt, dass du deinem Schicksal nie entfliehen konntest. Du bist der größte Feind der Dunklen Mächte. Weißt du warum? Es sind nicht nur deine Fähigkeiten. Es gibt Unzahlen von anderen Leuten, die mächtiger sind. Aber die Dunkelheit fürchtet deine Willenskraft. Sie fürchtet deine Fähigkeit zur bedingungslosen Liebe und Aufopferung. Sie haben es auf Hyrule und vielleicht auch auf Termina abgesehen. Wenn du hier bleibst, wird der Schlag vernichtender sein als nötig, nur um dich zur Strecke zu bringen. Ich bitte dich. Tauch unter und lindere dadurch das Leid. Vater.“, wandte er sich nun an Dotour. „Du hattest Recht. Ikana braucht einen König. Und wenn der Moment kommen sollte, Termina vor den Heerscharen der Finsternis zu retten, werde ich es als solcher führen. Derweilen – “, er richtete sich an die beobachtende Menge, „Feiert weiter. Ich weiß nicht, wie lange wir noch einen Grund dazu haben.“, er drehte sich wieder zu Link, reichte ihm die Hand und führte ihn in den Gasthof.

   „Oh.“, Link sah auf die Uhr an der Rezeption, die bereits fünf Minuten nach Mitternacht anzeigte. „Das war’s. Du hast versagt.“

   „Was?“, stockte Kafei, folgte seinem Blick und lachte kurz auf, da er verstand. „Nein. Nicht unbedingt, oder? Das letzte Mal war locker drei wert. Komm. Gehen wir deine Sachen packen.“

 

   Sie brauchten nicht lang dafür. Link beschloss, umzudisponieren. So leerte er seine Mütze und steckte alles in das Medaillon. Er wollte sich schon ausziehen um seine Kampfkleidung überzustreifen, doch Kafei hielt ihn auf.

 

   „Das lässt du schön sein.“, Kafei nahm eines der beiden Leintücher die Link ihm zurückgegeben hatte und wickelte das Gewand, als auch seine Waffen darin ein.

   „Was hast du vor?“

   „Sag ich dir noch. Behalt das an und komm mit in unser Bad. Aber vorher muss ich dafür sorgen, dass du nicht verhungerst.“

 

   Link sagte zwar nichts dazu, aber die Menge an Proviant die Kafei einpackte, reichte leicht für zwei samt Pferden, für einen ganzen Tag.

   An seiner diskutierenden Familie vorbei führte er Link durch die wieder musikalisch untermalte Oststadt und hinauf zum Rathaus. Im Bad angekommen, legte Kafei das Bündel ab, schnappte sich den Hocker und setzte Link darauf. Dann hob er dessen Haare hoch und breitete ihm ein Handtuch um die Schultern. Kafei ging zu einem Schrank und Link protestierte, als er die Schere in seiner Hand sah.

 

   „Nein! Das wirst du nicht tun!“

   „Sei still. Ich weiß, was ich tue. Sie sind vielleicht schön, aber ungleich und die Spitzen sind total kaputt. Wenn du willst, dass sie wirklich schön wachsen, müssen sie weg und du solltest sie öfters schneiden. Am besten, du lässt sie von jemandem schneiden, der es kann.“

   „So wie du.“

   „Oh ich bin mir sicher, in Ordon gibt es auch jemanden.“

   „Ich gehen nicht nach Ordon.“, wiederholte Link.

   „Doch, das wirst du tun.“

 

   Link verstand es als Schlusssatz und ließ Kafei machen. Aber was sollte er in Ordon? Er hatte sich gerade mit dem Gedanken angefreundet, in Termina ein neues Leben zu beginnen und plötzlich trug man ihm auf, genau das stattdessen in einem Dorf zu tun, über das er nichts wusste? Wo er keine Seele kannte? Wo er weit weg war, von dem einen den er liebte? Weit weg von dem was letztlich seine Familie geworden war?

 

   „Das hätten wir.“, sagte Kafei als er fertig war und die Haare zusammengefangen hatte. „Schau sie dir an.“, Link stand auf, ging zum Spiegel und war kurz etwas geschockt, seine alte Frisur wiederzusehen, nur dass er die Haare ums Gesicht fast so gelassen hatte wie sie gewesen waren und auch die anderen doch etwas besser fielen, als in seiner Kindheit. „Wenn du nichts dagegen hast, behalte ich deine Haare. Vielleicht mache ich mir eine Perücke daraus.“, er drehte sie in das Handtuch ein, verstaute dieses aber bei Link’s grünem Kampfgewand.

   „W-?“

 

   Er sah Kafei im Spiegel an und beide fingen an zu kichern. Kafei legte seine Arme um Link und schmiegte sich an ihn. Mehrere Minuten lang standen sie nur so da, an die vergangenen Tage zurückdenkend. Dann küsste Kafei ihm von hinten auf die Wange und warf ihm die Haare in einen Seitenscheitel nach links. Link warf sie zurück in den Mittelscheitel und Kafei kichernd wieder in einen Seitenscheitel. Er gab es auf, nicht ganz so unglücklich mit dem Scheitel, da er seine Haare schon ein paar Male so getragen hatte. Und gegen Kafei hatte er einfach keine Chance. Dieser zog ihn ins Ehezimmer, in welchem er einen Bogen und einen Gürtel aus der berühmten Truhe holte, Link die Dinge zur Aufbewahrung gab und ging mit ihm wieder nach draußen, wo seine Familie entschlossen das Osttor belagerte. Auch Ydin, Frano und Ora hatten sich dort eingefunden.

 

   „Bei den Giganten!“, rief Esra. „Kafei! Was hast du mit seinen Haaren gemacht!“

   „Sieht man das nicht? Sie sind weg.“

   „Und jetzt?“, fragte Cremia. „Du bringst ihn wirklich nach Ordon?“, Kafei nickte nur.

 

   Was darauf folgte, war einfach nur herzergreifend. Den Tränen nahe, zogen sie Link nacheinander zur Verabschiedung in ihre Arme. Als Link bei Ydin angekommen war, holte er seine Geldbörse aus dem Medaillon und zog drei Rubine hervor, zwei goldene und einen silbernen. Er drückte sie der alten Dame in die Hand.

 

   „Sieh das als Anzahlung für Kafei’s nächstes Kleid.“, flüsterte er ihr ins Ohr und beide verfielen in kindisches Kichern.

   „Pass gut auf dich auf, mein Junge.“, drückte ihn Dotour als letzter. „Und verlier deine Geburtstagsgeschenke nicht. Aber selbst wenn. Das Angebot gilt auch ohne diesen goldenen Fetzen, ja?“

   „Ich weiß.“, Link kämpfte nun ebenfalls mit den Tränen.

 

   Kafei nahm ihn erneut an der Hand und geleitete ihn aus der Stadt, wo ihre Pferde warteten. Die anderen folgten ihnen und stellten sich auf der Außenseite des Tores auf. Kafei schnallte die Leinentücher auf Epona, die beiden Männer bestiegen ihre Pferde und ritten davon in Richtung Ikana, Link, so oft er konnte, zurückwinkend, bis sie außer Sicht waren. Den Weg hinauf brachten sie schweigend hinter sich. Anstatt nach links abzubiegen, stieg Kafei vor dem Aufgang zu den Felsentürmen ab. Link tat es ihm nach und Kafei machte sich an dessen Medaillon zu schaffen. Link lachte, als Kafei die Geburtstagsgeschenke und die Geldbörse in Epona’s Satteltaschen steckte und sicherte – nur das Medaillon ließ er noch um Link’s Hals. Dann schnürte er das Leintuch mit Link’s Gewand los und band es sich um den Bauch, es hinter seinem Rücken zusammenknotend. Das andere nahm er in die Hand und verschwand im Durchgang, Link auf den Fersen.

   Er blieb stehen und knüpfte sich das zweite Tuch wie eine Art Umhang an den Schultern fest. Link zog er vor sich, schlug das Tuch über ihre Köpfe und tat bei ihm das gleiche. Link verstand und legte seine Arme um die Hüfte des anderen Mannes. Kafei hielt sich seinerseits mit der linken Hand an seinem Rücken fest und richtete die rechte Handfläche zwischen ihnen nach oben. Ein angenehmer Luftstrudel strömte aus seiner Hand, blies das Tuch auf und trug sie problemlos bis ganz nach oben, wo Kafei sie gegenüber vom Eingang zum Tempel landen ließ. Er befreite sie vom Tuch, gab es Link und bat ihn um seinen eigenen Bogen, den Gürtel und zwei Lichtpfeile.

   Etwas ungeschickt und nicht ganz schmerzfrei landeten sie auf der Plattform über sich. Wieder schweigend trat Kafei an den Rand und band sich das Bündel ab. Sie sahen zu, wie Link’s Kampfkleidung und Waffen nach unten in den Himmel fielen. Als letztes ließ Kafei dennoch die Haare fallen, die er Link abgeschnitten hatte. Epona, was an ihrem Sattel hing und das was er am Leib hatte, war alles, was Link noch besaß. Selbst das Medaillon hatten sie nun weggeworfen. Kafei war es ernst. Er wollte Link eine neue Chance geben, wenn es auch beiden sehr viel abverlangen sollte.

 

   „Und du denkst wirklich, dass es eine gute Idee war? Was, wenn alles wieder herunterkommt und jemanden erschlägt?“

   „Das tut es nicht. Nicht hier. Das war’s.“

   „Du hast Recht. Epona ist alles was mir bleibt. Und du.“

   „Ich werde nicht mitgehen. Sag jetzt nicht, du hättest schon von mir erwartet, dass ich auch alles aufgebe. Link. Mein Platz ist hier. Hier an der Seite meiner Familie. Egal ob in Hyrule oder Termina, du wirst nie deine Ruhe haben. Nicht, so lange du nicht alle Verbindungen zu diesen beiden Ländern kappst. Ich bitte dich. Bau dir ein neues Leben auf. Vergiss mich und alles andere. Du hast es dir verdient. In Ordon bist du sicher. Es liegt zwischen den Grenzen und gehört nur den Bewohnern dort. Sie kennen dich nicht. Niemand. Sag einfach, du wärst aus Unruhstadt und wolltest dem Stadtleben ein für alle Mal entfliehen. Sie werden dich aufnehmen, da bin ich mir sicher.“, bat Kafei ihn unter Tränen. „Aber wunder dich nicht, falls jemand deine Ohren faszinierend findet. Sie sind Menschen und sehen Hylianer nur, wenn sie nach Hyrule oder Unruhstadt gehen. Die meisten von ihnen haben das aber noch nicht getan. Man kennt mich im Dorf nur vom Hörensagen. Einer von ihnen, ein gewisser Moe, war einmal hier um ein Geschäft zu erledigen. Ich habe ihn kurz gesehen und ein langes Gespräch aufgeschnappt. Er spricht sehr gut Hylianisch. Er wird dir helfen können, ihre Sprache zu lernen.“

 

   Kafei gab ihm einen liebevollen Kuss, bevor er mit seinem eigenen Bogen Link’s letzten Lichtpfeil abschoss und sie in Trauer schweigend die Tücher umbanden. Zuvor befestigte Kafei mit dem Gürtel schräg um den Oberkörper seinen Bogen auf seinem Rücken. Dann traten sie erneut and den Rand, um schwebend wieder zum Fuß der Felsentürme zurückzukehren. Genauso wortlos befreiten sie sich von den Bettlaken und stiegen auf ihre Pferde. Link warf einen letzen Blick zurück ins Tal, als sie die Passage durchquerten.

 

   So schnell sie ihre Pferde treiben konnten, durchritten sie die Straße durch das Hinterland in Richtung Ordon. Alle paar Stunden hielten sie an, um sich und ihren Pferden etwas Rast zu gönnen. Der Großteil des Ritts verlief in Schweigen. Wenn sie sprachen, war es nicht viel. Doch Worte benötigten sie nicht. Die ganze Nacht hindurch, den darauffolgenden Tag und die Hälfte einer weiteren Nacht, brauchten sie nicht zu sprechen, um zu wissen, was der andere dachte, fühlte.

 

   Letztlich, an der Grenze; eine schmale Schlucht; befand sich ein hölzernes Palisadentor. Kein Wachposten schützte es, denn Schutz war hier nicht nötig. Sie stiegen ab und Kafei öffnete es. Dann fielen sie einander ein letztes Mal in die Arme und weinten, bis sie keiner Träne mehr mächtig waren.

 

   „Soll ich nicht doch hier bleiben?“, hauchte Link und sah ihm tief in seine roten Augen, deren Feuer erloschen schien.

   „Du wirst immer hier sein.“, er nahm Link’s Hand und drückte sie an sein Herz. „Hier drin. Auf ewig.“, Link tat es ihm nach.

   „Auch ich werde dich nie vergessen. Du hast dir einen unzerstörbaren Platz in meinem Herz geschaffen. Ich werde nicht zulassen, dass ihn sich jemand anderes holt.“

 

   Ihr letzter Kuss war nicht länger erfüllt von Trauer. Es war die Freude darüber, dass sie sich gefunden hatten und einen Teil ihres Weges miteinander gehen hatten dürfen. Als sie ihre Lippen lösten, wanderte eine einzelne Träne über Kafei’s Wange. Link küsste sie mit einem leichten Lächeln fort. Leise flüsternd schenkte er ihm die Weisheit der Shiekah.

 

   „Es sind die kleinen Narben, die uns auf ewig begleiten. Doch die kleinen Zeichen, machen diese Narben nebensächlich, da sie selbst den größten Schmerz zu lindern vermögen. Sie sind die Lichter in der Dunkelheit. So lange Licht existiert, besteht auch Hoffnung. Es ist ein gut gehütetes Geheimnis. Wenn auch nun ein paar mehr darum wissen. Die Dinge, die uns wirklich etwas bedeuten, kommen immer zu uns zurück. Wie viel Zeit vergeht, weiß niemand.“

   „Doch sie kommen zurück.“, beendete Kafei. „Ich weiß. Wir werden uns wiedersehen. Wann und wo und in welchem Leben ist egal. Liebe überdauert allen Schmerz und alle Dunkelheit. Das weiß ich inzwischen.“

 

   Nur ganz langsam trat Link zurück, ihre Finger nicht trennend, bis ihre Hände zu kurz waren, die Berührung aufrecht zu erhalten. Es war, als hätte sich ein unzerreißbares Band zwischen ihren Fingern gebildet, das ewig bestehen sollte und bis in die Unendlichkeit dehnbar war. Schweren Herzens stieg Link auf und ritt langsam durch das Tor, hinter dem eine alte Freundin wartete, die er noch nicht bemerkte. Auch Kafei sah sie nicht. Sie hatte von Zelda erfahren, wo sie Link wiedersehen würde, wenn Kafei hielt, was ihm aufgetragen worden war. Den ganzen Tag hatte sie hier schon gewartet. Mit einer sachten Handbewegung schloss Kafei das Tor magisch. Im letzten Spalt trafen sich ihre Blicke noch einmal. Nicht vergessen, nein. Nur ein gut gehütetes Geheimnis.

 

 

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