- Kapitel 23 -

Ursache und Wirkung

   Das goldene Kettenhemd glitt sauber über seinen mit einem Leinenhemd bekleideten Oberkörper. Es hatte kaum Gewicht und war dennoch robust wie die Haut am Rücken eines Goronen. Das Klimpern der Ösen hallte gespenstisch im Zimmer, erstummte aber, als er die grüne Tunika überzog. Er musste sie nicht einmal neu schnüren, obwohl er im letzten halben Jahr dank Sirileij’s Unterricht einiges an Muskeln dazugewonnen hatte. Sorgsam fixierte er seinen doch etwas gewachsenen kurzen Pferdeschwanz und steckte die lange, grüne Mütze darüber. Dann strich er seine forderen Haare zurecht. Er musste sie eindeutig wieder schneiden. Zum Glück hatten sie dank Kafei’s Geheimrezept genug Fülle gewonnen, dass sie ihm nicht schlaff ins Gesicht hingen, wie in den letzten Wochen in Hyrule.

   Nun hob er die Handschuhe und Polsterungen vom großen Doppelbett, zog sie über, steckte den Armschutz über den linken Unterarm und zurrte die Gurte fest. Dann band er sich sein Schwert um, befestigte den Gurt am Gürtel mit den kleinen Ledertaschen und adjustierte alles noch einmal. Zuletzt steckte er seinen Schild, auf dessen Rückseite der Sturmbumerang befestigt war, von unten auf die Schwertscheide, lockerte die Schultern, atmete noch einmal durch und wollte das Zimmer schon verlassen.

   Auf halbem Weg zur Tür machte er kehrt und betrachtete sich noch einmal im Spiegel. Etwas fehlte. Das, was Ilya immer bekrittelt hatte. Männer hatten das nicht zu tun. Doch er kümmerte sich nicht um Ilya. Er war hier, in Unruhstadt und in einer glücklichen Beziehung mit dem König von Ikana. In Ikana war es egal, ob man ein Mann war oder eine Frau, wenn man das tat. Also öffnete er Kafei’s Schminkkoffer und holte einen Kohlestift heraus. Seinen hatte er vor ein paar Monaten aufgebraucht. Seitdem hatte er sich nicht mehr geschminkt. Präzise zog er die Lidstriche und verwischte die Farbe auf den Lidern nach oben hin. Mit dem Ergebnis zufrieden, putzte er sich die Finger mit Speichel und einem Abschminktuch aus dem Koffer, schloss diesen, warf sich einen schwarzen Umhang um die Schultern und ging ohne abzusperren nach draußen. Er musste nicht absperren. Niemand würde hier nach oben kommen, dem es nicht erlaubt war. Und wenn doch, würde er es mit Kafei’s Bann zu tun bekommen – zu was auch immer das führen würde.

   Sich mental auf das Bevorstehende vorbereitend, durchquerte er die Stadt. Aus allen Kaminen rauchte es in den wolkenverhangenen Himmel. Einige wenige Schneeflocken fielen auf die weiße Decken auf den Dächern und auf die Leute in den Gassen und auf den Plätzen. Markttag. An jedem fünften Stand wurden heiße Getränke oder Suppen ausgegeben. Die Lebensmittelhändler hatten Felle, Teppiche und Wolldecken über ihre Waren geworfen und deckten sie nach Bedarf kurz ab. Es war eisig kalt, doch Link hatte sich wieder an die Kälte gewöhnt. Die Luft war erfüllt von den verschiedensten Gerüchen sowie von Gesprächen in allen Sprachen des Kontinents und des Meeres. Allerdings waren nicht so viele Reisende da, wie in den wärmeren Monaten oder gar zum Jahreswechsel.

   Manche der Stadtbewohner grüßten ihn freundlich, andere eher aus Anstand. Gelegentlich sahen ihm Fremde nach. Hauptsächlich junge Frauen und pubertierende Mädchen. Nichts was er nicht schon kannte. An einem Stand am Südplatz machte er Halt und genehmigte sich einen Bratapfel. Die Aufregung hatte ihm ein Loch in den Magen gebohrt, und noch war Zeit.

   Es war das erste Mal, dass auf den Flugblättern das Wort `Meistertraining´ stand. Nun ja, das erste Mal mit seinem Namen als Lehrer darunter. Er hatte keine Ahnung, was ihn erwarten würde. Entweder hatte er es mit einem Haufen Idioten zu tun oder mit Elitekämpfern. Zwar hatten sich ein paar angemeldet, die er schon aus seinen Expertenkursen kannte, aber es waren auch unbekannte Namen unter den Bewerbungen gewesen. Im Grunde war es ihm egal, solange sie zahlten. Die Kursgebühren kamen den Arbeitern am Hafen zugute, die nun Tag für Tag dafür sorgen mussten, dass die Stege und ankernden Schiffe nicht unter dem Wind aus den Bergen zusammenfroren. Keine leichte Aufgabe bei den momentanen Temperaturen.

   Schlussendlich stand er vor der Tür der Kampfschule. Mit einem etwas mulmigen Gefühl im Magen und noch immer keinem genauen Konzept für die nächsten Stunden im Kopf, öffnete er die Tür. Es war noch niemand da. Warum auch. Er war trotz Zwischenstation zu früh dran. Nur der Besitzer saß an seinem üblichen Platz und meditierte. Dann ging die Tür hinter dem Gong auf und Link bemerkte, dass noch jemand da war.

 

   „Oh hallo Dotour.“, hörte er Ydin sagen, die gerade von oben herunter gekommen war.

   „Hallo.“, erwiderte dieser mit einem zaghaften Lächeln.

 

   Er stand mit verschränkten Armen gegenüber der Tür zu den oberen Stockwerken, an die Wand gelehnt. Der schwarze Wickelrock, den er trug war vorne offen. Darunter sah Link eine dunkelblaue Hose und geschnürte, bis zu den Knien reichende, schwarze Lederstiefel. Seine dunkelblaue, gebundene Tunika war schlicht, wirkte aber edel. Die langen Haare hingen wieder einmal lose über die Schultern. Auf den Rücken hatte er zwei überkreuzte Schwerter gebunden.

 

   „Sieh zu, dass du Link nicht zu hart rannimmst.“

   „Keine Sorge.“, schmunzelte Dotour. „Ich bin nur hier, um aufzupassen, dass Link niemanden zu hart rannimmt.“

   „Alter Scherzkeks.“, kicherte Ydin und stellte sich zu ihm.

   „Und du?“

   „Ich dachte, ich sehe mir das mal an. Ach! Du bist ja schon da!“, sie hatte Link bemerkt.

   „Ja, ich bin da. Hallo ihr beiden.“, seufzte Link. „Seit wann hast du einen Seitenscheitel?“, wandte er sich an Dotour.

   „Seit heute Morgen.“, antwortete dieser. „Mir war danach.“

   „Steht dir.“

   „Danke.“

   „Du hast nicht gefrühstückt.“

   „Ich weiß. Ich hatte keinen Hunger.“

   „Genau so siehst du aus.“, raunte Ydin. „Was Esra zunimmt, nimmst du ab.“

   „Ich wandle nur Fett in Muskeln um. Ist gesünder als umgekehrt.“

   „Als ob du jemals irgendwo Fett an deinem Körper hattest.“, gluckste Ydin, als Link sich endlich zu ihnen gesellte.

 

   Die nächsten Minuten standen sie allerdings nur schweigend nebeneinander und lauschten der Uhr. Irgendwann erhob sich der Besitzer der Schule und zog sich wortlos in die Hinterkammer zurück. Die Tür ging auf und zwei junge Frauen huschten herein, sich jede Menge Schnee von den Kapuzen schüttelnd. Es hatte also mehr zu schneien begonnen.

 

   „Entschuldigen Sie – “, keuchte eine der beiden. „Ich habe gehört, hier soll irgendwo die beste Schneiderei des Kontinents sein?“

   „Mit so einem Kompliment habe ich jetzt nicht gerechnet.“, lächelte Ydin und stieß sich beschwingt von der Wand ab. „Was benötigen Sie denn?“

   „Ein Hochzeitskleid.“, grinste die andere Frau, sichtlich über beide Ohren verliebt.

   „Na wenn das nicht eine erfreuliche Nachricht an diesen kalten Tagen ist. Dann gratuliere ich recht herzlich. Kommen Sie doch mit.“

   „Danke.“

   „Tja, ich schätze das war’s mit dem Zusehen.“, schmunzelte Ydin zu den beiden Männern, bevor sie mit den Kundinnen nach oben ging. „Ithamashthanoij.“

 

   Stille. Nur die Uhr an der Wand. Dann –

 

   „Wann heiratet ihr?“

   „Was?“, schreckte Link auf.

   „Kafei und du, meine ich.“

   „W- keine Ahn- ist das denn erlaubt?“

   „Junge.“

   „Ich meine, ich bin ja nicht einmal Achtzehn. Ich müsste Einundzwanzig sein, um heiraten zu dürfen. Oder meine Eltern müssten mich für volljährig erklären. Nur leider habe ich keine Eltern mehr.“

   „Link. Kannst du dich noch erinnern, was ich dir über Kafei’s Heiratsantrag an Anju erzählt habe?“

   „Ja.“

   „Es war ihm egal. Sie haben nur hylianisch geheiratet, weil sie dann alt genug waren und um Anidja nicht noch mehr gegen sich zu haben.“

   „Das heißt also, es wäre kein Problem, wenn wir in Ikana heiraten würden?“

   „Nicht im Geringsten. Und Kafei hätte sicher nichts dagegen. Meine Güte – ich habe dich ja nicht einmal gefragt, ob du ihn überhaupt heiraten willst.“

   „Nenn mir einen Grund, warum ich es nicht wollen könnte. Wenn du es schaffst, mich zu überzeugen, werfe ich sämtliche Überlegungen darüber in den Wind.“

   „Das dürfte schwierig werden.“, schmunzelte Dotour.

   „Warum bist du wirklich hier? Ich hab gesehen, wie du kämpfst. Ich denke nicht, dass du meinen Unterricht brauchst. Du bist ziemlich gut.“

   „Um die Wahrheit zu sagen, ich versuche, mich zu beschäftigen.“

   „Das hat Anju vorgestern angedeutet.“

   „Außerdem möchte ich wissen, ob diese Schwerter noch taugen.“, er zog die beiden rötlichen Klingen und Link traute seinen Augen nicht.

   „Das – ist – “, jammerte Link nur.

   „Kennst du sie?“

   „Wo hast du die her?“

   „Vom Grab meines Großvaters. Woher kennst du diese Schwerter?“

   „Ich – habe gegen – ihn – gekämpft?“

   „Seit er gestorben ist, haben die Schwerter ihren Platz nicht verlassen. Ich musste das Grab öffnen, um sie zu finden. Es ist mir nicht leicht gefallen, aber ich wollte wissen, ob er Recht hatte oder ob er ihre Stärke nur hochgespielt hat. Es wäre mir aufgefallen, wenn jemand an seinem Grab gewesen wäre. Und Ethchji hütet das Geheimnis der von ihm geschmiedeten Waffen mit seinem Leben. Die einzigen, die außer ihnen beiden diese Schwerter aus der Nähe zu Gesicht bekommen haben waren mein Vater, ich und jene, die danach nichts mehr von dieser Welt gesehen haben. Es hätte also niemand Kopien von ihnen herstellen können.“

   „Kafei hat doch auch Igos’ Schwert gefunden, dort, wo ich ihn besiegt habe. Vielleicht ist Termin in sein Grab zurückgekehrt, nachdem er sich mir ergeben hat.“

   „Willst du mir ernsthaft weismachen, du hättest tatsächlich gegen meinen Großvater gekämpft?“

   „Wer sonst würde sich mir als Meister der Garo vorstellen?“

   „Und du hast ihn besiegt?“

   „Ja. Und ich war noch ein Kind. Also was auch immer er dir über irgendwelche Macht in seinen Schwertern erzählt hat, war entweder erfunden oder ist mit ihm gestorben und nicht wieder auferstanden, als sein Geist durch Ikana gespukt ist. Allerdings standen die Schwerter immer in Flammen. Vielleicht ist das die Macht, von der er gesprochen hat? Beim dritten Mal war er allerdings sicher nur eine Illusion, von Majora heraufbeschwört.“

   „Du hast ihn mehrmals besiegt?“

   „Ja.“

   „Und du sagst – Flammen? Das ist ungewöhnlich. Er hat immer von der tödlichen Kälte der Waffen gesprochen.“

   „Vielleicht hat er verstanden, dass er mit dem Flammenschweif des Phönixes mehr ausrichten kann als mit den Eisstacheln des Kristallkäfers?“

   „Hm. Du kennst also endlich unsere Wappentiere. Interessant.“

   „Mit `endlich´ dürftest du gar nicht so falsch liegen. Anju hat sie mir vorgestern erklärt.“

   „Und vielleicht, ja. Vielleicht war es aber ein Scherz von Ethchji, weil er einen Auftrag vom Gegner seines üblichen Auftraggebers bekommen hatte. Weißt du, er macht alles, so lange die Herausforderung groß genug und die Summe hoch genug ist. Die Ausnahme war Igos. Für ihn persönlich hat er gratis gearbeitet. In diesem Fall war ihm die Ehre wichtiger. Deshalb lehnt er auch nach wie vor ab, wenn Kafei ihn bezahlen will. Aber das hält Kafei nicht davon ab, ihm die Rubine irgendwie unter zu jubeln. In manchen Geschäftsangelegenheiten ist er viel zu ehrlich und bescheiden. Wenn man dann auch noch das Geld ablehnt, lässt er gar nicht locker.“

   „Ich weiß. Deshalb läuft unser Sexleben so ausgesprochen gut.“, zwinkerte Link schelmisch. „Er will mich für meine an und für sich freiwillige Arbeit belohnen.“

   „Du Gauner.“, kicherte Dotour.

   „Ach nein. Er hat doch doppelt was davon. Kaum Arbeit und guten Sex. Und er weiß, dass ich den Geruch von Papier und Tinte liebe. Deshalb lässt er mich – machen.“

 

   Die Tür ging erneut auf und beendete das Gespräch augenblicklich. Herein kam eine Gruppe von Männern, zwei Frauen und ein weiterer Mann, der ein kleines Mädchen an der Hand führte. Alle waren mit Schwertern und Schildern bewaffnete Hylianer – und sprichwörtlich eingeschneit. Dennoch wirkten sie nicht unzufrieden. Sie unterhielten sich lautstark, während sie sich des Schnees entledigten und ihre Mäntel und Umhänge auf den Kleiderständer im Eck hängten. Nun kam auch der Schulbesitzer wieder aus seiner Kammer und setzte sich hin, beobachtend, wenn man es auch durch seine Masse an Haaren nicht ganz erkennen konnte.

 

   „Sind wir hier wohl richtig?“, fragte einer der Männer einen anderen.

   „Sicher. Dort drüben stehen schon zwei mit Schwertern.“, sagte die ältere der beiden Frauen, welche in etwa fünfzig Jahre alt wirkte.

   „Einer davon ist der Lehrer.“, bemerkte ein Mann, den Link schon aus dem anderen Kurs kannte und lächelte ihm zu.

   „Ah ja. Er sieht sehr erfahren aus.“, und Link wusste, dass sie den Falschen für den Lehrer hielt.

 

   Dennoch nahm er seinen Umhang ab und legte ihn über den Tresen. Als er sicher war, die Aufmerksamkeit von allen zu haben, zog er eine Mappe und einen Bleistift aus seiner Mütze. Einige waren sehr erstaunt darüber. Von hinten hörte er Dotour verhalten kichern. Allerdings ließ er sich nichts anmerken, da es für ihn ohnehin mehr oder weniger selbstverständlich war, alle möglichen Dinge aus seiner Mütze zu ziehen. Es hatte lange gedauert, sich an das Medaillon zu gewöhnen.

   Er schlug die Mappe auf, suchte nach der Liste für den Meisterkurs, fand sie wie üblich an einer Stelle, an der sie nicht sein sollte und fragte sich, warum er in allen Akten Ordnung zustande brachte, nur nicht in seinen eigenen. Also ordnete er das Blatt ganz hinten ein, was bei den losen Blättern auch im Stehen ging, hakte jene Männer ab, die er bereits kannte und räusperte sich.

 

   „Lura Emynin?“

   „Ja.“, antwortete der Vater des kleinen Mädchens.

   „Medran – “

   „Nur um eines klar zu stellen,“, ergriff der Mann erneut das Wort, „Ich will hier keine Sonderbehandlungen für meine Tochter. Sie kann verdammt gut mit dem Schwert umgehen und hat etliche Turniere gewonnen. Und dass sie süß wäre oder etwas gut gemacht hat, will ich hier nicht hören.“

   „Wie ich meine Schüler behandle, entscheide immer noch ich. Wenn ich nun die Anwesenheit weiter durchgehen dürfte?“

   „Deine Schüler?“, gluckste die Frau, die zuvor gesprochen hatte. „Ich sehe ja ein, wenn ein größenwahnsinniger Vater seine Tochter zur Meisterkriegerin ausbilden will. Aber dass ein Kind wie du uns unterrichten will – “

   „Und du sagst, in Ikana ist es erlaubt?“, wandte Link sich an Dotour. „Dann hätte ich nämlich einen Ring als Beweis, dass ich kein Kind mehr bin. Denn dass ich mit neun Jahren Hyrule gerettet hab, kauft mir anscheinend keiner ab, auch wenn es alle wissen.“

   „Nur zu. Ich habe nichts dagegen, dass du meinen Sohn heiratest.“

   „Und eine Schwuchtel auch noch.“, murmelte der überfürsorgliche Vater. „Komm, Lura. Wir gehen.“

   „Wieso denn? Das müsste Sie doch beruhigen, oder? Immerhin haben Sie eine Tochter. Stellen Sie sich vor, was wäre, wenn Sie einen Sohn hätten. Dann müsste ich mir anhören, dass sie den Raum verlassen, weil sie Angst hätten, ich könnte ihn vergewaltigen.“, sagte Link finster aber entschieden. „Außerdem ist das Wort dafür `homosexuell´ oder zumindest `schwul´. Wissen Sie, was einen guten Krieger ausmacht? Respekt. Respekt seinen Feinden und seinen Freunden gegenüber, als auch denen die dazwischen stehen. Wenn Sie ihrer Tochter also ein Vorbild sein wollen, rate ich Ihnen zu Respekt. Kinder lernen von ihren Eltern. Kinder lernen durch Nachahmung. Wenn Sie also nicht wollen, dass ihre Tochter eines Tages eine zickige Kuh wird, dann verhalten Sie sich nicht so. Sie wollen keine Sonderbehandlungen? Die werden Sie hier ohnehin nicht bekommen. Hier werden alle demnach behandelt, wie sie sich geben. Wie man in den Wald hineinbrüllt, so hallt es zurück. Ich will den Leuten etwas beibringen und nicht sie verhätscheln, denn mein Leben hat mich auch nicht verhätschelt. Will noch jemand gehen, bevor ich überhaupt die Anwesenheitsliste durchgegangen bin?“

   „Schon, wenn du uns weiterhin zum Narren halten willst, Junge.“, seufzte die selbe Frau wie schon zuvor. „Ich habe ja schon viele gesehen, die sich als der `Große Held´ ausgegeben haben, aber so weit zu gehen und damit Geld verdienen zu wollen – “

   „Wenn Sie’s wissen wollen, es war nicht meine Idee. Kafei meinte, ich könnte vielleicht mit meinem Ruf und Können der Stadt etwas Geld einbringen. Ja, ganz genau. Ich behalte keinen einzigen Ihrer Rubine. Ich mache das rein, um das Land und seine Bewohner zu erhalten.“, entgegnete Link scharf. „Und damit ich nicht gleich wieder alleine ganze Länder vor Monsterhorden retten muss.“, fügte er abfällig hinzu. „Wer also der Meinung ist, ich wäre ein nichtsnutziger Angeber, der sich mit den Früchten eines anderen krönt, bitte. Gehen Sie durch die Tür, durch die Sie gekommen sind und vergessen Sie nicht, sich in Ihrem nächsten Gebet bei Farore zu beschweren, dass sie mich ohne Narben durch jede Lage gebracht hat. Glauben Sie mir. Ich hätte gerne ein paar Narben vorzuweisen. Es ist ja schon ein Wunder, dass sie meine Ohrlöcher nicht wieder zuwachsen hat lassen. Erstaunlich, wie sehr Anju Recht hatte. Moment mal – es sind ja noch immer alle hier!“, seine Augen wanderten noch einmal über die Gruppe. „Gut, dann – “

   „Pfuh! Das war ja echt schwer zu finden, in diesem Schneesturm.

 

   Die Tür war aufgestoßen worden und ein ganzer Kälteschwall kam, dicke Schneeflocken mit sich reißend, hereingedonnert. Zum Glück bemerkte der Mann es und schlug die Tür hinter sich zu, bevor er die Kapuze seines edel wirkenden, dunkelblauen Mantels mit goldenen Knöpfen zurückschlug und den lilanen Schal vor dem Mund öffnete. Nun traute Link tatsächlich seinen weit aufgerissenen Augen nicht.

 

   „Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich hoffe, der Kurs hat nicht schon lange angefangen.“, erklärte sich der junge Mann, während er seinen Mantel zu den anderen hängte. „So. Also?“, sich die Hände reibend, drehte er sich um und ließ den Blick durch die Runde schweifen, bei Link stoppend. „Ha! Wusste ich doch, dass ich mich nicht verlesen habe. Wäre auch zu dumm gewesen.“

   „Hallo, Jargo.“, raunte Link, mit einem verzerrten, verwirrten Lächeln. „Was bei Din’s alles verschlingendem Flammeninferno machst du hier?“

   „Ich habe deinen Namen gelesen. Da – dachte – ich – “

   „Dass du den ganzen Weg von Hyrule hier her auf dich nimmst, nur um mich zu sehen?“

   „Man wird doch wohl noch einem alten Freund einen Besuch abstatten dürfen, oder?“

   „Sicher.“, schmunzelte Link nicht weniger genervt als ohnehin schon. „Aber beim nächsten Mal such dir bitte einen besseren Zeitpunkt aus.“

   „Auf jeden Fall.“

   „Du – also – ich nehme nicht an, dass du am Kurs teilnehmen willst?“

   „Neeeein. Du kennst mich ja. Ich bin froh, dass ich überhaupt ein Messer benutzen kann, ohne mich zu verletzen.“

   „Eben. Dann setz dich bitte auf die Zuschauerbank, ja? Über alles andere können wir später reden. Wir sind ohnehin schon im Verzug.“

   „Oh – ja. Natürlich.“

   „Und Herr Emynin auch, bitte.“, mit einem leisen Murren setzte sich der Vater des angeblichen Ausnahmetalents zu Jargo und verschränkte die Arme.

 

   Link wartete, bis die beiden es sich auf dem Podium gemütlich gemacht hatten, holte einmal tief Luft und – freute sich ausgesprochen darüber, endlich ohne Unterbrechungen die Anwesenheitsliste und Einführung durchgehen zu können. Anschließend ließ er den Schulbesitzer die Übungsbaumstämme hochfahren, damit er sich ein grobes Bild vom Können der Neuzugänge machen konnte. Gleichzeitig boten sie eine Möglichkeit für die Fortgeschrittenen, um sich aufzuwärmen. Nach gut einer halben Stunde bat er erneut um allgemeine Aufmerksamkeit, die er glücklicherweise ohne Beigeschmack erhielt.

 

   „Ich sehe, ihr seid alle extrem gut was die Haltung eurer Schwerter betrifft. Das ist sehr wichtig, denn nur wer Eins mit seinem Schwert ist, kann es makellos führen. Wichtig ist aber auch, dass ihr nicht an das Beherrschen eures Schwertes denkt. Ein Schwert lässt sich nicht beherrschen. Eine Waffe lässt sich nur so gut führen, wie ihr auf sie eingeht. Seid ein Teil des Schwertes und das Schwert wird ein Teil von euch sein.“, erklärte er, zwischen ihnen umher schreitend, wobei er hier und da ein paar Korrekturen an der Körperhaltung demonstrierte. „Das gilt auch für eure Umgebung. Nur wer sich in seine Umgebung hineinversetzen kann, weiß, wie er oder sie diese nutzen kann. Fühlt mit dem Boden unter euren Füßen und er wird zu euren Gunsten handeln. Ein unsicherer Tritt bedeutet, dass der Boden euch auf die Nase fallen lässt.“

   „Also Beinarbeit.“, brachte ein Mann namens Ulidor ein.

   „Auch. Aber die agilsten Beine nützen einem nicht, wenn der Kopf sie blockiert. Angst und Sicherheit beginnen beide im Kopf. Angst ist gut. Sie ist der Verstand, der einen vor Dummheiten bewahrt. Aber sich von seinen Ängsten fertig machen zu lassen, ist der falsche Weg. Zieht Schlüsse aus euren Ängsten. Lernt daraus.“, nun sah er ganz besonders Dotour an. „Lernt, die negativen Seiten eurer Ängste zum Schaffen von Sicherheit zu nutzen. Wenn ich Angst habe, ich könnte mein Gegenüber zu sehr verletzen, muss ich ihm an der Stelle eine Lektion erteilen, an der es mich selbst nicht zu sehr verletzen würde. Und wenn möglich, mit weniger Kraft. Auf einen Feind geht man niemals mit voller Wucht zu. Natürlich lassen sich manche Gegner durch einen Überraschungsangriff besser ausschalten, aber man muss immer mit körperlicher Überlegenheit rechnen. Deshalb ist es besser, immer erst in der Defensive zu bleiben, bis man die Taktik des Gegners einigermaßen kennt und weiß, wie man sie umgehen kann. Sprich, schlage niemals einem Dodongo ins Gesicht. Ich hoffe, ihr wisst zumindest aus der Theorie, was ich damit meine.“

 

   Ein allgemeines Nicken und das eine oder andere Glucksen ging durch die Runde. Nur zur Sicherheit sah Link noch einmal auf die Uhr, bevor er fortfuhr.

 

   „Und ich bitte alle inständig um Verzeihung, die es leid sind, dieses Beispiel schon wieder zu hören.“, leises Lachen von seinen Stammkunden. „In Ordnung. Ich denke wir sind so weit, dass wir mit Partnern üben können. Stellt euch bitte in zwei Reihen gegenüber auf. Möglichst durchgemischt. Wie praktisch, dass wir eine ungerade Anzahl sind. Fertig? Gut. Nun tut euch mit eurem Gegenüber zusammen und verteilt euch im Raum. So, dass alle genug Platz haben. Dann versucht ihr abwechselnd die Deckung des jeweils anderen zu durchbrechen. Die, die blocken, versuchen so lange abzuwehren wie möglich. Und bitte – ich will keine gröberen Verletzungen. Keine Gnade, aber wenn ihr durch seid, versucht euer Schwert zu stoppen. Wir spielen hier auf Sieg, nicht auf Leben und Tod.“

   „Ähm – Frage.“, die zehnjährige Lura zeigte auf.

   „Ja?“

   „Wir beide sind an und für sich übrig geblieben. Das finde ich unfair.“

   „Wenn du deinen Gegner nicht gerade eigenständig herausforderst, suchst du ihn dir meistens nicht aus.“, entgegnete Link.

   „Ich meine, für ihn.“, Dotour konnte sich auf diese Bemerkung gerade noch das Lachen verkneifen. „Er ist alt. Ich kämpfe nicht gegen alte Leute. Außerdem hat er nicht einmal ein Schild.“

   „Man benötigt keinen Schild, um blocken zu können.“, sagte Dotour. „Aber damit, dass ich alt bin, könntest du Recht haben. Wenn du wüsstest, wie alt, würdest du fliehen.“

   „Und er hat rote Augen.“, fiel ihr auf, obwohl sie ihn im Grunde ignorierte. „Ich kämpfe nicht gegen Kranke. Was ist das eigentlich für eine Krankheit?“

   „Die Krankheit die notfalls mit zwei Fingern einen Brauereigaul töten kann.“, scherzte Link, eigentlich.

   „Das will ich sehen.“, spottete das Mädchen.

   „Tut mir leid, ich bin ein Pferdefreund. Und du verschwendest das Geld und die Geduld deines Vaters.“, sagte Link kalt. „Er hat doch gesagt, dass du keine Sonderbehandlung bekommst. Also, zeig, was du drauf hast. Nun? Alle bereit? Ab jetzt habt ihr zehn Minuten. Dann tauschen wir durch.“

 

   Mit einem lauten Angriffsschrei ergriff Lura als erste die Initiative und – prallte mit dem ersten Hieb so an einem von Dotour’s Schwertern ab, dass sie gleich sieben Fuß rückwärts flog. Fast alle lachten, bis auf Link, Dotour und ihren Vater, der auch Jargo mit einem einzigen Blick zum Erstummen brachte.

 

   „Es wird nicht gelacht.“, fauchte Link. „Wenn ich merke, dass jemand ausgelacht wird, kämpft der Scherzkeks gegen mich. Und seht das ja nicht als Privileg. Der- oder Diejenige bekommt eine Fee von mir und wir führen einen echten Kampf auf Leben und Tod.“

 

   Augenblicklich waren alle mit Kämpfen beschäftigt. Irgendwie genoss Link dieses bisschen Macht. Mehr noch würde er aber ein wohlig warmes Bad mit Kafei genießen. Jedoch; er hatte es ohnehin vermutet; hatte auch er sich etwas verschätzt. Es waren weder Idioten, noch Elitekämpfer. Es war ein Haufen talentierter Vollidioten – und Dotour. Link merkte, dass der Shiekah sich zurückhielt. Das lag wohl daran, dass er Vater und Großvater war und wusste, was man einem Kind zumuten konnte, das nicht von einer Göttin gesegnet war. Trotzdem fand Link, dass sich das Mädchen nicht schlecht machte. Sie hatte das Zeug zur Killerin. Allerdings erst in ein paar Jahren. Noch war sie ein Kind und Link hasste das Bewusstsein, dass es Eltern gab, die ihre Kinder in die Rolle eines Erwachsenen zwängten. Er wusste, wie gerne er eine Kindheit gehabt hätte. Kein Kind sollte ohne Kindheit aufwachsen. Ja, sogar Taya hatte eine Kindheit, obwohl sie Dinge auf Lager hatte, die selbst Link nicht einmal nach mehreren Monaten von Sirileij’s Unterricht meistern konnte. Und dann – plötzlich war da Blut.

   Link’s Herz stoppte. Lura hatte Dotour’s Verteidigung durchbrochen und ihn am Hals erwischt. Noch bevor Link seine Beine in Bewegung setzen konnte, war Dotour am Boden und hielt sich eine Hand auf die Wunde, selbst überrascht. Lura war wie gelähmt. Auch ihr Vater, der aufgesprungen war, stand nur sprachlos da.

 

   „Alles in Ordnung?“, jammerte Link verzweifelt, doch Dotour nickte nur kichernd.

   „Mir geht’s gut. Ist schon vorbei.“, als das Leuchten seiner Augen verblasste, nahm er die Hand weg und offenbarte nur Blut, aber keine Wunde. „Nach diesem Schwachsinn mit meinem Knöchel am Uhrturm, habe ich gelernt, meine Kraft besser einzuteilen.“, er ließ in einer Hand eine Pfütze Wasser entstehen und wischte sich den Hals sauber.

   „Hast du eine Ahnung, was ich für einen Schrecken hatte?“

   „Frag sie erst.“, er nickte zu Lura. „Ich denke, sie hat zum ersten Mal jemanden verletzt. Alles in Ordnung, Lura?“

   „G-geht schon.“, hauchte sie mit weit aufgerissenen Augen. „W-w-wie h-hast du d-das gemacht? B-bist du ein Magier?“

   „Nein. Nur ein einfacher Shiekah.“, es war als würde ein stilles Entsetzen durch die Runde gleiten.

   „Das kann nicht sein. Ihr seid ausgestorben.“, hauchte die jüngere Frau mit dem klangvollen Namen Inmana.

   „Na das lass mal nicht meinen Sohn hören.“, gluckste Dotour und stand auf. „Er ist der König von Ikana.“

 

   Totenstille.

 

   „I-Ikana ist wieder bewohnt?“, flüsterte Inmana in das Schweigen hinein.

   „Meine Güte – woher kommst du denn? Schon seit über acht Jahren wieder. Seit fast zwei Jahren hat es wieder einen König.“

   „Ähm – ich würde vorschlagen, wir tauschen durch. Oder will jemand eine Pause machen?“, warf Link unmissverständlich ein.

   „Ich steige aus.“, fiepste Lura.

   „Kommt nicht in Frage.“, ihr Vater war wieder zurück aus seiner Trance. „Du hast gerade den ersten Treffer deines Lebens erzielt. Wenn du jetzt aufhörst bist du – bist – du – du – bist – “

 

   Link hätte zu gerne gewusst, was genau in diesem Moment passiert war. Auch hätte er gerne Dotour’s Blick gesehen, der offensichtlich dazu geführt hatte, dass sich die Augen des anderen Mannes mit jedem weiteren Wort des letzten Satzes mehr und mehr geweitet hatten.

 

   „E-es – ist in Ordnung, wenn du aussteigst, Schätzchen. Hier kannst du es.“, er schluckte gut hör- und sichtbar. „Komm her zu mir.“

   „Hat irgendjemand Durst?“, fragte Link zögerlich, die Augen zwischen den beiden Männern hin und her wandernd. „Oder sonst irgendwelche Bedürfnisse?“, keine Antwort. „Gut. Dann – tauschen wir.“

   „Und wie?“, kam es von irgendeinem der Männer weiter von Link entfernt.

   „Wir stellen uns auf wie vorhin und die Reihe in der Lura war, rückt zu ihrem Platz hin. Ich werde den leeren füllen.“

 

   Irgendwie war er dem Mädchen dankbar. Es tat gut, wieder gegen jemanden zu kämpfen, der nicht so gut wie unschlagbar war. Auch kam es ihm vor, als würde er ein Buch lesen. Ein klar und verständlich formuliertes Buch. Zwar machte er sich Sorgen um die Chancen seines Gegners in einem richtigen Kampf, aber er hoffte, dass in dessen Heimatland Frieden herrschte.

   Auch die anderen Kämpfe waren entspannend genug, dass er sogar beobachten konnte, was alle anderen taten. Zwischendurch musste er Dotour ermahnen, weil er sah, dass dieser stets beim ersten Ansatz die Deckung seiner Gegner durchbrach und selbst allen Angriffen standhielt. Wäre er ein ordentlicher Schüler gewesen, hätte Link wohl seinen Stolz ausgesprochen. Aber da Dotour nicht einmal auf der Teilnehmerliste stand und ohne Zweifel mehr als nur ein Experte des Schwertkampfes war, fand er es ungerecht den anderen Gegenüber. Nun ja, sie konnten gut von ihm lernen, aber Link selbst hatte schon genügend frustrierende Gegner gehabt, dass er sagen konnte, solche hatten in einer Schule nichts verloren. Er hatte schließlich auch nicht in einer Schule gelernt.

   Nach fast einer Stunde; in der sich irgendwann Ydin’s zwei überglückliche Kundinnen geschickt ihren Weg nach draußen gebahnt hatten; beschloss er, eine Pause einzulegen. Es gab Äpfel, warmen Tee und die Toilette im ersten Stock. Jargo war es zu warm im Raum geworden. Mit dieser Begründung verabschiedete er sich von Link, teilte ihm noch mit, dass er sich irgendwo eine Bleibe suchen würde und verließ die Schule.

   Während Link seinen zweiten Apfel des Tages aß, überlegte er, ob er wirklich gegen Dotour kämpfen, oder ihnen einige Spezialtechniken beibringen sollte. Schlussendlich beschloss er dann, ihnen Spezialtechniken zu zeigen, mit Dotour als Partner.

 

   „So.“, sagte er, als alle mit ihren Äpfeln und Tees fertig waren, wurde aber wieder einmal unterbrochen.

 

   Diesmal war es jedoch etwas erfreulicher. Die Person die hereinkam und wunderbare frische Luft in den aufgeheizten, bereits nach Schweiß stinkenden Raum brachte, schüttelte wie alle zuvor, eine beachtliche Menge Schnee vom Umhang. Beschwingt warf er das schwarze Zelt auf den Kleiderständer und lüftete seine wallende Haarpracht. Sein strahlendes Lächeln als er Link sah, war wie ein Sonnenaufgang für diesen. Mit dennoch etwas schlaffen Schritten ging er auf Link zu, legte ihm die Hand auf die linke Wange und gab ihm einen kurzen aber zärtlichen Kuss.

 

   „Was machst du hier?“, fragte Link, während Kafei anfing, verträumt seine Wange zu streicheln.

   „Nach dem ganzen Stress hatte ich einfach Lust, dich zu sehen.“

   „Stress?“

   „Der Markt ist abgesagt. Ich habe geholfen, alles nur irgendwo hinein zu schaffen. Dort draußen wütet der reinste Eissturm.“

   „Was? Wirklich? Ich meine, du warst so schnell hier drin, dass ich nicht gesehen hab, was los ist. Bist du Jargo begegnet?“

   „Ja. Ich hab ihn in den Bombenladen gejagt, weil er mehr im Weg stand, anstatt mitzuhelfen. Was will er hier? Jetzt?“

   „Ich hab nicht die geringste Ahnung.“, seufzte Link. „Willst du Tee? Da drüben steht noch etwas.“

   „Danke. Gerne.“

   „Pst.“

   „Was?“, nicht nur Kafei spitzte die Ohren.

   „Psssst!“, es kam von der Tür nach oben.

   „Ydin?“, gluckste Kafei und ging die wenigen Schritte um den Gong.

   „Ich hab gesehen, wie du reingehuscht bist.“, flüsterte sie.

   „Woher wusstest du – “

   „Dein Gang.“, hauchte die alte Frau, leicht fauchend. „Ich brauch deine Hilfe.“

   „Was? Wobei?“

   „Nimm dir etwas Tee mit.“, als Link sich nach rechts lehnte, sah er, wie sie zum Kessel fuchtelte. „Und mir bitte auch.“, Kafei nahm gleich eine ganze Kanne voll in die Hand.

   „Was brauchst du denn?“

   „Deinen guten Geschmack.“, zischte sie, leicht verlegen.

   „Oh.“, kicherte Kafei und folgte ihr, mit einem kurzen Winken zu Link zurücksehend.

   „Ich werd’s überleben.“, meinte dieser nur mit einem Lächeln abtuend und atmete erneut durch. „Wo war ich? Ach ja. Spezialtechniken. Vor einiger Zeit, habe ich von jemandem ein paar Techniken gelernt, die sonst niemand kann – oder zumindest nicht, dass ich wüsste. Es wäre eine Schande, sie nicht weiter zu geben. Natürlich werde ich euch nicht alle beibringen. Manche davon sind einfach zu riskant.“

   „Die da wären?“, Lura stand wieder in der Gruppe, bereit, weiter zu üben.

   „Nun – “, sie entlockte ihm doch ein kleines Schmunzeln, „Da wäre zum Beispiel das Blankziehen. Ein heftiger Überraschungsangriff. Man lässt dabei das Schwert so lange in der Scheide stecken, bis der Gegner viel zu nahe ist. Damit meine ich, so nahe, dass man ihn mit ausgestrecktem Arm, mit der Längsseite des Schwertes trifft. Dotour? Gehst du mir bitte zur Hand?“

   „Natürlich. Was soll ich tun?“

   „Greif mich an. Vorerst nur rechts.“

 

   Sie stellten sich einander gegenüber. Link zog nur sein Schild und Dotour holte mit dem rechten Schwert aus. Daraufhin drehte sich Link nach links, zog im Schritt sein Schwert und stoppte kurz vor dessen Kehle. Auch Dotour war klug genug gewesen, keinen Schritt zu machen und sein Schwert zu stoppen.

 

   „Seht ihr? In diesem Fall wäre ich schneller gewesen und er ohne Kopf. Aber es kann auch anders verlaufen. Das ist das Riskante daran. Man ist völlig ohne Schutz und Deckung. Das machen wir jetzt noch einmal, wobei du versuchst, meinen Angriff zu blocken und ich deinen. Vielleicht gelingt dir auch ein Konterangriff.“

 

   Link nahm erneut die Position ein, steckte sein Schwert zurück und Dotour holte aus. Link drehte sich, zog sein Schwert und schützte dabei seinen Oberkörper mit dem Schild. Dotour schlug mit voller Wucht auf die Seitenkante des Schilds, zog nun mit dem linken Schwert auf und blockte damit Link’s. Mit dem anderen, das die Deckung durchbrach, erwischte er Link an der Taille. Link gab nach rechts nach, um der Wucht zu entgehen, denn auch wenn das Kettenhemd die Klinge abhalten würde, wusste er, dass Prellungen schmerzhaft sein konnten. Im selben Schritt drückte Dotour’s linkes Schwert zurück und stieß ihn mit einer Schildattacke nach hinten. Dotour blieb standhaft, aber Link brach den Angriff ab, indem er sein Schwert senkte.

 

   „Haben das alle gesehen?“, allgemeines Nicken. „Deshalb ist Schutz wichtig. Seinen Angriff hab ich nur bedingt blocken können. Ich hatte die Wahl, meinen Bauch gegen sein linkes Schwert zu schützen oder meine Seite gegen das rechte. In beiden Fällen hätte ich ernsthafte Verletzungen davontragen können, wenn ich nicht ausweichen hätte können. Hätte er mich getroffen und ich kein robustes Kettenhemd unterhalb an, hätte er mich voll in der Seite erwischt. Ich hab die Wucht des Schwertes gespürt und weiß noch vom letzten Kampf, dass diese beiden Waffen sehr scharf sind. Er hätte mich ohne Weiteres geradewegs in der Mitte durchschneiden können.

Das Blankziehen ist immer eine gute Chance, den Gegner an der am wenigsten geschützten und höchstprozentig tödlichsten Stelle zu treffen, nämlich am Hals. Denn um den Kopf beweglich zu halten, haben die meisten Rüstungen dort ihren Schwachpunkt. Trotzdem ist es sehr riskant, wie ihr gesehen habt. Allerdings habt ihr jetzt auch gesehen, dass ihr eventuell mit so einem Angriff rechnen solltet, falls euer Gegner auf diese törichte Idee kommen sollte und dass man ihn abwehren kann.“

   „Wieso auf die Idee kommen?“

   „Ich weiß nicht, ob es noch jemanden; außer Dotour jetzt; gibt, der mit dieser Methode angegriffen wurde und es überlebt hat. Auch weiß ich nicht, ob mein Meister noch andere Schüler hatte, denen er das beigebracht hat.“

   „Also hattest du noch einen anderen Meister?“, fragte Dotour.

   „Wieso noch einen anderen?“

   „Neben Sirileij, meine ich.“

   „Was?“, zischte Link verwundert. „Du weißt davon? Hat Anju es dir etwa erzählt?“

   „Nein. Du redest nur schon die ganze Zeit wie Ajrini. Und da sie ihr Wissen an Kafei weitergegeben hat, ich aber weiß, dass er dich nicht unterrichtet hat, sehr wohl aber Sirileij, erscheint es mir logisch, dass dein gelegentliches Verschwinden damit zusammenhängt, dass sie eventuell versucht, dich vor deiner Faulheit zu bewahren.“

   „Bin ich – so durchschaubar?“

   „Nur für einen wissenden Shiekah.“

   „Oh. Dann kann es ja nur von Vorteil sein, dass ich mir das Bett mit deren Regenten teile.“, Dotour gluckste nur lächelnd. „Ja – also – eine andere Technik habt ihr jetzt auch gesehen. Die Schildattacke. Sie erfordert zwar etwas Kraft im verteidigenden Arm, kann aber den Gegner nicht nur abwehren, sondern manchmal sogar zu Boden stoßen. So kann man selbst kleinere Projektile wie schwächere Pfeile oder Steinschleuderkugeln beziehungsweise magische Energiekugeln zurückstoßen. Ist jemand dafür, dass wir die Schildattacke üben?“, die Begeisterung hielt sich in Grenzen. „Oh. Da haben wohl einige keine reizbaren Dekus als Nachbarn.“, seufzte Link. „Oder – ja?“

   „An und für sich ist der Rücken doch ziemlich ungeschützt.“, stellte Ulidor fest, nachdem er die Hand gesenkt hatte. „Das wäre doch ein guter Angriffspunkt oder?“

   „Ja.“, nickte Link. „Aber herumlaufen ist ziemlich gefährlich und meistens nutzlos, wenn man nicht einfach nur Zeit zum Überlegen braucht.“

   „Auch wieder wahr.“

   „Jedoch, wenn man sich seitlich im Kreis herum abrollt, kann man das Schwert entweder zwischen den Beinen des Gegners hochziehen oder es ihm in den Rücken rammen. Und wenn man einige Kraft in den Beinen hat, um wieder aufzuspringen, kann man ihm einen verheerenden Schlag auf den Kopf verpassen. Das hab ich als `Rundumhieb´ und `Helmspalter´ kennengelernt, nur um der Sache einen Namen zu geben.“

   „Das stelle ich mir relativ schwierig vor.“, sagte ein anderer der Männer.

   „Ist es auch.“, bestätigte Link. „Aber es ist machbar.“

 

   Er demonstrierte seine Beschreibung an einem der Baumstämme und teilte ihn beim Sprung tatsächlich von oben herab. Als er sich mit diesem Schlag auch über den Stamm hinweg wuchtete und sauber auf der anderen Seite landete, war das Staunen hörbar. Er setzte noch einen drauf und schnitt den Stamm horizontal durch, bevor einer der Teile den Boden berühren konnte. Und wieder, nachdem die vier massiven Holsstücke zur Ruhe gekommen waren, blieb nur das Ticken der Uhr. Sein Gesicht leichte Genugtuung spiegelnd, steckte Link sein Schwert mit ein paar kunstvollen, blitzschenllen Schwüngen, mit denen er schon Moe beeindruckt hatte, in die Scheide zurück.

   Langsam fing einer nach dem anderen an zu klatschen. Irgendwie fand Link es bemitleidenswert, wie leicht sie alle zu beeindrucken waren. Schließlich wollte er ihnen tatsächlich etwas beibringen und nicht, dass sie dafür zahlten, dass er seine Kampfkünste zum Besten gab – wenn es auch die Arbeiter am Hafen nicht kümmern würde, was ihnen ihre Bezahlung einbrachte.

   Doch etwas verlegen, brachte er den Beifall mit einer Handbewegung zum Erstummen.

 

   „Danke. Aber das werdet ihr in der verbleibenden Zeit nicht lernen können. Ihr habt ja keine Ahnung, wie oft ich mich in meinem Leben abgerollt hab, bevor ich diese Technik gelernt habe.“

   „Ähm – aber vielleicht wäre ein weiterer Schaukampf nicht schlecht?“, brachte Inmana ein. „Du hast ja selbst gesagt, wir wären alle gut im Beobachten.“

   „Ihr wollt also analysieren?“, überlegte Link. „Hm. Vielleicht wirklich keine schlechte Idee. Zumindest sollte dabei keiner zu Schaden kommen. Immerhin üben wir hier mit scharfen Klingen und ich will mir nicht nachsagen lassen, ich hätte für Gruppenselbstmord Eintritt verlangt. Dotour?“

   „Gerne.“

   „Gut. Tretet bitte alle so weit wie möglich zurück.“, er wartete bis sich alle an die Wände gestellt hatten. „Dann zeig, was du drauf hast. Was auch immer du an Frust loswerden willst, jetzt darfst du’s.“

   „In Ordnung. Das gilt auch für dich.“

   „Wirklich? Willst du eine Fee?“, scherzte Link.

   „Wie viele hast du denn dabei?“

   „Ein paar.“, grinste Link. „Allerdings denke ich, sollten wir uns zumindest ein bisschen zurückhalten. Einige hier scheinen Blut nicht so gerne zu sehen.“

   „Gerade noch hast du gesagt, ich solle mich abreagieren.“

   „Na gut. Aber rechne mit heftiger Verteidigung.“

   „Darauf hoffe ich!“, grinste Dotour und ging in Position.

 

   Da der Rundumhieb gut angekommen war, entschied sich Link dafür, den Kampf möglichst abwechslungsreich zu gestalten und so gut es ging alles was er in seinem Leben an Angriffs- und Verteidigungsmethoden mit Schwert und Schild gelernt hatte, wiederzugeben.

   Wie er es gewohnt war, eröffnete sein Gegenüber den Kampf. Link sprang einfach auf die Seite und setzte nach, wurde aber sofort von Dotour’s linkem Schwert geblockt, das er wegdrehte, als auch das rechte Schwert in einer Drehung wegschlug und zum Stoß ansetzte. Jedoch überkreuzte Dotour seine Schwerter augenblicklich und rang Link’s Klinge mit einer fließenden Drehung um sich selbst aus dessen Hand. Nun lag es an Link, sich seine Waffe wieder zu holen. Mit ein paar Rollen hinten um Dotour herum war er wieder bei seinem Schwert und konnte gerade noch in der Hocke sein Schild heben, um abzublocken.

   Er stach an seinem Schild vorbei und schlug Dotour’s rechtes Schwert auf die Seite, um hoch zu kommen. Das selbe tat er mit dem Schild und dem anderen Schwert. Dotour nutzte den Schwung jedoch für sich und führte die Schwerter etwas unterhalb wieder zusammen. Dieser Schere konnte Link nur entkommen indem er sich mit voller Kraft in einen Rückwärtssalto über die Klingen hinweg stieß, zwischen ihnen und deren Führer heraus.

 

   „Das ist alles, was du kannst?“, witzelte Link, sich selbst darüber wundernd, was er gerade gesagt hatte, denn normalerweise dachte er so etwas nur in Kämpfen gegen überdimensionale, berechenbare Monster. „Komm schon! Wenn du so deine Probleme behandelst, ist mir klar, warum du nicht mit ihnen fertig wirst!“

 

   Dass er damit ins Schwarze getroffen hatte, wurde ihm in den nächsten Augenblicken klar, als er sich gegen eine Serie heftiger Angriffe wehren musste. Seinen ganzen Plan um einen abwechslungsreichen Kampf musste er sich von einer Sekunde zur anderen aus dem Kopf schlagen, da dieser innerhalb kürzester Zeit mehrmals in höchster Gefahr schwebte. Jedem Angriff den er abblockte, folgte ein noch heftigerer und kritischerer, während er selbst hingegen zu keiner einzigen Angriffschance mehr kam. Auch hatte er keine Zeit, die besorgten Blicke der Schüler zu sehen. Er war hin und her gerissen zwischen Bewunderung von Dotour’s Talent in Präzession als auch Schnelligkeit, und beinahiger Angst um sein eigenes Leben.

   Link hatte nicht damit gerechnet, sich in einem tatsächlichen Kampf wiederzufinden. Er musste wahrlich einen wunden Punkt schmerzlich erwischt haben, denn das was Dotour nun tat, war nicht mehr als Frustabbau zu beschreiben. Es war blanke Wut. Wut auf Dinge, von denen Link keine Ahnung hatte. Doch was es auch war, er spürte schon nach zwei Minuten am ganzen Leib, dass es ein langer, harter Kampf werden würde, wobei ihm die Härte in jedem Fall gewiss war.

   Wenige Attacken später begannen Dotour’s Augen allmählich zu leuchten. Mit jedem Hieb wurde das Leuchten deutlicher und Link’s Panik größer. Er musste irgendwie eine Möglichkeit finden, Dotour zu stoppen, denn fair war dieser Kampf nicht mehr und als seine Augen regelrecht glühten und sich das Rot um die erweiterten Pupillen schließlich bis auf einen minimalen Rand innerhalb und außerhalb der Iriden zu einem gleißenden Grün färbte – ein türkises Grün wie er es zuvor nur bei den verfluchten Überresten von Igos gesehen hatte – wusste Link, dass er nicht mehr Kafei’s Vater vor sich hatte, sondern eine Urgewalt an aufgestauter Aggression, die dieser ohne sich selbst kontrollieren zu können, auf Link projizierte.

   Immer schneller wurden Dotour’s Angriffe. Noch konnte Link mithalten, gerade so. Ein Brennen an seiner Wange. Dotour hatte ihn gestreift. Dann spürte Link einen Tritt in den Rücken und lag schon auf dem Bauch, woraufhin sein Schwert in einem wahrlichen Überraschungsmoment davonflog und in der Wand stecken blieb, wo es um Haaresbreite Lura’s Kopf verfehlte. So etwas war ihm schon lange nicht mehr passiert und in einem Sekundenbruchteil schämte er sich zutiefst dafür, wenngleich auch diese Scham die geringste Rolle in seinen Gedanken spielte. Er war quasi geliefert. Sein Gegenspieler würde nicht aufhören, nur war die einzige ersichtliche Lösung dagegen absolut unangebracht. Schließlich konnte und wollte er Dotour nicht töten. Er musste also wieder auf sein eigenes Geschick und seine Reaktionsfähigkeit vertrauen – und wohl in Farore’s Gnade. Vielleicht sollte er aber einfach liegen bleiben und gleich zu allen dreien beten – und den vier Giganten – Hylia – der Herrin der Zeit – den Mächten des Windes auf dass sie die Tür auf schlugen, Dotour umwehten und ihn in Schnee begruben –

   Fast wie gerufen, doch leider nicht ganz so wie erhofft: einen Windhauch spürend, rollte sich Link nur noch auf die Seite. Tatsächlich hatte Dotour mit einer Sprungattacke die beiden Schwerter genau dort in den Boden gerammt, wo gerade noch Link’s Brust diesen berührt hatte. Dotour’s Blick schnellte auf ihn. Sein Gesichtsausdruck glich einem hungrigen, wilden Tier. Wie ein Wolf, dessen Junge man vor seinen Augen getötet hatte – nicht, dass Link das selbst jemals getan hatte, aber er hatte einmal jemanden retten müssen, der so töricht gewesen war, die Welpen anfassen zu wollen. Und schon wusste Link, dass er es furchtbar bereute, Midna nicht gepackt zu haben, als sie in ihre Heimat verschwunden war. Als Wolf hätte er wesentlich mehr Chancen gehabt. Denn wieder stürzte Dotour sich auf ihn, und er konnte gerade so im letzten Moment weiterrollen.

   Nun, da er zumindest wieder einigermaßen einen Überblick über den Raum hatte, war Taktik gefragt. Angestrengt dachte Link nach, während er nur noch auswich und mit dem Schild blockte, so gut es ging. Dazwischen konnte er zum Glück durch einen Warnruf einen der Männer davon abhalten, das Masterschwert gut gemeint aus der Wand zu ziehen. So steckte die Waffe nun für Link unerreichbar in der dicken Mauer, aber zumindest würde es keine unnötigen Toten geben – oder zumindest hoffte er es. Todesmutige Hilfsbereitschaft hatte ihm gerade noch gefehlt. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass er ohne Schwert auskommen musste. Instinktiv zog er den Sturmbumerang vom Schild und schleuderte ihn auf Dotour. Dieser aber schickte den Bumerang mit der flachen Klinge eines Schwertes zurück und riss Link dadurch abermals von den Beinen, worauf der Bumerang mit einem lauten Donnern gegen den Gong prallte und nach weiterem Flug gegen zwei Wände, auf dem Boden landete.

   Trotz seiner Verzweiflung schaffte es Link seltsamerweise an Sirileij zu denken. Ihre bohrenden Augen vor seinem Geist verstand er, dass seine einzige Chance gegen Dotour darin bestand, den Kampf wie ein Suro weiterzuführen. Jedoch kam es nicht dazu. Begleitet von einem Kracken seiner Unterarmknochen, wurde ihm der Schild herabgerissen. Erst durch die Wucht des Angriffs auf die Knie gestoßen, fühlte er den Schmerz in seinem gebrochenen Arm, mit dem er sich aufgefangen hatte. Dann vernahm er lediglich dumpf, wie aus weiter Entfernung, markerschütternde Entsetzensschreie. In dem Moment als er das kalte Metall in seinen Nacken eindringen und an der Wirbelsäule entlanggleiten spürte, blieb ihm die Luft weg und ihm wurde schwarz vor Augen.

   Das nächste das er mitbekam war der abflauende Schmerz in seinem rechten Unterarm und rosa glitzernder Staub um sich, als er die Augen erneut aufschlug. In anhaltender Panik krabbelte er vorwärts, Schwerter neben sich in den Boden rasen hörend. Irgendwie gelang es ihm, sein Schild wieder zu bekommen. Sowie er sich auf den Rücken rollte und die kunstvoll verzierte Metallplatte mit dem Hylianischen Vogel schützend vor seinen Oberkörper hielt, sah er kurz Dotour’s wahnverzerrtes Gesicht, und die Spitze eines seiner Schwerter herabrasen. Diese glitt am Schild vorbei und durchbohrte Link’s Kehlkopf erneut. Abermals wurde der Raum schwarz. Als er wieder etwas sah und wahrnahm, spürte er die nächste Klinge, welche ihn hart in der Magengrube traf und die beiden Schichten Stoff als auch das Kettenhemd zerriss.

   Vor Schmerzen um Luft ringend, die Schreie der ansonsten wie gelähmten Beobachter in seinen Ohren als wäre er unter Wasser, sah er nur einen blauen Schwall vor sich, bevor das Schwert in seinem Bauch leicht federte. Dann war Dotour verschwunden. Während er mit geschlossenen Augen zu atmen versuchte, blieb auch Dotour die Luft weg.

   Eine starke Hand drückte ihm die Kehle zu und presste ihn gleichzeitig an die Wand. Wild an die Wand schlagend, versuchte er irgendetwas zu unternehmen, doch eine Hand auf seiner Stirn und durchdringende, ebenfalls glühend grüne Augen vor den seinen, ließen ihn langsam wieder zur Vernunft kommen.

   Endlich konnte Link eine Hand nach dem Griff des Kurzschwertes hochstrecken, um es aus sich und dem Boden zu ziehen. Keuchend und Blut hustend setzte er sich auf. Auch Dotour keuchte, als der Druck auf seiner Luftröhre nachließ und die Hand zu seiner Brust hinabwanderte, ihn beruhigend an die Wand drückend.

   Das Leuchten in den Augen seines Sohnes verblasste mit dem in seinen. Mit jedem weiteren von Dotour’s schnellen Atemzügen, trat mehr und mehr Sorge in Kafei’s Gesicht und er wandte den Kopf zu Link um, der sich inzwischen, die Hand auf das stark blutende Loch im Bauch haltend, erfolgreich leicht aufgesetzt hatte und die beiden mit halb geschlossenen Augen abwechselnd ansah.

 

   „Link?“, hauchte Kafei nur.

   „Alles – in Ordnung.“, hustete dieser schlaff. „Mir geht’s gut.“

   „Nein.“, es war mahnende Besorgnis.

   „Wirklich.“, lächelte Link zaghaft, während Blut über sein Kinn rann, sowie über seine Finger quoll. „Ging mir schon öfter weitaus beschissener.“

 

   Zitternd holte er eine Flasche aus seiner Mütze, zog den Korken mit den Zähnen heraus und opferte die letzte Fee, die er bei sich hatte. Es musste keiner wissen, dass es die letzte war, dachte er, erleichtert über die Linderung der Schmerzen und Dotour begann leise zu schluchzen, da ihm bewusst wurde, was für ein Bild er vor sich hatte und dass er selbst die Schuld daran trug. Kafei schloss ihn streichelnd in die Arme und versuchte leise, ihn in ihrer Muttersprache zu beruhigen.

 

   „Kafei! Was ist denn los! Wieso bist du davonge- Kafei?“, Ydin kam hinter dem Gong hervorgestolpert, gefolgt von ihrem Ehemann. „Link? Was ist hier los? Meine Güte! Ist das dein Blut?“

   „Dotour?“, hauchte Frano. „Was ist hier passiert?“, nur ein etwas lauteres Schluchzen kam als Antwort.

   „Könntet ihr Vater bitte nach oben bringen?“, fragte Kafei sanft, ließ diesen aber noch nicht los.

   „Sicher.“, sagte Frano und ging zu den beiden, Dotour stützend unter die Arme greifend, als er dessen Sohn ablöste. „Komm mit, mein Freund.“

   „Kafei?“, fragte Ydin wieder.

   „Wir kommen nach.“

 

   Er wartete, bis sie außer Hörweite waren. Link wagte es nicht, jemanden außer ihm anzusehen. Auch fiel es ihm schwer, den Blick auf Kafei’s Silhouette zu halten. Etwas sagte ihm, dass der zeitweilige Verlust seines Schwertes, welches noch immer in der Wand steckte, noch die geringste Schmach des Tages – oder vielleicht gar seines ganzen Lebens war. Es war nur ein Flüstern, und nicht einmal eine Frage, aber es lenkte seine voll Aufmerksamkeit auf Kafei.

 

   „Was hast du getan.“

   „Nichts – ich – “

   „Hast du irgendetwas gesagt. Irgendetwas.“, Kafei sah nur an einen Punkt irgendwo rechts von sich, leicht über dem Boden.

   „Ich – hab nicht gedacht – “

   „Offensichtlich. Du hattest verdammtes Glück, dass ich gespürt habe, dass etwas mit dir nicht in Ordnung ist. Du hattest Glück, dass ich gespürt habe, dass mit Vater etwas nicht stimmt.“

   „Was – was war – das? Eigentlich?“

   „Was das eigentlich war? Das war das, wofür man uns Shiekah fürchtet.“, er richtete den Blick wieder auf Link, der sich nicht sicher war, ob er Wut oder Enttäuschung vor sich hatte. „Das, Link, kennt man überall unter dem Namen `Blutrausch´. Es ist völliger Kontrollverlust. Sämtlicher Verstand, jegliche Moral, Angst und dergleichen existieren nicht mehr. Es ist, wie wenn ein ausgehungerter Wolf ein verletztes Reh wittert. Er wird es jagen, bis es sich nicht mehr bewegt. Einmal im Blutrausch, kann ein Shiekah nur von einem noch mächtigeren Shiekah gestoppt werden. Nur wenige von uns können sich selbst aus dem Blutrausch zurück holen. Nur einige wenige können sich selbst währenddessen kontrollieren.“

 

   Wieder flackerte die Erinnerung an Igos auf: wenn auch seine Schergen nur damit beschäftigt waren, ihren König sprichwörtlich bis aufs Mark zu verteidigen, als auch ihr eigenes Dasein dabei zu schonen, so hatte der Imperator doch ganz gezielt seine Vorgehensweise gewählt. Auch nach dem erbitterten Kampf war das Glühen seiner Augen nicht verschwunden, obwohl er in Selbstmitleid und Trauer über den Niedergang seines Volkes verfallen war. Igos war in der Lage gewesen, sich eigenständig in den Blutrausch zu versetzen und diese Fähigkeit hatte es ihm ermöglicht, sich währenddessen bis zu einem gewissen Grad zu beherrschen. Mit dem nächsten Gedanken war Link auch klar, dass Kafei diese Gabe irgendwie über die Blutlinie seiner Mutter geerbt haben musste. Allerdings machte ihm aber auch der Schimmer einer Vermutung, dass Kafei sich die Fähigkeit antrainiert hatte, ehrliche Angst.

 

   „Du hattest unverschämtes Glück.“, zerrte dieser ihn wieder zurück in die Gegenwart. „Er hätte dich wieder und wieder getötet. Und wenn Farore höchstpersönlich herabgestiegen wäre, um ihn zu stoppen, er wäre auch auf sie losgegangen. Versetzte niemals einen Shiekah in diesen Zustand. Niemals. Es ist in der Regel das letzte, das du in deinem Leben tust. Schreib dir das dick und fett hinter deine penetrant langen Ohren, bevor sie dir jemand abhackt. Das gilt nicht nur für dich. Ihr alle könnt euch das merken.“, mit einem Schnauben ließ er den Kopf sinken. „Der Kurs ist vorbei. Wenn jemand sein Geld zurück haben will, kann ich das verstehen.“

   „Sie haben noch nicht bezahlt.“, seufzte Link, was ihm aber sogleich absolut irrsinnig vorkam.

   „Auch gut.“

   „Kafei?“, hauchte Link, in der Hoffnung, nicht ganz bei ihm unten durch zu sein, doch dieser verschwand ohne ein weiteres Wort nach oben.

 

 

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