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- Kapitel 28 -

Das Blut der Sonne

   Ein kühler, feuchter Windhauch strich sanft über den Fels, ließ Äste hin und her wiegen. Als wäre sie die einzige ihrer Art, surrte eine Libelle knapp über die Wasseroberfläche, hinweg über die großen Blätter die auf ihr ruhten, hindurch zwischen Schilfhalmen, in eine Höhle hinein und auf der anderen Seite wieder heraus. Wagemutig stürzte sie sich in die Tiefe, über weitere Blätter zwischen den roten Dornenpalmen, spärliches Gras und durch einen verzierten Durchgang. Auch die hölzernen Planken auf der anderen Seite überwand sie blitzschnell. Zielstrebig flog sie geradeaus, auf einen Korridor zu. Ein surren wie das ihrer Flügel. Mit einem lauten Klatschen nahm ihr Flug ein jähes Ende, an der Wand, unter entrüstetem Blick der Königin, die gerade den Thronsaal verlassen hatte, als einer ihrer Wächter beschlossen hatte, die Gunst der Stunde für eine Zielübung zu missbrauchen.

   Wütend über den Störenfried in ihrem Gebüsch, der einfach so mitten hindurch gerollt war, schoss eine Hornisse in die Höhe, aber die Verfolgung war zwecklos. Lediglich ein paar früh aufgestandene Kinder konnte sie kreischend in die Flucht treiben. Der Gorone hatte das Dorf bereits durchquert und verlassen, einer letzten Notlieferung hinterher. Aber das kümmerte den Frosch am Wasserfall, zwischen letzten Flecken Schnee herzlich wenig. Er blickte erwartungsvoll zu den Felsen hinauf, als wüsste er tatsächlich, welcher Tag bald anbrechen würde.

   Weitaus desinteressierter am Kalender waren die Fische zwischen den Korallen und Muscheln und buntesten Pflanzen, die ihresgleichen suchten. Gemeinsam mit ihren für sie riesigen Freunden lauschten sie einer lieblichen Stimme und ihrer Begleitung – letzte Vorbereitungen. Nur noch wenige Stunden und sie würden aufbrechen müssen, um noch einen feuchten Platz zu bekommen. Nicht die Fische. Die würden wie üblich zurückbleiben. Jemand musste schließlich die Halle bewachen, auch wenn die meisten Piratinnen ohnehin mehr auf den umherwandernden Schmuck in den Gassen der der Hauptstadt spitzten.

   Fernab im Osten jedoch herrschte ein seltsames Treiben. In den Häusern – vor den Häusern – und manche sogar beinahe auf den Häusern – überall waren Tiere. Hühner, Ziegen, Kühe, Schweine. Nutzvieh überall. Doch es war kein Markt, wenngleich auch die Stimmen ihrer Besitzer nicht weniger erregt als an solch einem Tag durch den Canyon und hin und her über den Bach hallten. Es wurde nicht gefeilscht, sondern heftigst diskutiert. Dieses Tier wirkte zu krank, ein anderes zu gesund. Viel zu dürr war die Kuh. Man sollte doch noch etwas aus ihr herausbringen, wenn alles vorbei war. Nein, dieses Huhn legte zu viele Eier. Aber das des Nachbarn, das war faul. Warum sollte nicht das Huhn des Nachbarn – nein, dieser wollte eben lieber das Schwein dafür herhalten lassen. Schließlich war es das erste Mal seit dem Untergang.

   Solch ein Untergang herrschte beinahe in einem Stall. Noch immer nicht ganz wissend, worum es eigentlich ging, hatte Link die Heugabel beiseite gelegt und die Arme verschränkt. Der Streit der beiden Frauen war interessant mitanzuhören, aber wovon er handelte, hatte er nicht heraushören können. Auf jeden Fall waren es nicht mehr Beziehungsprobleme oder Diskussionen über Arbeit und Liferungen, oder gar geplante Verkleidungen, die als nicht angemessen angesehen worden waren, sondern etwas das sehr ernst zu sein schien. Dass es sich um den Karneval handelte, konnte er allerdings ausschließen. Warum sollte Cremia auch ihrer Schwester verbieten wollen, zum Karneval zu gehen – noch dazu zum ersten Karneval seit der Invasion!

   Jedenfalls war das Wort Invasion gefallen, und eben, dass es das erste Mal seither sein würde. Da aber auch Igos irgendwann im Gespräch erwähnt worden war, musste es irgendetwas mit Ikana zu tun haben, das ihm Kafei verheimlicht hatte. Er hatte ohnehin inzwischen aufgegeben, alles über ihn herausfinden zu wollen. Dafür reichten wohl nicht einmal mehrere Leben.

   Im Streit der Schwestern waren sogar Tiere vorgekommen. Arme tiere, wie Cremia betont hatte. Und sie schien es absolut nicht für rechtens zu halten. Immerhin wetterte sie sehr vehement dagegen – und Romani gegen sie.

 

   „Zum letzten Mal, nein! Du gehst mir nicht dort hin!“

   „Und du kannst mir nicht verbieten, dort hin zu gehen!“

   „Ich hab Franin bis jetzt geduldet, aber das geht entschieden zu weit! Und so viel steckt gar nicht in ihm, dass er so begeistert davon sein kann!“

   „Die Hälfte, Cremia! Die Hälfte! Seine Eltern sind beide zur Hälfte Shiekah, was ihn auch zur Hälfte zum Shiekah macht!“, das hatte Link zumindest seit der Hinrichtung schon herausgefunden. „Er hat sehr wohl das Recht zu sagen, er geht dort hin!“

   „Aber das heißt noch lange nicht, dass du dort hin gehst!“

   „Ich bin seine Freundin! Kafei hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es ratsam wäre, ihn nicht alleine dort sitzen zu lassen!“

   „Kafei spinnt!“

 

   Das war schon etwas Neues, erst recht von Cremia. Schließlich hatte sie ihn immer gerne verteidigt. Selbst gegen Rim. Link vermutete stark, dass sie einst in ihn verliebt gewesen war, oder es vielleicht sogar noch ein bisschen war. Aber diese offenkundige Aussage ließ ihn doch an solchen Gefühlen zweifeln.

 

   „Er ist krank! Ich versteh nicht, wie er so was wieder einführen kann! Erst die Hinrichtung! Dann das! Er kann uns hundert mal gerettet haben! Uns alle! Es ist mir egal! Diese Sache ist einfach abscheulich! Ich werde nicht zulassen, dass du mit Franin dort hingehst! Schon gar nicht alleine!“

   „Cremia! Hunderte werden dort sein!“

   „Hunderte Verrückte!“, schon langsam klang es als ob sie nicht die beiden Schwestern waren, sondern Aril und Doria. „Das ist geisteskrank! Abartig!“, oder Anju’s Mutter zu ihrer Tochter; der Himmel allein wusste, wohin sie gegangen war, nachdem Anju sie aus der Stadt geworfen hatte.

   „Es ist ein Fest des Lebens, sagt Franin.“, nun verschränkte auch Romani die Arme.

   „Weil er sich von Kafei manipulieren hat lassen! Er hat sich einlullen lassen! Alle krank!“

   „Darf ich dich erinnern, dass du mit einem von ihnen verheiratet warst?“

 

   Das hatte noch gefehlt. Im Grunde hatte Link nur mehr gewartet, bis sie Rim einbrachte. Er war noch immer ein heikles Thema und Cremia reagierte sehr empfindlich auf seine Erwähnung. Ihn in solch einen Streit miteinzubeziehen, glich einem Todesurteil.

 

   „Was auch immer es ist,“, beschloss Link einzugreifen, bevor Heugabeln fliegen lernen würden, „Ich werd auch hingehen.“

   „Was auch immer es ist?“, hauchte Cremia. „Was auch immer es ist?

   „Wenn du nicht willst, dass sie mit Franin dort alleine ist, ich pass auf sie auf.“

   „Danke.“, seufzte Romani. „Sie kapiert einfach nicht, dass ich erwachsen genug bin.“

   „DU BIST VERDAMMT NOCH MAL NICHT ERWACHSEN GENUG!“, der Hahn nahm Reißaus und auch die Kühe zuckten merklich zusammen. „UND DU!“, deutete Cremia nun auf ihn, „HAST DU ÜBERHAUPT AUCH NUR DIE GERINGSTE AHNUNG, WAS DU DA SAGST?“

   „Durchaus,“, meinte Link.

   „NEIN, HAST DU NICHT! ER HAT DIR DOCH NICHT EINMAL DAVON ERZÄHLT, HERR Was-auch-immer-es-ist!

   „Na und?“, blieb Link unbkümmert.

   „Na – na und?“, vollkommen entgeistert starrte sie zwischen den beiden hin und her, dann – „Raus. Raus hier. Alle beide. Sofort.“

 

   Das ließ Link sich gerne nicht zweimal sagen, packte Romani nach weitem Schritt am Handgelenk und zerrte sie ins Freie, noch bevor die innere Uhr des Hahnes ihn dazu bringen konnte, den Morgen anzukünden. Hinter der geschlossenen Stalltür hörten sie gedämpt sein Krähen und Cremia’s wütenden Aufschrei, wohl wegen des Hahnes und nicht wegen ihrer Schwester. Diese sah indess nach oben. Der Himmel war wolkenverhangen und es roch nach Regen. Das machte nun auch Link besorgt. Regen war das letzte was es am Karnevalsabend geben sollte. So hoffte er, dass wenn es schon regnen musste, sich dieser bis zum Einbruch der Nacht wieder verflüchtigte.

 

   „Das kann sie nicht mit mir machen, oder?“, jammerte Romani zu den Wolken.

   „Sie ist deine große Schwester und sie fühlt sich eben für dich verantwortlich. Ich kann das verstehen, wenn ich auch nicht versteh, woraus ihr so ein verbales Gemetzel macht.“

   „Er hat’s dir wirklich nicht gesagt?“

   „Nein.“, Link schüttelte den Kopf.

   „Das Sonnenfest.“

   „Das Sonnenfest.“, wiederholte Link schnaubend. „Und was ist das?“

   „So etwas wie der Karneval der Zeit. Ähm – nunja, ich glaube, der Karneval ist aus ihm hervorgegangen – oder so. Das hat keiner der beiden gesagt. Ich weiß nur, dass der Karneval, so wie wir ihn feiern, erst durch Termin geprägt wurde. Früher hat man ihn auch in Unruhstadt gefeiert. Als das Land noch zu Ikana gehört hat. Aber die Leute sind mit den Masken aus Schilffaser ins Residenzdorf gezogen, um eine Stunde vor Sonnenaufgang vor dem Schloss zu sein, bevor die Sonne über dem Schloss aufgeht. Man hat sich dort versammelt, um der Sonne Tieropfer darzubieten und die Masken dem Wasser zu übergeben. Aber nur Nutztiere, keine Katzen und so.“

   „Ach deshalb hat sie etwas dagegen. Aber ihr schlachtet sie doch auch? Aus einem sehr banalen Grund?“

   „Sie meint, es wäre eine Verschwendung, aber das Fleisch und das Leder werden aufgeteilt. Die Knochen werden auch weiterverwendet. Aber sie glaubt von Rim zu wissen, dass sie hauptsächlich geschlachtet werden, damit die Leute zu ehren der Sonne das Blut der Tiere trinken können. Es soll Kraft bringen.“

   „Da ist was dran,“, stellte Link fest. „Es ist zwar gewöhnungsbedürftig – und sicher besser als das Blut das ich trinken musste – aber weißt du, wenn du am Verhungern und Verdursten bist und furchtbar wütend und dir die Beine vor Anstrengung und Überlebensangst schlottern, vergisst du schon einmal, dass du noch ein Kind bist und isst das Herz einer Riesenspinne. Und von noch ganz anderen Absonderlichkeiten.“

   „Ich dachte, Kafei hat mich verarscht!“

   „Nein, hat er nicht.“, gluckste Link ob ihrer nun fast doppelt so großen Augen. „Und auch wenn die Tatsache, dass ich bis dorthin noch nie Fleisch gegessen hab und schon gar nicht in Erwägung gezogen hab, jemals Fleisch zu essen, war es in Anbetracht der Lage doch sehr kräftigend und gar nicht unköstlich.“

   „Das baut mich richtig auf, weißt du?“, lächelte Romani gequält. „Aber Cremia wird es nicht umstimmen. Sie hat auch gemeint, was danach kommt, ist nichts für mich. Wenn sie mir auch nicht sagen will, was es ist.“

   „Dann schlag ich vor, du gehst es selbst herausfinden. Aber kein Wort zu Kafei. Ich will sein Gesicht sehen, wenn er bemerkt, dass ich’s auf ein Fest geschafft hab, das er versucht hat, vor mir zu verheimlichen. Sag mal – als was gehst du heute Abend eigentlich? Ihr habt euch doch auch deswegen gestritten – “

   „Bitte lach jetzt ja nicht.“

   „Werd ich nicht.“

   „Ich hab nämlich sehr viel Arbeit hineingesteckt.“

   „Und? Was für ein Kostüm ist es?“, endlich nahm Romani den Blick von den Wolken und Link entging nicht, dass sie selbst gegen ein Lachen kämpfte.

   „Ein Dodongo.“

 

 

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   Vermutlich hätte er sie nicht waschen sollen, aber der Geruch des Stalls hatte so an ihnen gehaftet, dass er kübelweise Parfüm verwenden hätte müssen, um ihn loszuwerden. Und da er sich als Wolf vom Wasser befreit hatte – waren seine Haare in seiner normalen Gestalt ein einziges Chaos. Er spielte sogar schon mit dem Gedanken, sie wieder abzuschneiden, aber Kafei’s Blick, wenn seine Finger durch Link’s blonde Strähnen gleiten durften, waren ihm die Mühe der Entwirrung des Horrors wert, Tag für Tag. Und wenn er sie unter die Perücke bekommen wollte, ohne sie am nächsten Tag tatsächlich abschneiden zu müssen, musste er schlichtweg die Tortur in Kauf nehmen. Außerdem wäre sonst die ganze Arbeit umsonst gewesen.

   Er hätte es auch anders haben können, aber er hatte ja unbedingt echte Ranken nehmen müssen. So waren zumindest die Blätter echt. Es hatte doch sehr lange gedauert, bis er herausgefunden hatte, wie man so etwas konservieren konnte. Schlussendlich hatte er ein Harz bekommen können, das im trockenen Zustand glasklar war und nicht klebte. In tagelanger Geheimarbeit hatte  r Blatt für Blatt damit eingestrichen und lufttrocknen lassen. Und dann? Dann war die Arbeit erst richtig losgegangen. Dann hatte er nämlich die Blätter an den überstehenden Harzschichten aneinandernähen müssen – und auch welche auf eine hautfärbige Unterhose. Er wusste zwar, dass er es bereuen würde, nicht so einen Anzug in Auftrag gegeben zu haben wie Dotour von Ydin damals bekommen hatte, denn es würde die Stunde kommen, da er sehr frieren würde, aber was tat Mann nicht alles für einen guten Eindruck.

   Stunden später, so schien es ihm, war das Konstrukt an unstrukturierten Zöpfen fertig und alles unter einer langen knallrosa gefärbten Pracht; zu drei Pferdeschwänzen gebunden und mit Blättern geschmückt; verstaut. Natürlich hätte er seine alte Maske aufsetzen können, was auch gar nicht unangebracht gewesen wäre, aber es ging ihm ums Prinzip. Zum Glück hatte sich auch das Haupt-Gewirr an bräunlich grünen Blättern samt Blätterträgern und verzierter Unterhose leichter anziehen lassen als bei seinen Anproben. Er hoffte nur, dass sich die Blätter nicht nacheinander verflüchtigen würden. Einziger Trost an dem Kostüm waren die kniehohen Stiefel. Wenn er auch als Eisklumpen enden würde, es blieb ihm die Gewissheit, dass seine Zehen wohlige Wärme genießen durften.

   Endlich konnte er sich dem einfachen und sogar angenehmen Teil widmen: das Schminken. Knalllila Lippen, Lidschatten so kräftig und fatal wie die nicht billige Rosshaarperücke, ein Hauch von Rosa auf die Wangen – die Wimpern mit Tusche geschwärzt – er hätte sich tatsächlich zumindest ein Mieder schneidern lassen sollen – so eines wie Kafei sie hatte – mit denen man selbst männliche Brustmuskeln zu weiblichen Kolossen hochquetschen konnte. Schließlich besaß er `oben herum´ sogar noch mehr Gold als Kafei, wenn er es auch irgendwie geschafft hatte, dünn zu bleiben. Nein, ein Muskelprotz war er nicht, aber mit einem Mieder mit künstlichem Bauch und links und rechts um die Hüfte einen Polster hätte er durchaus als bleiche Kopie von Thelma durchgehen können. Oder so. Vielleicht auch nicht.

   Aber nein, Taya war in letzter Zeit so begeistert von der „Großen“ Fee neben dem Schloss, dass er ihr einfach den Gefallen tun hatte müssen. Ja, auch er konnte Geheimnisse hochhalten. Das Mädchen hatte keine Ahnung, dass er ihr tatsächlich den Wunsch, als eine – Mittelgroße – Fee anzutanzen, erfüllen würde. Er hatte sich sogar nachts ins Lager geschlichen, um das gackernde Lachen zu üben, das er aus seiner Kindheit gut als beinahe nervtötender als Navi’s Herumkommandierrerei in Erinnerung hatte. Wieso hatten die Göttinnen nur solch grazile Wesen mit so unglaublich schrecklichen Attributen ausgestattet? Eines wusste er also bestimmt: so ähnlich er nun einer vorne geplätteten Großen Fee sah, so sehr war er keine von ihnen – und hatte nicht auch nur ansatzweise das Bedürfnis, mit einer von ihnen die Körper zu tauschen.

   Eine andere Sache legte ihm allerdings Rätsel auf: er ging als Fee, Romani als Pappmacheé-Dodongo. Aber die anderen? Er hatte nicht die blasseste Ahnung. Anju hatte sich nämlich mit dem Rest der Familie unten in ihrem Büro und dem dahinterliegenden Zimmer verschanzt. Doch spätestens in zwei Stunden würde er es wissen. Inzwischen konnte er nach draußen gehen und sich den A- sich akklimatisieren.

 

   „Ach du Schande!“

 

   Genau das hätte er auch am liebsten geschrien. Vollkommen erschrocken schnellte er herum. Ohne dass er es bemerkt hatte, war die Tür aufgegangen und –

 

   „Was bei Großmutter’s Krabbensalat hast du denn da an!“, lachte Aril, aber die selbe Frage konnte er ihr stellen.

 

   Sie war von den Schultern abwärts in fließenden goldenen und kupfernen Stoff gehüllt und beim Betrachten ihrer Handgelenke wunderte es ihn, dass er die Unmengen an goldenen Armreifen nicht klimpern hatte hören. Erkannt hatte er sie auch nur an ihrer Stimme. Sie hatte es mit dem Brauch ernster genommen als die meisten Bewohner Terminas es taten und trug eine gleichsam schimmernde runde Maske mit glitzernden Strahlen aufgemalt, von ihrer Nase ausgehend. Die Augenlöcher waren schwarz umrahmt und die Lippenpartie plastisch und mit einem satten Bronzeton hervorgehoben, aber ansonsten war ihr Gesicht völlig verdeckt. Luft bekam sie nur durch Nasenschlitze und eventuell durch die Augenlöcher. Natürlich standen ihre Ohren seitlich ab und schafften es, hervorzulugen, aber auch die Ringe und Ketten in diesen waren nun nicht mehr silbern sondern golden und funkelten immens.

   Ihre langen Haare hatte sie mit Schleim-Gel zu einem starren Strahlenkranz geformt, der es ihr sichtbar unmöglich machte, frontal und aufrecht durch eine Tür zu schreiten. Dass ihr das bewusst war, zeigte sie als sie seitlich und in der Hocke eintrat, was sehr stark an eine Krabbe nach einem Küstensturm erinnerte. Wesentlich rascher näherte sie sich ihrem Bruder, um sich das Verbrechen genauer zu besehen.

 

   „Du spinnst ja wirklich.“, kicherte sie. „Hast du auch nur den Hauch einer Ahnung, wie genial du aussiehst?“

   „Und du erst. Ich weiß ja nicht, ob sie so eine Freude damit haben, aber wenn sich die Wolken bis zum Sonnenaufgang nicht verziehen, könntest du durchaus für die Gute einspringen, damit die Shiekah ihr sonderbares Fest nicht absagen müssen.“

   „Welches sonderbare Fest?“

   „Du weißt es also auch nicht?“, sie schüttelte vorsichtig den Kopf. „Tja, hätten sich Romani und Cremia nicht gestritten, hätte ich’s vermutlich auch nie herausgefunden. Es gibt ein Sonnenfest. Quasi eine Erweiterung zum Karneval. Aber nur für Shiekah. Angeblich ist es ein uralter Brauch in Ikana und Kafei hat ihn auf Bitten seiner Untertanen wieder eingeführt.“

   „Klingt interessant! Was macht man dort?“

   „Wenn die beiden nicht übertreiben, willst du’s lieber nicht wissen. Aber ich geh auch nur hin, damit Cremia beruhigt ist. Schließlich bin ich kein Shiekah. Ich denke, Zugehörige anderer Völker haben dabei einfach nichts verloren. Außer sie werden eingeladen, so wie Romani von Franin eingeladen wurde.“

   „Gut? Und was denkst du? Warum hat dir Kafei nichts davon gesagt?“

   „Entweder damit ich – ach was weiß ich denn. Keine Ahnung. Jedenfalls hoffe ich für ihn, dass es ihm Leid tun wird, wenn er mich dort sieht.“

   „Na du bist aber gehässig!“, lachte Aril.

   „Kann schon sein. Was auch immer. Sag mal, wenn’s hart auf hart kommt – leihst du mir dann eines dieser Tücher, die du da über dieser schlanken Wucht an Kleid an hast?“

   „Aber selbstverständlich wickle ich mein frierendes Bruderherz ein, bevor ihm seine künstlerische Einfalt die Nippel kostet.“

 

 

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   Wider Erwarten, zählten ihre Kostüme doch nicht zu den pompösesten. Manche hatte echte Schwierigkeiten, sich nicht nur in der Masse, sondern generell zu bewegen. Dennoch gehörte er zu den wenigen, die nicht direkt eine Maske trugen. Langsam sollte er sich wohl Gedanken machen, ob er den Brauch richtig verstanden hatte. Wenn ihm das Schminken nicht so viel Spaß machen würde, hätte er sich vermutlich ebenfalls einer Maske gewidmet. Allerdings kreuzte in diesem Moment eine ganze Hühnerschar ihren Weg. Keine echten Hühner, sondern sämtliche Bomber im gefiederten Kollektiv. Sie mussten das ganze Jahr über Federn gesammelt haben, damit ihre Eltern ihnen diese Prachtexemplare hatten zaubern können.

   Es gab also, wie er beim Vergleich zum Vorjahr erkennen konnte, eine deutliche Neigung ins Extreme. Da waren die einen, die einfach nur irgendwelche Masken trugen, sich aber um dazupassende Kleidung nicht sonderlich viele Gedanken gemacht hatten, und dann waren da jene wie seine Schwester und er, und eben noch seltsamere Gestalten. Irgendwann erhaschten sie auch einen entfernten Blick auch einen aufrecht hetzeden Dodongo, der vollkommen in der selbsterlegten Aufgabe aufging, alles und jeden zu erschrecken.

 

   „Su itham!“, Link drehte sich zu der nur allzu bekannten Stimme um. „Taya wird durchdrehen. Oder hat sie dich schon gesehen?“

   „Äh – nein – “

 

   Das was Link allerdings sah, war weit weg von dem, was er sonst von ihm gewohnt war. Auch hatte es nichts vom Zora des letzten Karnevals. Die Haare hatte Dotour in Unmengen von dünnen, mit feuerfarbenen Bändern durchzogenen Zöpfen nach hinten gebändigt. Passend dazu trug er eine rituell wirkende, bemalte Schilfmaske. Seine Kleidung in den selben Farben aber bestand aus verschiedenen gewickelten Tüchern, die mehr zeigten, als dass sie verbargen. Zwar würde es noch ein wenig dauern, bis er seinen Rücken sah, aber Link konnte jetzt schon sagen, dass seine Tätowierungen nicht gerade verhüllt waren. Auch vorne war mehr als gut zu sehen, wie hart er den ganzen Winter über an seinem Körper gearbeitet hatte. Wäre da nicht das sichtliche Alter seiner Haut, er hätte nicht erraten, dass ein doch schon recht alter Mann vor ihm stand

   Dotour schob die Maske nach oben, um Link besser sehen zu können. Dabei offenbarte er kunstvolle Gesichtsbemalung. Man hätte sehr wenig Ahnung von der Welt haben müssen, um sie nicht eindeutig Ikana zuordnen zu können.

 

   „Da staune ich aber.“

   „Ich auch.“, gluckste Link. „Anscheinend wissen irgendwie alle von dem Fest.“

   „Wie – hat er dich nicht eingeladen?“

   „Er hat kein Wort davon gesagt.“, Link unterdrückte ein Schnauben.

   „Seltsam. Zu mir hat er gemeint, dass er für dich eine ganz besondere Rolle hat.“

   „Wohl die dessen, der nicht eingeladen wurde. Aber ich habe mich quasi selbst als Romani’s Aufpasser eingeteilt.“

   „Oha. Hat Franin ihr auch vom Mahl erzählt?“

   „Ähm – sagen wir, sie weiß offensichtlich besser, warum Kafei damals das Hasenherz so ohne Weiteres gegessen hat.“

   „Und trotzdem will sie hingehen?“

   „Sie hat sich nicht davon abhalten lassen,“

   „Dann musst du auch zusehen, dass sie unbedingt nach dem Mahl verschwindet.“

   „Was ist denn jetzt so schlimm, dass sie niemand dabei haben will?“

   „Sagen wir, wenn es soweit ist, wird dich Cremia auf ewig dafür lieben, sie nach Hause geschickt zu haben, ob nun mit oder ohne Franin. Man sieht sich.“

   „Dotour – was – “, aber er winkte nur mit bereits gesenkter Maske und verschwand in der Menge. „Will ich Cremia’s Liebe?“

   „Das willst du.“

 

   Diesmal stand Anju hinter ihm, und die Maske die sie trug, wirkte trotz des selben Materials so edel, dass kein Zweifel darin bestand: solch eine Maske war der Königin vorbehalten. Manche der Verzierungen waren vergoldet und sie schimmerte beinahe magisch im Licht der Fackeln und Lampions. Auch wirkte sie bei weitem nicht so rustikal wie Dotour’s. Das liebliche Vogelgesicht mit schrägen Augenschlitzen war ein Meisterwerk der Flechtkust. Ihre Tücher waren ebenfalls überwiegend in Rot und Orange gehalten, mit dezenter blauer und goldener Perlenstickerei. Einige Perlen- und Knochenketten waren ebenfalls elegant drapiert.

   Sie jedoch bestätigte seinem Ausdruck die Vermutung, als sie sich einmal verzückt im Kreis drehte, wobei alles schwang, das nicht fest verknüpft war. Ihr Rücken war fast zu tief sichtbar und wie bei Dotour waren die Lagen über die Brust wohl eher für die Karnevalsbesucher gedacht. Beide Unterarme wurden durch kustvollst gearbeitete Goldreifen fast bis zu den Ellenbögen beschwert und auch an den Oberarmen trug sie einige. Selbst um die durch Seidenbandagen geschützten Köchel schimmerte Gold. Schuhe trug sie keine. Anscheinend waren die Bandagen ausreichend.

   Wie auch immer sie es gemacht hatte, an ihren Fingernägeln klebten Vogelklauen, die so geschnitzt waren, dass sie wie ein vollkommen natürlicher Teil von ihr aussahen. Ihren Hals zierte ein Collier aus Goldperlen, bunten Glasperlen und Skelettköpfen von kleinen Vögeln. Ihre Blutrote Haarpracht war zwar nicht zur Gänze geflochten, aber auch sie trug Bänder in ihr, in Blautönen, und mit weiteren Goldperlen. Drei Zöpfe am Hinterkopf waren in ihr dunkles, grünlichblaues Königsdiadem; samt Aufbau; eingearbeitet, dessen Stirn unter der Maske verschwand. Nun sah Link auch die edel bestickten Bänder, die die Maske befestigten.

 

   „Bin ich etwa der einzige, der sich umziehen muss?“

   „Ja.“

   „Also bin ich eingeladen?“

   „Wieso solltest du nicht eingeladen sein? Kafei besteht darauf!“

   „Zu mir hat er aber davon nichts gesagt. Aril – wa– “, doch sie hatte sich ohne ein Wort zum Tanz führen lassen.

   „Zu mir wohl. Ich habe die Aufgabe, dich vor seiner Rede zu entführen und hübsch zu machen, damit du es auch rechtzeitg schaffst.“

   „Das hätte er mir aber sagen können,“, Link war an dem Punkt angelangt, an dem er nicht mehr gegen die Frustration ankämpfen konnte.

   „Er weiß doch, wie spontan du bist.“

   „Ich könnte mich aber viel leichter auf etwas freuen, von dem ich zumindest etwas weiß.“

   „Laut Romani weißt du bereits sehr viel.“

   „Ja. Es gibt absolut unhylianisches Essen.“, schnaubte Link.

   „Jetzt sprich doch nicht so abfällig über uralte Traditionen.“, er konnte Anju’s leises Kichern trotz des Lärms – sehen. „Es wird dich zwar eher faszinieren als dass es dir gefällt, aber wenn du es hinter dir hast, wird dir einiges leichter fallen. Kafei hat gemeint, dass ich mir nicht mehr so große Sorgen machen muss. Mir scheint, sein einziger Grund der Wiedereinführung zuzustimmen war, dass es für uns beide die Chance ist, uns als würdig zu beweisen.“

   „Und er kann sich so richtig aufdonnern.“

   „Das vermutlich auch.“

   „Wo ist er?“

   „Du wirst ihn nicht vor dem Fest sehen.“

   „Damit ich ihm keine reinhauen kann?“

   „Nein. Weil niemand den König davor sehen darf. Wenn du es schaffst, kannst du dich ja nach einem sehr reich bestickten, dunklen Umhang umsehen. Aber an der Maske wirst du ihn eher erkennen. Eigentlich dürfte man mich auch nicht sehen, aber mir ist so heiß vor Aufregung und unter dieser Maske, ich hab es nicht ausgehalten. Sie dürften es bei mir nicht ganz so streng nehmen.“

   „Und Esra?“

   „Sie wird auch dabei sein. Es ist ein Fest der Liebe. Sie nicht einzuladen, wäre wohl recht unangebracht.“

   „Macht sie auch bei diesem – Mahl mit?“

   „Es ausschlagen, etwas zu essen?“, lachte Anju auf.

   „Wohl war.“, grinste Link. „Aber weiß sie, was auf sie zukommt?“

   „Denkst du, Dotour hätte nicht mit ihr geübt?“

   „Wenn sie das durchzieht, muss sie ihn ja wirklich lieben.“

   „Oh, das tut sie, glaub mir. Hat dich Taya schon gesehen?“

   „Nein. Wird sie auch dabei sein?“

   „Natürlich. Die Thronerben dürfen nicht ausgeschlossen werden.“

   „Also ich weiß nicht, Anju. Natürlich sind es eure Kinder, aber sind sie nicht etwas zu jung?“

   „Darf ich dich daran erinnern, dass du – “

   „Zum letzten Mal – “

   „Schon gut, beruhige dich.“, sie legte ihm die Hand auf die Schulter, ganz vorsichtig, um seine Blätter nicht zu beschädigen. „Sie erhalten nur den Segen. Dann bringt Sirileij sie ins Bett.“

   „Kann sie, wenn sie dann schon dabei ist, Romani und Franin mitnehmen? Ich hab keine Lust, dass mir Cremia den Kopf abreißt.“

   „Ich fürchte, dafür reicht meine Befehlsgewalt nicht aus. Sie sind den Gesetzen Ikanas nach alt genug, selbst darüber zu entscheiden.“

   „Ja, Franin ist dank seiner Abstammung legitim volljährig, aber Romani ist eine reine Hylianerin. Ich denke nicht,“

   „Du bist weder König, noch Romani, die beschlossen hat, sich einem halben Shiekah anzuvertrauen. Es ist ihre Entscheidung, welchen Gesetzen sie folgt. Wenn sie in diesem Fall sagt, sie will wie eine Shiekah behandelt werden, hat Cremia nichts mehr zu sagen.“

   „Auch wenn sie für Hylianer noch nicht – “

   „Du hast dich ja auch entschieden, wenn ich dich erinnern darf.“

   „Moment mal – worum geht es hier eigentlich?“, langsam fing Link an, die Fakten zusammenzuzählen.

   „Wenn sie beschließt, als Frau gesehen zu werden, ist das ihre alleinige Sache.“

   „Willst du mir damit sagen – aber sie weiß doch gar nichts, von dem was nach dem Mahl – “, diese Erkenntnis machte Link durchaus nervös und er hätte nie gedacht, dass er sich einmal Sorgen um Romani machen würde.

   „Jetzt – krieg dich wieder ein. Es ist ihre Entscheidung, wie lange sie bleiben will. Sie weiß vom Mahl und will daran teilnehmen. Ich kenne Franin seit seiner Geburt. Er hat ihr die Einzelheiten darüber erklärt, da bin ich mir sicher.“

   „Ja, schon, aber – und was ist jetzt eigentlich danach?“, er hatte so seine vage Vermutung, hoffte aber, auf ein Übertreiben seiner blank liegenden Nerven.

   „Er ist selbstlos genug, ihre Wahl zu akzeptieren. Wenn sie sagt, sie ziehen es gemeinsam bis zum Ende durch, wird er für ihr Wohlbefinden sorgen. Und wenn nicht, wird er sie nach Hause begleiten. Du musst dir keine Sorgen machen, dass du Cremia zum Opfer fällst.“

   „Also eigentlich mach ich mir momentan seltsamerweise mehr Sorgen um Romani als um mich.“

   „Link, sie ist die kleine Schwester meiner besten Freundin. Auch ich sorge dafür, dass sie nichts tun muss, was sie nicht will.“

 

 

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   Sie ließ ihn nicht einmal Kafei’s Maske sehen. Kurz bevor es Zeit für die Rede war, griff Anju nach seinem Handgelenk und dirigierte ihn durch die zum Südplatz strömenden Massen zum Rathaus. Alle die sie passierten, starrten ihnen fragend nach, da sie offenbar die einzigen waren, die anderes vorhatten. Das Feuerwerk sahen sie sich vor dem Rathaus an, wenn auch nicht alles. Anju wollte ihn im Innern wissen, bevor sich wieder alles in Bewegung setzte.

   Anstatt nach oben, führte sie ihn durch ihr Büro, in Dotour’s und Esra’s Zimmer. Dort brannte bereits das Kaminfeuer, was ihm erst richtig bewusst machte, dass ihm eigentlich mehr als nur kalt war. Dann half sie ihm auch noch aus den Ranken und der vom Tanzen verschwitzten Perücke, was ihm zwar wieder richtiges Atmen und das Lockern seines inzwischen steifen Halses ermöglichte, aber für die plötzliche Kühle reichte die Wärme der Flammen nicht wirklich. Doch dafür hatte sie eine Abhilfe, wenn er auch Hand anlegen musste, um die große Eisenwanne von den Haken zu heben. Sie stellte sie in die Mitte des Raumes und machte ihm klar, dass er sich hineinstellen musste.

 

   „Wie jetzt – muss ich mich waschen?“

   „Nicht du wäschst dich. Das mache ich. Es bringt Unglück, es selbst zu tun. Am Ende bist du ungenau und nicht rein genug für die Götter.“

   „Was?“

   „Nicht meine Idee. Oder hast du plötzlich Berührungsängste?“

   „Anju,“

   „Man weiß ja nie,“, lachte sie und erstmals sah er ihre Gesichtsbemalungen, da sie die Maske auf den Tisch gelegt hatte.

   „Ich weiß aber sehrwohl,“

   „Hast du?“

   „Was?“

   „Berührungsängste?“

   „Anju! Pass bloß auf, was du sagst!“, lachte er ebenfalls, zog sich Stiefel und den Rest der Unterwäsche aus. „Einfach hineinstellen?“

   „Sei aber vorsichtig. Der Boden ist heiß.“

   „Darauf wäre ich nie gekommen.“

 

   Sie tat seinen Sarkasmus mit einem Lächeln ab und nahm sich einen Schwamm, der in einer Schale auf dem Tisch lag. Mit ihm began sie nun, ihn von oben bis unten zu waschen. Selbst –

 

   „Die Ohren? Ist das wirklich nötig?“

   „Ihre Botschaften dürfen nicht beschmutzt werden, bevor du sie vernimmst.“, sagte sie, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, an so etwas zu glauben.

   „Meine Güte – die Nafe – auf? Muff if fie riefen können?“

   „Sei still und lass mich machen.“

   „Aber nicht die – “

   „Oh gerade die Haare sind es, die schön sein müssen. Zier dich nicht so.“

   „Es ist ja nicht so, dass ich nicht weiß, was Wasser mit ihnen macht.“

   „Du kannst mir nicht weismachen, es würde sie in schleimige Tentakel verwandeln.“

   „Und ob du darauf wetten kannst!“

   „Glaub mir, es gibt Haare, die sich noch seltsamer verhalten als deine. Und du tust wirklich so, als hätte ich sie noch nie nass gesehen. Was ist los mit dir? Wieso bist du so verkrampft?“

   „Vielleicht, weil meine Fußsohlen brennen?“

   „Ich hab’s dir gesagt. Stell dich nicht so an und nimm es wie ein Mann. Hab ich auch.“

   „Wie ein Mann, hast du’s genommen.“

   „Nein, wie eine Frau. Wir sind bei weitem nicht so zimperlich, wenn du es wissen willst.“

   „Ich will im Moment nur wissen, ob ich mir dann den Rücken abfrieren muss.“

   „Ja, musst du.“

   „Wer hat das bestimmt?“

   „Nicht ich.“

   „Und die Farben sind auch vorgegeben?“

   „Nein. Hast du Sonderwünsche? Oder vielleicht das Bedürfnis, ein paar Haare loszuwerden?“, welche sie meinte, demonstrierte sie mit dem Schwamm.

   „Ist mir egal, wenn du meinst, die müssen ab. Die kümmern mich nicht wirklich.“

   „Ist ja auch nicht gerade viel da.“

   „Und hell sind sie obendrein.“

   „Also?“

   „Also was?“

   „Willst du?“

   „Was. Es gibt etwas, das ich selbst entscheiden darf?“, gluckste Link.

   „Entscheiden, ja. Machen, nein.“

   „Ach so ist das. Ich sage ab damit und du – “

   „Genau. Nur nicht oben am Kopf.“

   „Und nicht, dass ich mir diese dummen Stoppel schon heute Morgen abrasiert hätte,“

   „Eben. Arme und Beine bleiben ebenfalls dir überlassen.“

   „Wer rasiert sich bitte die Arme?“, raunte Link.

   „Hoch damit.“

   „Was?“

   „Damit ich deine Achseln waschen kann.“

   „Oh. Soll da auch was ab?“

   „Ich wiederhole, du gibst vor.“

   „Also darf ich das so verstehen – die Götter wollen mich frisch gewaschen, in anzüglichen Tüchern, mit kunstvoll verknoteten Haaren am Kopf, aber ob der Rest aussieht wie ein Bürstenschwein ist egal?“, Anju musste lachen.

   „Link, ich versuche dir nur entgegenzukommen. Und mir selbst, da ich es ja wissen muss.“

   „Kannst du da auch Muster schnitzen? War nur ein Scherz!“, fügte er hastig ob ihrem Blick hinzu.

   „Nein, ich meine, natürlich. Alles was du willst. Nur bei übermäßigen Sonderwünschen würde ich in Anbetracht meiner talentierten Hände nicht auf Perfektion hoffen.“

   „Wenn du mich weiterhin damit nervst, sag ich bald `alles oder nichts´.“

   „Du hast es bereits gesagt.“

   „Ja, ja.“

   „Also was jetzt? Beides geht nicht.“

   „Hör auf, mich zu überfordern. Warte – ehrlich jetzt?“

   „Gerade da,“

   „Wie oft sagst du das noch?“

   „Viele Möglichkeiten, wo es nötig wäre, gibt es nicht mehr.“

   „Dann tu, was du nicht lassen darfst. So lange du nur die Götter befriedi- argh!“, sie hatte ihm den Schwamm von unten herauf ins Gesicht geworfen, aber wieder gekonnt aufgefangen. „Ich dachte, es wäre ein heiliges Ritual!“

   „Genau. Also betrachte es bitte mit dem angemessenen Respekt.“

   „Nur, wenn du aufhörst dabei zu grinsen.“

   „Hast du dich schon entschieden?“

   „Zählen die etwa auch?“

   „Es sind Haare,“

   „Tasächlich. Wer sagt das.“

   „Sie sehen aus wie Haare, verhalten sich wie Haare,“

   „Du liebst es, mich vor mir selbst zu demütigen, oder?“

   „Link. Wenn es dir unangenehm ist, darüber zu sprechen, dann lassen wir alles dran und vergessen es.“

   „Es ist mir nicht unangenehm. Der Gedanke, von jemand anderem rasiert zu werden, fühlt sich nur etwas seltsam an. Womit rechnet Kafei?“

   „Nur mit dem, was du ohnehin schaffst.“

   „Und das wäre?“

   „Respektvoll alle Rituale mitzumachen und schön auszusehen.“

   „Du findest also, ich bin schön.“

   „Hallo? Schön ist wohl etwas untertrieben. Fuß hoch.“

   „Ist das herrlich!“, stöhnte er. „Kälte!“

   „Tz.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Er musste zugeben, er konnte sich mit dem Gefühl anfreunden, wenn er auch von Kafei wusste, dass er die nächste Tage über jeglichem Verlangen sich zu kratzen, aufs Äußerste widerstehen musste. Zumindest die Arme hatte er vor dem Messer bewahren können. Alles andere hatte er wohl mehr für Kafei getan; um ihm zu zeigen, dass es ihm ernst war mit ihnen; dass er ein Teil seiner Identität sein wollte, Teil seiner Kultur. Denn er wusste, dass Anju das Thema nie – im wahrsten Sinne – angeschnitten hätte, wenn es nicht auch nur die geringste Relevanz hätte.

   Irgendwie hatte sie es geschafft, eine recht annehmbare Anzahl an dünnen Zöpfen in seine widerspenstigen Haare zu flechten. Auch er durfte edle Bänder und selbst Perlen tragen. Mit einer Sache hatte er jedoch nicht gerechnet: Nachdem sie mit seiner Gesichtsbemalung fertig war, die fern von Anfängertum lag und stilisiert einiges an Symbolik enthielt, die er erst jetzt bemerkte, ging sie ein letztes Mal zum Tisch und öffnete eine reichlich verzierte Goldschatulle, deren Existenz ihm die ganze Zeit über nicht ausgesprochene Fragen aufgeworfen hatte.

 

   „Schließ bitte die Augen.“

   „Jetzt kommt’s.“

   „Und bring mich bitte nicht schon wieder zum Lachen.“

   „Na gut.“

 

   Wenn diese Schatulle nicht noch da gewesen wäre, hätte er gedacht, dass sie nun aufbrechen würden. Stattdessen stand er nur vor dem Spiegel, mit geschlossenen Augen und musste feststellen, dass sie mit seinem Kopf noch immer nicht fertig war.

 

   „So. Jetzt darfst du sie öffnen.“

 

   Als erstes war er fast von dem Funkeln geblendet. Dann aber verstand er warum. Das hatten Mondtränen an sich. Das Auge musste sich langsam an ihren Schein gewöhnen. Aus dem selben dunklen, blaugrünen Metall geschmiedet und fast ident mit dem von Anju, zierte nun ein aufwändiges Diadem seine Stirn. Bei genauerem Betrachten war die Ornametik eine Mischung aus den markantesten Formen der Shiekah an der Stirn, hylianischen Mustern am Hinterkopf und seitlich herum erinnerte die filigrane Kunst an Meereswellen und gekräuselte Wolken, vermischt mit Blättern – so als ob sie vom Wind über den Ozean getragen wurden.

   Erst jetzt sah er sich Anju’s königliches Diadem genauer an – schließlich trug sie es nicht oft, schon gar nicht mit dem silbernen Halbmond-Aufbau. Auch ihres war hinten hylianisch gehalten, verbildlichte an den Seiten eine wunderschöne Verschmelzung eines Käfers und eines Phönixes; vorne prangte natürlich der Totentänzer, flankiert von den sogenannten Flammen der Blutsonne Ikanas. Sämtliche der goldgelben, funkelnden Kristalle hatten einen makellos achteckigen Schliff. Link’s Mondtränenstücke ebenfalls. Entweder waren mehr gefallen als er gedacht hatte, oder aber Zubora hatte die Reste von Link’s letztem Karnevalsauftrag behalten.

 

   „Das muss ja Unsummen gekostet haben! Aber – es ist – wunderschön. Einfach nur wunderschön.“, hauchte er und spürte, dass seine Augen seltsam zu jucken begannen.

   „Es ist ein Geschenk von Kafei. Ab morgen wird niemand mehr sagen können, du würdest nicht zu uns gehören. Und nein, reiß dich am Riemen. Wein bloß nicht.“, wie schon so oft, legte sie ihm die Hände auf die Schultern.

   „Ich versuch’s.“, gurgelte er, nach Luft ringend. „Es ist ja – nicht so – dass Tränen das Blau wegwaschen können.“

   „Was stört dich so plötzlich an deiner Augenfarbe?“

   „Es – passt irgendwie nicht – nicht dazu – “

   „Und was ist mit meinen?“

   „Na – sie sind etwas kräftiger. Nur um einen Hauch.“

   „Hör auf, Link. Deine Augen sind perfekt.“, sie strich beschwichtigend an seinen Armen herab und platzierte einen einzelnen Kuss auf seiner rechten Schulter.

   „Ich hoffe, meine Zehen frieren nicht ab.“, das hatte er nur gesagt, um einen Grund zu haben, nach unten anstatt in den hohen Spiegel zu sehen.

   „Meine leben noch. Und glaub mir, für angenehme Wärme wird gesorgt.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Sirileij’s Aufmachung hatte bestätigt, was Anju ihm gesagt hatte. Zwar war sie auch recht spärlich in kompliziert gebundene Tücher gewickelt, aber das Farbschema unterschied sich um Welten. Allerdings passte die Kombination aus Altrosa und Violett perfekt zu ihren Haaren. Sie hatte sie direkt in den Schlosshof gebracht, der fast leer war. Taya und Juro erwarteten sie aufgeregt, so einheitlich wie anscheinend alle in der Familie, sollten aber für den Verlauf der Zeremonie unmaskiert bleiben – was besonders Taya enttäuschte, aber nicht ihre Begeisterung minderte. Weit hinter dem großen Tor, direkt am Eingang zum inneren Palast, sah Link nun endlich den Umhang, von dem Anju gesprochen hatte.

   Tatsächlich trug Kafei eine Vogelmaske vor der Kapuze und unterhielt sich mit einem einzelnen Hohepriester. Seine Maske hatte wesentlich grimmigere Züge als Anju’s – mehr sah Link nicht, da ihm ebenfalls eine Maske angelegt wurde. Zumindest hatte Sirileij ihn vorgewarnt. Ihren Worten nach war es ein Wolf. Sehen würde er es erst, wenn sie die Masken dem Wasser übergaben.

   Außerhalb der Mauern spielte; für ihn; exotische Musik und es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Davon bekamen sie aber nichts zu sehen, da zwei Hohepriester sie durch einen geheimen Tunnel zur Quelle führten. Aus ihr heraus traten sie auf ein mit Schilf und Tüchern dekoriertes Podium, unter dem das Wasser geradewegs hindurchfloss. Vorne in der Mitte befand sich eine Art Altar mit Metallringen und einer Kuhle, hinter dem eine dreieckige Öffnung den Blick auf das Wasser erlaubte.

   Noch bevor Link alles begutachten konnte, herrschte plötzlich Totenstille. Wenigstens eine Sache, die Link, wie er zugeben musste, an Ikana nicht zu überraschen vermochte. Nur einige Tiere gaben Geräusche von sich. Er konnte sie überall in der Menge ausmachen, von ihren Besitzer fest im Zaum gehalten. Auch fiel ihm durch die Sehschlitze hindurch auf, dass sich fast ausschließlich Paare versammelt hatten, beziehungsweise gebildet hatten. Kinder waren nirgendwo zu sehen. Vereinzelt erkannte er anhand der Kleidung Gruppen von drei oder mehreren Personen. Durch keine der Schilfmasken stachen allerdings blaue Augen hervor. Keine außer zwei Paar an vorderster Front. Das eine gehörte der in Orange, Creme und Grasgrün gekleideten Romani, das andere Esra, welche die selben Farben trug wie alle in der Familie. Woher Dotour allerdings eine Ziege bekommen hatte, war ihm ein Rätsel.

 

   Er bekam still angewiesen, sich etwas mehr nach rechts zu stellen. Anju stand ihm gegenüber zur anderen Seite des Höhlenausganges. Taya sollte sich zwischen ihn und den Altar stellen, Juro auf der anderen Seite zu seiner Mutter. Diese hatte bezüglich der Wärme Recht behalten. Alles war in den goldenen Schein von unzähligen Fackeln mit Sonnenfeuer getaucht und spendete allseits das angenehme Gefühl eines gemütlichen Zuhauses.

   Mit einem Mal schien sogar das Wasser den Atem anzuhalten und alle Bürger senkten die Köpfe. Sein eigener schnellte nach links – er war gekommen.

 

   Noch mehr Tücher als Dotour schon trug und doch wirkte sein Sohn viel weniger bekleidet. Sein Haar war ebenfalls zur Gänze zu dünnen Zöpfen geflochten, mit dem Unterschied, dass unzählige eingeflochtene Bänder und Perlenstränge wie ein Schleier herabfielen, den er hinter sich herzog. Zum ersten Mal sah Link seit vielen Jahren Igos’ Krone wieder – und zum allerersten Mal für ihn, trug Kafei sie. Allerdings hatte er nicht darauf verzichtet, seiner Mutter Diadem zu tragen. Durch das Gold und die goldenen Perlen wirkten die beiden Schmuckstücke wie eine Einheit. Auch Igos’ Totentänzer-Brosche prangte an seiner Brust, wo sie einen kaum sichtbaren, hauchdünnen, zartblauen Seidenumhang festhielt, der etwas unterhalb seiner Schultern hing und hinter ihm fast in der Höhle verschwand. Zusammen mit der Maske hatte er etwas an sich, das nicht von dieser Welt wirkte – der Anblick raubte Link schlichtweg den Atem.

   Erst als er knapp an ihm vorbei Anju’s Hände entdeckte, dämmerte es Link, dass er etwas zu tun hatte. Sie als auch Kafei formten die Finger mit gesenktem Kopf zu den Dreiecken der Göttinnen, zum stillen Gebet. Der gesamte Dorfplatz folgte ihrem Beispiel.

 

   Link hatte schon lange nicht mehr gebetet. Worum er bitten sollte, da war er im Moment überfragt. Aber im Grunde war es simpel. Nur eine einzelne Bitte. Er sprach sie in sich, die Gedanken in einer anderen Sphäre. Vor seinen Augen wurde es immer heller, aber nicht unangenehm. Als es am hellsten war, erklang ein liebliches, sanftmütiges Säuseln in seinen Ohren. Dies war nicht das erste Mal, dass er es hörte. Es tat so wohl und er wusste, dass er in schützenden Händen war.

   Wie von alleine öffneten sich seine Augen wieder. Beinahe wäre er erschrocken. Offensichtlich hatte er länger gebetet als alle anderen, denn, als wüsste auch sie, dass sie sich nicht zu fürchten musste, war plötzlich eine strahlend weiße Ziege an den Altar gebunden, seitlich liegend, mit dem Kopf zu Anju gewandt. Vollkommen gelassen ruhte sie da. Vor ihrem Bauch lagen drei außergewöhnliche Dolche in einer reich verzierten Tonschale.

   Wenn er auch kaum ein Wort verstand, hallten Kafei’s Worte auf eine Art durch die golden schimmernde Nacht, wie er sie nur bei der Hinrichtung gehört hatte. Doch jetzt waren sie nicht voll Wut – es war, als sprach nicht einmal er selbst. Seine Stimme hatte den Klang von Jahrtausenden und versprühte dennoch ewig wirkende Jugend. Er nahm seine Maske ab und hob sie mit beiden Händen gen Himmel. Dann kniete er nieder und ließ sie behutsam in das dreieckige Loch hinterm Altar gleiten. Taya riss Link aus seiner Trance und bedeutete ihm, ihm die Maske abnehmen zu wollen. Es blieb ihm keine andere Wahl als ebenfalls auf die Knie zu gehen. Die beiden Kinder übergaben daraufhin gemeinsam seine und Anju’s Maske dem Wasser. Nach und nach wurden Masken zum Bach gereicht und hineingelegt, wo sie wie ein bunter Teppich durch die Menge gen Abgrund segelten.

 

   Kafei wartete, bis er ein Zeichen bekam, dass auch die letzte Maske ihre Reise angetreten hatte. Dann standen er und Anju auf und Link mit ihnen. Mit weiteren Worten in Shiekjiarnjinjú nahm Kafei den bläulichen Dolch aus der Schale, hob ihn wie zuvor die Maske empor. Link verstand nur, dass er zu den Göttinnen sprach. Alles andere war für ihn zu hoch. Kafei zog den Dolch mit geschlossenen Augen an seine Stirn und sprach deutlichere Worte.

 

   „Nayru ishaidemjiar isamaii!“

 

   Nun wandte er sich direkt an Link, schritt auf ihn zu und überreichte ihm den Dolch

 

   „Was – “, hauchte dieser.

   „Tu es mir nach.“, murmelte Kafei.

   „Ähm – “

   „Laut und deutlich. Nayru,“

   „Nayru ishai– “

   „Demjiar, isam– “

   „Demjiarisamai.“, unerklärlich nervös hielt Link den Griff des Dolches an seine eigene Stirn, erhaschte aber einen kurzen Blick auf ein kaum merkliches, lächelndes Nicken.

   „Gut. Gib ihn mir wieder. Sehr gut.“

 

   Anju brauchte offensichtlich keine Anleitung und ihre Aussprache war natürlich perfekt. Wie konnte er von ihm erwarten, diesen Brauch zu kennen? Trotzdem fand er, dass er sich nicht so schlecht gemacht hatte. Als Anju fertig war, trug Kafei den Dolch wieder zum Altar, flüsterte einige Worte die Link nicht einmal gut hören konnte und hielt der Ziege die linke Hand vor die Augen.

   Das war also der Moment. Seltsamerweise zuckte sie nicht einmal; allerdings Romani etwas. Er stieß ihr den Dolch sauber durch die Stirn. Die Ziege war sofort tot – sowie alle anderen Tiere auf dem Platz. Romani tat ihm richtig leid, denn es war offensichtlich, dass auf der Ranch anders geschlachtet wurde. Dennoch trug sie es mit erstaunlich guter Fassung, dass auch Franin das Kalb, das er bis jetzt erfolgreich beruhigt hatte, mit den Worten die Link eben nachsprechen hatte müssen, tötete.

   Kafei übergab den Dolch einem Hohepriester, der ihn forttrug und legte seine Hand nun auf die blutende Wunde. Mit diesem Blut in der Handfläche ging er zuerst zu Taya und zeichnete ihr fein mit zwei Fingern das Zeichen der Göttinnen auf die Stirn. Link malte er es zwischen die Augenbrauen. Er holte sich etwas mehr Blut und wiederholte das Ritual bei seinem Sohn und seiner Frau. Erst als auch sie das Zeichen trug kam der Priester zurück, strich etwas Blut aus Kafei’s Handfläche und segnete ihn auf die selbe Weise. Nun taten dies alle anderen auf dem Platz bei ihrem Gegenüber.

 

   Den rötlichen Dolch hob Kafei zwar auf, legte ihn aber aus der Schale. Er nahm den grünlichen Dolch, erhob ihn, sprach in den Himmel und senkte ihn mit folgenden Worten an seine Lippen:

 

   „Farore ishaidemjiar sresamaii!“

 

   Damit tat sich Link schon etwas leichter, was aber nicht an der Göttin lag, wie er zu wissen glaubte. Nach Anju’s Bitte zurück am Altar, setzte Kafei einen feinen Schnitt an der Kehle der Ziege und hielt die Schale darunter, bis sie sich an den Rand mit dem warmen Blut füllte. Taya leckte sich die Lippen – zu Link’s Entsetzen nicht aus Unwohl. Sie schien fast übermütig begeistert, es trinken zu dürfen. Er selbst hatte natürlich kein Problem damit. Kafei’s freudiges Lächeln als er ihm beim Trinken zusah, brachte ihm aber auch gewisse Bedenken. Juro sträubte sich schon etwas mehr gegen den Trunk. Link sah ihm an, dass er es wollte, sich aber nicht vollends mit dem Geschmack anfreunden konnte. Er schüttelte ihn leicht ab, während Kafei Anju zu trinken gab und in der Zeit die er benötigte, die Schale zu leeren, schickte auch Anju Link ein Lächeln ihrer blutbenetzten Lippen.

   Aus beiden Wunden floss noch immer Blut in die Kuhle und regelrecht verspielt am Stein hinab in das Loch, durch das zuvor die Masken gelegt worden waren. Mit der Anrufung aller anderen färbte sich das Gewässer in ihrer Mitte im Fackelschein scharlachrot.

 

   Was jetzt folgte, war das, worauf alle gewartet hatten, so kam es Link vor. Kafei gab Schale und Dolch wieder dem Priester, der auch damit verschwand. Der rötliche Dolch wurde schimmernd dem mittlerweile dämmrigen Himmel präsentiert. Ihn legte er an sein Herz und sprach:

 

   „Din ishaidemjiar garsamaii!“

 

   An diesem Punkt begriff Link, dass etwas anders war. Sein eigenes Herz raste regelrecht und sein Verstand schien verrückt spielen zu wollen. Er nahm den Dolch entgegen und rezitierte lauter als zuvor. Immer schneller wurde sein Puls. Eine Ungeduld überkam ihn. Er konnte Anju’s Lächeln nicht einmal ansehen. Es machte ihn nervös, so ruhig war es. Kafei ging zurück zur Ziege, stieß den Dolch unterhalb ihres Brustkorbs hinein, schnitt ein Dreieck aus dem Fleisch und entfernte es. Den Dolch noch in der Hand, fuhr er tief in das Loch. Wie er darin herumsuchte – es machte Link noch angespannter.

 

   „Brauchst du Hilfe?“, zischte er ihm zu.

   „Halt die Klappe. Das ist nicht meine erste.“, fauchte Kafei leise zur Ziege.

   „Sicher?“

   „Gewonnen.“

 

   Link war es, als würde er innerlich explodieren. Warum empfand er es für unnötig, dass Kafei dem Priester auch noch den letzten Dolch geben musste? Warum legte er ihn nicht einfach hin? Und – was war mit ihm selbst los? Es kam ihm vor, als ob ihm jeden Augenblick ein Fell wachsen musste. Alles dauerte viel zu lange. Kafei bewegte sich so langsam, dass Link dachte, er würde auf dem Weg zu ihm festfrieren. Dass er es auch noch Taya zuerst gab, störte ihn furchtbar. Dann, endlich, entriss er ihm das Herz geradezu. Kafei musste es ihm fast wieder zurück-entreißen, damit es bei einem einzigen Biss blieb. Irritiert, starrte er ihn an.

 

   „Hunger?“, haucht er.

   „Wasch?“, Link schluckte das Stück hinunter.

   „Ach nichts.“

 

   Nicht ohne einen kurzen Blick zurück, überreichte Kafei das Herz seinem Sohn. Da wusste Link, dass tatsächlich etwas nicht stimmte. Für einen Sekudenbruchteil hatte ihn ein krankhafter Neid gepackt, den er aber noch rechtzeitig zu verwerfen vermochte, was ihn wieder in die Realität zurückholte. Was war mit ihm geschehen? Hatte er am Ende eine Sucht entwickelt, von der er nichts wusste?

   Panisch aber nachdenklich, beobachtete er jede noch so kleine Kaubewegung von Kafei, nicht merkend, dass sein Anflug auch Anju aufgefallen war. Verzweifelt versuchte sie seine Aufmerksamkeit zu erlangen, aber selbst als er es bemerkte, konnte er sich nicht von dem Anblick loslösen. Wie das Blut über Kafei’s wohlgeformte Lippen quoll, sein Kinn verzierte – die verschmierten Hände – nun fiel ihm auch auf, dass Anju nicht die einzige mit Vogelkrallen an den Fingern war. Als ob es die Krönung einer ihm bisher verborgenen Phantasie war, fing sein Herz erneut schneller zu schlagen an, mit jedem Tropfen der Kafei’s Brosche erreichte und die delikate Seide zu färben begann.

   Es kümmerte ihn nicht einmal mehr, ob Romani auch mitmachte – oder Esra. Alle logischen Sorgen und Fragen blieben aus. Er wollte nur noch Kafei betrachten und zum Entsetzen eines kleinen Teils seines Verstandes der offenbar doch noch noch funktionierte, fand er es auf eine eigenartige Weise anziehend, wie Kafei sich mit geschlossenen Augen und geisterhafter Stimme das Blut an seinen Händen über Wangen und Hals herabstrich; die purpurnen Finger wieder in den heller werdenden Himmel reckte.

   Was er sagte war ihm beinahe egal. Er wollte nur noch – eigentlich nicht durch ein weiteres stilles Gebet unterbrochen werden. Aber wenn es half, wollte er es versuchen.

 

   Wieder sprach Kafei, ganz leise diesmal und Link öffnete die Augen, da er nicht in der Lage gewesen war, sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren, als sein beunruhigendes Verlangen. Warum bat er Taya zu sich? Sie schien es nicht ein bisschen zu stören, dass er ihr Gesicht in seine blutverschmierten Hände nahm, etwas zu ihr flüsterte – und ihr einen blutigen Kuss auf die geflochtenen Haare schenkte. Link verstand nicht, was sie zueinander sprachen. Bisher hatte er nur die Umgangssprache gelernt. Dieser Dialekt des Shiekjiarnjinjú, den Kafei nur innerhalb der Familie benutzte – er war völlig anders. Zwar konnte Link einzelne Wörter erkennen, aber die Aussprache war so anders, dass er keine Chance hatte.

   In der Zwischenzeit hatten drei Priester die Ziege vom Altar genommen und überall wurden auch die anderen Kadaver eingesammelt und ins Schloss gebracht. Das erinnerte ihn an Romani’s Schilderung, dass alles gerecht aufgeteilt würde. Irgendeine Art Ritus musste also noch folgen, um die Zeit zu überbrücken, bis alles sorgfältig – portioniert war. Vermutlich genau das, warum Cremia eigentlich nicht wollte, dass ihre Schwester dabei war.

   Kafei streichelte kurz die Arme seiner Tochter und bat dann mit einer sanften Geste Juro zu sich. Da der Junge noch wesentlich kleiner war als seine Schwester, kniete Kafei sich vor ihm nieder, nahm ebenfalls sein Gesicht und küsste ihn. Warum er sich mit ihm vorzugsweise in Hylianisch unterhielt, verstand Link nicht.

 

   „Es tut mir leid, wenn ich dir zu viel zugemutet habe.“, flüsterte er.

   „Schon in Ordnung, Papa. Ich hab’s überlebt.“

   „War es dir unangenehm?“

   „Es war irgendwie eklig, aber wie gesagt, ich hab’s verkraftet. Ist ja nicht so, dass du mich nicht vorbereitet hättest.“

   „Komm her, mein Großer.“, er zog ihn kurz zu sich, streichelte ihm den Rücken. „Ich hab dich lieb.“

   „Ich dich auch, Papa. Müssen wir jetzt wirklich gehen?“

   „Ja, es ist Zeit fürs Bett.“

   „Aber ich will den Sonnenaufgang s– “

   „Das wirst du. Aber von der Stadt aus.“

 

   Er nickte kurz hinunter und Sirileij, die für Link im toten Winkel unter dem Altar gesessen hatte, erklomm das Podium. Worum er sie bat, konnte Link endlich entziffern. Natürlich hatte er es im Voraus gewusst, was die Sache erheblich erleichterte, aber er verstand seine Worte.

 

   „Ich lege mein eigen Fleisch, mein eigen Blut, meine Seele in deine Obhut. Sorge für meine Kinder, bette sie wohl, im neugeborenen Licht des jüngsten Tages.“, sagte er laut, fügte aber etwas nur für ihre Ohren hinzu. „Und mach, dass sie auf der Stelle einschlafen und nicht bis am Nachmittag herumalbern.“

 

   Dieser Satz vermochte es, Link’s Bewusstsein wieder in den Zustand zurück zu rücken, der ihm wesentlich angenehmer war. Der Himmel über dem Schloss wurde bereits gleißend unter den zart in allen Farben leuchtenden Wolken und Kafei breitete erneut die Hände über sich aus, ganz zu Link’s Unwohl. Wieder verstand er nicht ein einziges Wort. Aber es war ihm dann doch egal, denn Kafei sprach nicht mehr. Seine Worte waren eine Melodie, ein uraltes Lied, das Link schon einmal gehört hatte, wenn auch nicht in dieser Form. Kafei hatte es damals gesungen, als Link wieder aus Hyrule zurück gekehrt war, bei dem großen Fest im Residenzdorf. Diesmal fehlte aber Begleitung. Nur seine einzigartige Stimme hallte zur Begrüßung der Sonne.

   Nicht aufhörend, senkte er die Arme und zog Anju an beiden Händen zu sich. Stirn an Stirn, ergänzte sie Teile, die er bewusst ausließ. Dann drehte er sich zu Link, den er ebenfalls zu sich holte.

 

   „Ich kann nicht singen,“, jammerte dieser, aber Kafei legte nur die Stirn an seine.

   „Das musst du nicht.“, entgegnete er sanfter als seine Berührung es war, von Anju’s kräftiger Stimme übertönt. „Du bist jetzt ein Teil von uns; ein Teil der Familie. Und wenn einer wankt, fangen ihn alle auf.“

 

   Tatsächlich stimmte nach und nach der gesamte Platz mitein. Beim Klang dieser vielen Stimmen und der Melodie, die sie dem neuen Jahr zum Gruße schenkten, lief es Link kalt über den Rücken und seine Nackenhaare stellten sich auf.

 

   „Ich wünsche dir unfehlbaren Verstand, stählernen Mut und ein Herz aus Seide. Ich wünsche dir das Ewige Licht und der Sonne stärkendes Blut in deinen Adern, solltest du je drohen zu verzagen oder dich die Gunst deines eigenen Vertrauens verlassen wollen. Und dass du auch nur ansatzweise verstehst, wie sehr ich euch beide liebe.“

 

   Um eine Antwort konnte Link nicht mehr ringen. Kafei entledigte ihn mit einem ausgesprochen leidenschaftlichen Kuss sämtlicher Möglichkeiten. Just in dem Moment, als Link bewusst wurde, dass hunderte Shiekah ihnen zusahen und auch aufgehört hatten zu singen – gerade in diesem peinlichen Moment löste er sich von ihm und sprach etwas zu Anju, in seiner Muttersprache. Link mied jeglichen Blickkontakt mit der Menge. Aber als Kafei auch seine Frau nicht minder hingebungsvoll küsste, packte ihn eine seltsame Neugier.

   Nur einen kurzen Seitenblick wollte er riskieren, aber dabei blieb es nicht. Er fand den Grund für das Schweigen. Unter den blendenden Sonnenstrahlen, die die obersten Häuser in silbriges Rotgold tauchten, hatten sich plötzlich alle ihrer Partner angenommen, um ihnen auf die selbe Weise ihre Liebe zu bekunden.

 

   So etwas hatte er noch nie zuvor gesehen. Erst eine Opferung so wider der Natur, wenn auch würdevoll – und dann das. In den Blutlachen der geopferten Tiere kauernd, sich küssende Paare, wohin Link auch sah. Zugleich verstörend und berührend, atemberaubend und unbeschreiblich. Und wenngleich alle mit ihren Liebsten beschäftigt waren, so kam er sich schäbig vor, sie bei etwas so Intimen zu beobachten. Bei Kafei und Anju war es anders. Das kannte er. Deshalb konnte er auch ohne Zögern den Blick zu ihnen drehen.

   Kafei stand noch immer zwischen ihnen, sah aber zu Link. Mit einem zärtlichen Lächeln schloss er die Augen als Anju’s Hände von hinten um seinen Oberkörper wanderten; die Brosche lösten. Während sie das Schmuckstück in der Mitte des Altars platzierte, glitt der Hauch von Umhang an Kafei’s Armen herab und landete auf den Brettern unter ihnen wie Feenflügel im Gras. Anju kehrte zurück, küsste seine blanke Schulter.

 

   „Was hast du?“

   „I-ich – weiß – n-nicht – ich fühl mich irgendwie – überfordert?“, stotterte Link. „Was soll ich tun?“

   „Was denkst du, was du tun solltest?“

   „Ich – weiß nicht?“

 

   Er schluckte nur, als Kafei hinter seine Frau trat, sie ihr Gesicht in seine linke Hand legte und sich seine Lippen an ihrem Hals herabtasteten. Doch selbst wenn er es gewollt hätte, Link hätte es nicht gekonnt, sich abzuwenden. Zu fesselnd war der Anblick, wie Kafei’s Hände unter ihre Tücher glitten.

 

   „Hast du dich schon entschieden?“, er sah wieder zu ihm auf, ließ aber nicht von Anju ab, die sich mit geschlossenen Augen seinen Berührungen hingab.

   „Entschieden?“

   „Nun, du kannst gehen, oder bleiben. Es ist deine Wahl.“

   „Und wenn ich bleibe?“

   „Es liegt ganz an dir. Ich zwinge dich zu gar nichts. Es ist das Fest der Liebe und Liebe bedeutet auch, sich gleichermaßen Entscheidungsfreiheit zu lassen. Was du also tust, ist deine Sache. Wenn du Hilfe bei der Entscheidung brauchst, sag es einfach. Lass dir dabei so viel Zeit, wie du benötigst.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

 

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