- Kapitel 13 -

Zwischen den Grenzen

   Knarrend schloss sich das Tor. Wehmütig blickte er auf das schier unüberwindbare Holz, das nun zwischen ihm und Kafei war, doch wusste er, dass es nur unüberwindbar schien. Eines Tages würde er zurückkehren. Er würde sich nicht von Zelda vorschreiben lassen, was er zu tun hatte. Aber da Kafei selbst hinter ihr stand, musste es einen höheren Grund geben und er beschloss, es zu akzeptieren. Vielleicht gewann er tatsächlich so die einzige Chance, endlich ein Leben zu haben. Er würde von den meisten vergessen werden. Wenn es soweit war, würde er erneut dieses Tor passieren und zu seiner einzig wahren Familie zurückkehren, das wusste er. Er hörte Ijaron davon galoppieren. Jedoch spürte er, dass er nicht alleine war. Jemand Vertrautes war ganz in seiner Nähe. Er drehte sich um und sah den kleinen, blassblauen Lichtschimmer auf sich zuschweben.

 

   „Hey!“, kicherte sie. „Schön, dich wiederzusehen.“

   „Ich war vier Tage weg.“, schnaubte Link etwas genervt.

   „Huh? Du – du antwortest?“

   „Natürlich antworte ich. Was dagegen?“

   „Ähm – nein – ich – nein.“

   „Gut. Wenn du mich also entschuldigst, ich muss ein neues Leben anfangen.“, er wandte Epona herum und ritt ignorierend an ihr vorbei.

   „Hey! Warte! Wo willst du hin?“

   „Das hab ich doch gesagt, oder?“

   „Nein.“

   „Nach Ordon. Diese Straße führt doch dort hin, oder?

   „Ja. Komm. Ich zeig dir den Weg.“

   „Ich denke, den finde ich schon.“

   „Hast du was gegen mich?“, wie kam sie nur zu dieser haarsträubenden Vermutung?

   „Nein. Wieso?“, raunte Link.

   „Ach nur so – du wirkst irgendwie abweisend.“

   „Wärst du das nicht, wenn du gerade von der Prinzessin von Hyrule dazu gezwungen wurdest, deine einzig wahre Liebe zu verlassen?“

   „Oh – wirklich? Du hast dich verliebt?“

   „Es ist ein großer Unterschied zwischen `sich verlieben´ und jemanden `wirklich lieben´.“

   „Ansichtssache.“

   „Wenn du meinst – “, seufzte Link, ließ sich aber von ihr nicht aufhalten.

   „Du gefällst mir irgendwie.“, kicherte sie und Link riss den Kopf herum, ohne Epona anzuhalten.

   „Was?“

   „Du bist mir viel lieber als dieser schweigsame Link.“

   „Das kann sich schlagartig ändern.“, sagte er kalt und wandte den Blick wieder geradeaus.

   „Zelda will, dass ich bei dir bleibe.“

   „Was? Warum?“

   „Was soll diese Frage?“

   „Kannst du die Sprache der Menschen?“

   „Nein. Was hat das – Link?“, er sagte nichts dazu. „Nein. Aber wir finden sicher jemanden, der dir hilft.“

   „Er heißt Moe.“

   „Moe? Das ist ein Anfang. Aber woher – “

   „Kafei hat es mir gesagt.“

   „Kafei? Der, dem du geholfen hast, zu heiraten?“

   „Ja, genau der.“

   „Zelda hat ihn erwähnt.“

   „Und was hat sie erwähnt?“

   „Nicht viel. Nur, dass er inzwischen zwei Kinder hat und Bürgermeister ist.“

   „Das ist alles?“, zischte Link.

   „Ja.“

   „Tz. Ich fasse es nicht.“, murmelte Link.

   „Was fasst du nicht?“

   „Ach nichts.“

   „Link?“

   „Nichts.“

   „Link!“

   „Das ist der Beweis. Schön. Und ich dachte, sie meint es ernst.“

   „Was denn?“

   „Sie ist verdammt noch mal eifersüchtig und tut so, als würde sie mir vergeben.“

   „Wer? Zelda?“

   „Ja.“

   „Warum ist sie eifersüchtig?“

   „Vergiss es.“, schüttelte er den Kopf.

   „Das werde ich nicht.“, sie stemmte ihre kleinen Hände in die Hüften, flog aber weiterhin neben ihm her.

   „Vergiss es, ja?“, er konnte ihr ja nicht sagen, dass der einzige Grund warum Zelda sie geschickt hatte war, damit sie ihn nerven konnte und Zelda sich so dafür rächte, dass er sie abgewiesen hatte.

   „Jetzt – geht’s vielleicht ein bisschen langsamer?“

   „Nein.“, es war ihm egal, dass sie nicht mithalten konnte.

   „Link!“, wütete sie nur.

 

   Link bog um eine weitere Kurve und die Schlucht war zu Ende. In einiger Entfernung konnte er ein großes Haus erkennen. Es schien eine Farm zu sein. Kein Licht brannte in den Fenstern. Er hatte zwar schwören können, das Öffnen einer Tür zu hören, als er vorbeigeritten war, drehte sich aber nicht danach um. Er ritt durch eine weitere Schlucht, an deren Ende das eigentliche Dorf lag. Hausdächer schimmerten im Mondlicht. Auch hier brannte kein Licht. Nur das sanfte Rauschen des Windes in den vereinzelten Bäumen und das Plätschern von Wasser war zu hören. Er verlangsamte sein Tempo und im ersten Haus ging ein Licht an. Die Tür wurde aufgesperrt. Heraus kam ein dicker Mann mit kleinem Kopf und kurzem, seltsamen Schnurrbart.

   Er wirkte sehr verschlafen und trug ein leichtes Leinengewand. Link brachte vor ihm sein Pferd zum Halt und stieg ab. Etwas zaghaft trat er vor ihn. Er hatte keine Ahnung, wie er sich erklären sollte, doch das brauchte er nicht. Ihm war tatsächlich jemand gefolgt. Interessiert drehte er den Kopf in die Richtung des auf sie zulaufenden Mannes, der sich eng in einen braunen Umhang gehüllt hatte. Der dickere Mann sagte irgendetwas zu Link’s Verfolger, das weder Link noch Navi verstanden. Er wirkte aber sichtlich erleichtert, dass der andere Mann so schnell hinzugekommen war. Dieser musterte Link, mit besonderem Merk auf seine Augen und Ohren und nickte, wenn auch etwas außer Atem.

 

   „Guten – Abend.“, schnaufte er zu Link’s Erleichterung auf Hylianisch.

   „Sind Sie Moe?“, fragte Link nur.

   „Äh – ja! Woher – ?“, seine Augen wurden groß.

   „Lange Geschichte. Können Sie mir weiterhelfen?“, er musterte ihn noch einmal genauer.

   „Sicher, Junge. Wo brennt’s?“

   „Ähm – nirgends. Es – es tut mir leid, dass ich mitten in der Nacht hier auftauche. Es hat sich leider so ergeben.“

 

   Der Dicke fragte etwas und Moe nickte nur, woraufhin er wieder in sein Haus zurückging. Bevor er die Tür schloss, konnte Link ein noch verschlafeneres, großes Mädchen mit kurzen, krausen Haaren sehen, das interessiert nach draußen lugte.

 

   „Ich – wie soll ich sagen – “, Link holte kurz Luft und fasste sich. „Ist das hier Ordon?“

   „Ja, das ist es. Ordon wie es schläft und schnarcht.“, beide mussten kurz leise lachen. „Was kann ich für dich tun?“

   „Ich – naja – ich würde gerne hier leben, wenn niemand was dagegen hat.“

   „Oh!“, er wurde zunehmend interessierter. „Und wie kommst du dazu?“

   „Ich bin aus Unruhstadt und möchte einen kompletten Neuanfang machen, abseits des Stadtgetümmels.“

   „Hm. Wie alt bist du?“

   „Vor zwei Tagen bin ich Sechzehn geworden.“

   „Na dann gratuliere!“, lachte er herzlich und schüttelte ihm die Hand.

   „Danke.“

   „Ein Neuanfang sagst du? In deinem Alter? Ist dir die Stadt jetzt schon zu Kopf gestiegen?“

   „Wie man’s nehmen mag. Es ist etwas kompliziert.“

   „Schon in Ordnung. Ich würde auch keinem Wildfremden meine Geheimnisse anvertrauen.“

   „Danke.“

   „Du wirkst sehr nett. Ich denke, niemand hat etwas dagegen. Du kannst unsere Sprache nicht, oder?“

   „Nicht ein Wort.“, lächelte Link verschmitzt.

   „Kein Problem. Das bekommen wir schon hin. Du hast Glück. Wir haben ein großes, leerstehendes Haus auf der anderen Seite des Dorfes, in Richtung der Wälder. Der Besitzer ist nach Hyrule ausgewandert. Der gleiche Grund wie deiner, nur umgekehrt – oder so. Er hat gemeint, wir dürften mit dem, was er zurücklässt, tun was wir wollen. Es ist noch alles genau so, wie er es hinterlassen hat. Er ist erst vor einem Monat weg. Ich hoffe, das stört dich nicht.“

   „Nein.“, überlegte Link.

   „Es hat einen kleinen Brunnen außen auf der Hinterseite und ein Plumpsklo. Das Ausleeren hab aber auch immer ich übernommen, da ich weiß, wo man so was problemlos entsorgen kann. Du musst zwar über eine Leiter nach oben klettern, aber – “

   „Ich bin nicht wählerisch.“

   „Gut. Für dein Pferd finden wir auch einen Platz. Ich komme gerade von der Ranch außerhalb, wie du vielleicht gemerkt hast. Du kannst – es ist eine Stute, oder?“, er bückte sich leicht.

   „Ja.“, lachte Link. „Sie heißt Epona.“

   „Schön. Also du kannst sie aber auch vor dem Haus stehen lassen. Hier passiert nichts. Rein gar nichts. Wir sind das verschlafenste aber geselligste Dorf, dass du dir vorstellen kannst.“

   „Gut zu wissen.“

   „Ja. Also der perfekte Platz für jemanden wie dich. Aber das wirst du selbst herausfinden wollen, oder?“

   „Ja. Nur heute Nacht nicht mehr.“

   „Meine Rede. Also gut. Komm mit. Ich zeig dir dein neues Zuhause.“, er setzte seine Beine in Gang und Link nahm Epona’s Zügel in die Hand, um ihm zu folgen. „Die Schlüssel stecken ohnehin immer noch drinnen. Wie gesagt, hier brauchst du keine Angst haben, dass dir etwas gestohlen wird. Wir sind alle eine große Familie und füreinander da. Wie heißt du eigentlich?“

   „Link.“

   „Kurz und schmerzlos?“

   „So in etwa, ja.“, lächelte er.

   „Gut. Den Namen werden sich die anderen auch merken können. Dir wird auffallen, dass unsere Namen alle sehr kurz sind. Was länger ist, wird im Alltag mit Spitznamen abgekürzt. Aber das kommt hier nicht vor.“

   „Ich kenne auch nur wenige mit längeren Namen.“

   „Also bist du es gewöhnt. Ja. Und wie heißt deine leuchtende Begleiterin?“

   „Navi.“, sagte diese spitz.

   „Sehr erfreut. Du bleibst auch hier, nehme ich an?“

   „Ja. Link und ich sind wie Pech und Schwefel.“

   „Ich das Pech und sie ätzt mich weg.“, murmelte Link unbemerkt.

   „Gut. Also doch nicht ganz so ein drastischer Neuanfang.“

   „Sieht nicht so aus.“, seufzte Link leise.

   „Am Anfang ist es vielleicht besser so. Ich werde dir unsere Sprache beibringen. Also wunder dich nicht, wenn ich dir zuerst überall hin folge.“

   „Oh – das wäre mir sehr recht.“, überlegte Link mit Gedanken an den ersten Dorfbewohner.

   „Ja? Na dann.“

   „Wer war eigentlich der – “

   „Boro? Unser Bürgermeister.“

   „Welch eine Ironie.“, gluckste Link zu sich selbst.

   „Was?“

   „Ach nichts.“

   „So. Da wären wir.“, das Haus war wirklich groß und erinnerte ihn stark an sein altes Haus in Kokiri, nur dass es eben um vieles imposanter war.

   „Hast du nur das dabei, was du anhast?“

   „Ja.“

   „Oh.“, er wurde nachdenklich. „Soll ich dir ein Schlafgewand von mir holen? Seine Kleidung hat Komu nämlich – “

   „Nicht nötig.“

   „Wie du meinst. Sonst ist aber alles drin, außer Essen. Soll ich Epona mitnehmen oder lässt du die hier?“

   „Ich denke, ich werde sie hier lassen.“

   „Auch in Ordnung. Normalerweise stehe ich bei Sonnenaufgang auf, wie die meisten im Dorf. Dann frühstücke ich mit meiner Familie. Wenn du nichts dagegen hast, wecke ich dich auf, damit du mit uns frühstücken kannst. Danach regeln wir alles andere. Ich führe dich ein bisschen herum und wir richten dich ein. Du brauchst unbedingt noch anderes zum Anziehen.“

   „Das wäre toll, danke. Ich weiß gar nicht, wie ich mich dafür revanchieren könnte.“

   „Bei mir zwar nicht, aber du könntest die ganze Arbeit auf der Ranch erledigen.“

   „Wirklich? Gut.“

   „Was?“, lachte Moe. „Das war ein Scherz, Junge. Aber bitte – wenn du es trotzdem willst, gerne.“

   „Ich hätte nichts gegen ein bisschen Arbeit.“

   „Schön.“, grinste Moe. „Also dann bis zum Sonnenaufgang. Schlaf gut.“

   „Ja. Danke. Du auch.“

 

   Er winkte noch einmal bevor er verschwand und Link befreite Epona von ihrem Sattel- und Zaumzeug, das er an den Stamm des großen Baumes, der nun sein Haus war, lehnte. Er nahm die Geburtstagsgeschenke und seine Geldbörse aus den Taschen und versuchte irgendwie, mit ihnen über die Leiter hochzuklettern. Es war eine schlichte Holztür auf einer kleinen Terrasse. Sie war tatsächlich offen und der Schlüssel steckte innen. Die Luft war nicht einmal stickig. Anscheinend wurde oft genug gelüftet. Durch die Fenster fiel ganz wenig indirektes Mondlicht ein, aber Navi leuchtete ohnehin genug, dass er ausreichend sah, um nicht irgendwo hineinzulaufen.

   Sogleich schwirrte die Fee herum und besah sich das Haus, das aus einem einzigen Raum zu bestehen schien. Nur einen Keller hatte es noch, der wie die anderen durch gestützte Holzbretter geschaffenen Stockwerke, durch eine Leiter erreichbar war. Gleich nach er Öffnung in der Decke, die er noch hassen lernen würde, hatte Link sein Bett ausgemacht. Es war mit einer bunten Tagesdecke vor Staub geschützt und stand direkt an einem der kleinen, offenen Fenster, ganz oben neben der Öffnung.

   Er trug seine Geschenke hinauf, schloss das Fenster und platzierte sie auf dem Fensterbrett, da das Fenster nach außen zu öffnen war. Wehmütig betrachtete er die Dinge. Er band die Schnur der Tingle-Puppe ein bisschen los und befestigte ihn an einen Ring, in dem ein breiter Raffhalter hing. Er öffnete kurz Anju’s Schatulle und nahm den gefalteten, goldenen Zettel heraus. Neugierig begann Navi zu lesen. Er sagte jedoch nichts dazu und legte ihn nur mit einem traurigen Lächeln in die kleine Büchse zurück. Dann deckte er das Bett ab. Die Bettwäsche war vollkommen weiß. Es wirkte sehr gemütlich. Neben dem mit weichen Federn gefüllten Kopfkissen lagen kleinere, dick gestopfte, bunte Polster. Am Fuß des Bettes stand ein alter Holzstuhl. Link zog sich aus und hängte sein Gewand über die Lehne, interessiert von Navi beobachtet.

 

   „Was? Noch nie einen nackten Mann gesehen?“, sie kicherte nur kindisch und setzte sich aufs Fensterbrett.

 

   Link band den Vorhang los und zog ihn zu, dann kroch er ins Bett. Es war wirklich gemütlich. Nur das Kissen war etwas zu weich. Er legte den flachsten und größten der Polster darunter. Jetzt passte es. Auch die anderen richtete er zurecht und zog die Tagesdecke wieder nach oben, da es doch etwas frisch war. Navi legte sich um und reduzierte ihr Licht so gut sie konnte.

 

   „Gute Nacht, Link.“, lächelte sie und schloss ihre kleinen Augen.

   „Gute Nacht.“, erwiderte er, doch etwas freundlicher.

 

   Eine Weile lang sah er sie nur an. Bald war sie eingeschlafen. Er würde es überleben. Er hatte sie bis jetzt auch überlebt. Vielleicht würde sie weniger quirlig werden, jetzt wo sie wusste, dass er durchaus antworten konnte. Ob Kafei schon schlief? Er wünschte auch ihm in Gedanken eine gute Nacht, auch wenn er wusste, dass er zu weit weg war, um von Kafei’s telepathischen Fähigkeiten aufgeschnappt zu werden. Er vermisste ihn jetzt schon. Aber er wusste, dass er ihn nicht vergessen würde. Sie würden in Gedanken immer beieinander sein. Dann schloss Link die Augen, gab Kafei einen gedanklichen Kuss und schlief ein, nicht wissend, dass dieser in exakt diesem Moment ähnliches dachte und sie beide in ein und der selben Sekunde in den Schlaf fielen.

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Es war nicht Kafei. Nein. Zu viel Stoff. Enttäuscht schnaufte er in die Kissen. Dennoch war das Bett angenehm kuschelig. Noch mit geschlossenen Augen streckte er sich durch, wie eine Katze. Er musste leicht kichern, da seine Schultern und sein Genick knackten. Langsam öffnete er die Augen. Es war leicht hell. Etwas Licht schien unter dem Vorhang durch. Navi schlief noch tief und fest. Er schob den Vorhang ein wenig beiseite und starrte auf die Baumwipfel draußen, ließ den Vorhang aber gleich wieder los. Dann gähnte er leise, setzte sich auf und erschrak, als er den lächelnden Mann am Fuß des Bettes sitzen sah. Er saß sogar auf dem Bett und trotzdem hatte er ihn nicht bemerkt?

 

   „Guten Morgen.“, sagte Moe sanft. „Ich sehe, du hast gut geschlafen?“, Link nickte. „War dir wohl nicht kalt so?“, Link wusste, worauf er das bezog.

   „Nein. Die Decken sind ziemlich wärmend.“

   „Ich hab dir was zum Anziehen mitgebracht. Nur ein paar alte Sachen von mir, vorübergehend. Ich hoffe, sie passen.“, er stand auf und deutete auf den Stuhl, auf dessen Sitzfläche einige gefaltete, schlichte Leinenhosen- und Hemden gestapelt waren. „Dass du meine alten Schuhe anziehen musst, will ich dir nicht zumuten.“

   „Danke.“, schmunzelte Link, schlug die Decken gleichmäßig nach unten, stellte die Beine nach links aus dem Bett und vergrub das Gesicht in den Händen.

   „Was ist?“

   „Ach nichts. Ich bin nur noch etwas müde.“, er hob den Blick wieder und starrte Moe an, da ihm etwas eingefallen war. „Wie bist du eigentlich reingekommen?“

   „Ja.“, lachte dieser. „Offenbar hast du mich wirklich beim Wort genommen. Du hast nicht abgesperrt.“

   „Hab ich – hab ich nicht?“

   „Nein.“, er machte Platz und stellte sich mit verschränkten Armen an die Stirnseite des Bettes.

   „Oh.“

 

   Link stemme sich hoch, ging zum Stuhl und breitete die Kleidungsstücke nacheinander auf dem Bett aus. Sie waren alle recht ähnlich, wiesen kaum buntere Farben als Naturtöne auf, waren aber teilweise unterschiedlich groß. Moe beobachtete genau, was er wählte. Er schmunzelte leicht, als Link’s Wahl auf die Stücke fiel, die sich am meisten von den anderen unterschieden, da sie zudem zu seinen Schuhen passten. Dieser bemerkte es.

 

   „Was?“

   „Ich sehe, wir haben nicht den selben Geschmack. Das hab ich immer gehasst.“

   „Oh. Stört es dich also, wenn ich es anziehe?“

   „Hätte ich es sonst mitgenommen?“

   „Woher soll ich das wissen?“

   „Nein. Ich bin froh, dass es wenigstens jemand anderem gefällt. Das hat meine Mutter genäht, als ich in etwa so alt war wie du. Ich hab es nie gemocht, aber ihr zuliebe immer angezogen. Jetzt kann ich es ruhigen Gewissens weitergeben. Sie ist vor fünf Jahren gestorben.“

   „Das tut mir leid.“

   „Muss es nicht. Ja, sie war die beste Frau und Freundin, die ich gekannt hatte, aber sie war schwer krank. Der Tod war eine wahre Erlösung. Sie ist im Schlaf gegangen, still und leise, wie sie es immer gewollt hat.“, Link nickte leicht und zog sich an. „Schon Hunger?“

   „Und wie.“

   „Gut. Dann lass uns gehen. Äh – weckst du sie nicht auf?“, er deutete auf Navi und Link musterte sie leicht.

   „Nein. Soll sie nur schlafen.“, er öffnete das Fenster einen Spalt breit, damit er nicht allzu gemein wirkte. „Sie wird mich schon finden.“

 

   Draußen wurden sie von einem kleinen Jungen begrüßt, der nicht minder blond war als Moe. Da dieser ihn auf die Arme nahm, schloss Link daraus, dass er sein Sohn war. Was sie jedoch sprachen, verstand er natürlich nicht, ahnte aber, worum es ging.

 

  Guten Morgen. Ich dachte, du stehst nie auf.“

  Ha, ha. Wer ist das, Papa?

  Das ist Link. Er wohnt ab sofort in Ordon.“

  Wie –

  Er ist in Komu’s Haus eingezogen.“

  Ach deshalb seid ihr hier. Wann ist er gekommen?

  Heute Nacht.“

  Er sieht so anders aus. Versteht er uns?

  Nein.“

  Aber du verstehst ihn?

  Ja. Er ist Hylianer. Er kommt aus Unruhstadt.“

  Oh.“, die Augen des Jungen weiteten sich.

   „Darf ich vorstellen,“, Moe sprach wieder Hylianisch, „Mein Sohn Colin.“

   „Hallo.“, grinste Link.

  Was heißt `andemei´?“, fragte Colin seinen Vater.

  Es heißt `hallo´.“

   „Andemei.“, grinste der Junge zurück und Link lachte kurz. „Warum lacht er?

   „Ja. Warum lachst du?“

   „Das war irgendwie süß.“

  Er findet deine Aussprache süß.“

  He! Ich hab keine süße Aussprache! Ich bin doch kein Mädchen!“, nun musste auch Moe lachen.

   „Tut mir leid.“, verstand Link den Gesichtsausdruck und Tonfall des Jungen.

  Schon gut. Er hat sich entschuldigt.“

  Gut. Danke.“

   „Er sagt danke. Du scheinst mir ziemlich abgehärtet zu sein?“

   „Wieso?“

   „Naja – du schläfst nackt – suchst dir das dünnste Gewand aus, obwohl es erst frühester Frühling ist – bist du dir sicher, dass du aus der Stadt bist?“

   „Ja.“, log Link. „Aber ich bin viel herumgekommen.“

   „Ach so. Na dann – gehen wir frühstücken.“, sie machten sich auf in Richtung Dorf, wo trotz der frühen Tageszeit, vergleichsweise wesentlich mehr Leute auf den Beinen waren, als es in Unruh der Fall gewesen wäre. „Was ist? Um diese Zeit noch nie so viele Leute gesehen?“

   „Nein.“, hauchte Link. „Die Stadt ist voller Langschläfer. Auch jetzt, wo gerade Karneval ist.“

   „Wenn ich mich recht erinnere, dauert er dieses Jahr zwei Wochen?“

   „Ja.“

   „Du bist also quasi wirklich geflohen.“

   „So in etwa.“

   „Ja. Ich habe gehört, dass vor sieben Jahren ein schweres Unglück in Termina verhindert wurde. Manchmal komme ich in die Stadt, um Waren zu tauschen, weißt du? Aber ich bin öfter in Hyrule. Vor allem, seit diese Shiekah wieder in Ikana eingezogen sind. Sie lassen mich nur ungern durch. Fragen ständig nach schriftlichen Genehmigungen. Einmal musste ich sogar gegen einen von ihnen kämpfen. Mysteriöse Leute. Ziemlich stur und arrogant.“

   „Mysteriös und stur, ja. Aber es ist ihr Land und sie wurden oft genug vertrieben. Sie wollen nur ihre Ruhe haben. Sie sind zwar mächtiger als wir Hylianer, sind aber bei Weitem nicht so eingebildet. Sie legen sehr viel Wert auf Tradition und Miteinander, als auch auf Glauben und Liebe. Trotz ihrer Zurückhaltung und Geheimnistuerei sind sie das wohl ehrlichste und vertrauenswürdigste Volk, das ich kenne.“

   „Du hattest anscheinend schon oft mit ihnen zu tun?“

   „Oft genug um zu wissen, dass ihr Ruf weit schlechter ist als sie selbst. Sie wissen noch um die wahren Werte des Lebens. Ohne sie hätten wir Hylianer uns noch öfter die Schädel eingeschlagen.“

   „Wow. Das wusste ich nicht. Ich hab nur gehört, dass sie überall ihre Finger im Spiel hätten.“

   „Das kann man fast so sagen. Sie distanzieren sich aber von der Offensichtlichkeit. Sie sind heimliche Helfer.“

   „Hm. Mir scheint, ich werde noch viel von dir lernen?“

   „Vielleicht. Das kann ich nicht sagen. Aber wenn du das nächste Mal nach Termina gehst, solltest du vielleicht dem Bürgermeister einen Besuch abstatten und ein Handelsabkommen unterzeichnen.“, hatte er einen Hintergedanken?

   „Der ist ja angeblich auch einer von denen.“

   „Eben. Er wird dir helfen.“

   „Was mach dich so sicher?“, ja, was nur?

   „Einiges.“

   „Hm. Aber ich denke nicht, dass ich so schnell wieder nach Termina reisen werde. Der letzte Besuch hat mir gereicht. Die haben mich regelrecht bis nach Unruhstadt verfolgt. Zwar nicht offensichtlich, aber da war dieses Mädchen in der Stadt. Auch eine von ihnen. Blaue Haare. Uah. Und wie sie mich angesehen hat. Dann hat sie mir was hinterhergezischt. Was von wegen, dass ich mit solchen Waren wohl kaum ein gutes Geschäft abschließen könnte. Entweder hat sie mir diesen Tag verflucht oder – keine Ahnung. Ich hatte in Termina nie wirklich Chancen. In Hyrule bin ich besser dran.“

   „Oha. Ich denke, sie war nur ehrlich. Sie hat ein gutes Gespür. Also, hast du versucht, zweitklassige Ware zu vertreiben?“, schmunzelte Link.

   „Nein!“, protestierte Moe.

   „Offenbar doch. Sonst hätte sie das nicht gesagt.“

   „Bist du von denen als verbaler Verteidiger rekrutiert worden?“

   „Nein. Aber ich kenne das Mädchen. Sie ist die Tochter des Bürgermeisters.“

   „Ach herrje. Also bezüglich Jubiläumskarneval – mir wurde erzählt, dass damals einer der Monde gedroht hat, auf Termina zu stürzen und dass ein böser Dämon in einer Maske daran schuld war?“, Link nickte. „Sie haben auch gesagt, dass der damalige Bürgermeister, Dotour, irgendetwas von einem kleinen Jungen gesprochen hat, der ihn aufgehalten haben soll. Stimmt das so?“

   „Kann sein.“, sagte Link monoton und bevorzugte es, den Dorfbewohnern bei ihren frühmorgendlichen Tätigkeiten zuzusehen, die auch ihm nachstarrten.

   „Ach was rede ich denn da. Du warst da selbst noch ein Kind. Du hast vermutlich nicht so viel mitbekommen.“

   „Jein.“, sagte Link. „Man merkt schon, wenn alle die Stadt verlassen, weil ein riesiger Felsbrocken über ihr schwebt. Es war furchtbar. Alles hat gebebt und der Himmel ist immer roter geworden, je näher der Mond war. Aber dann sind die Giganten des Himmels gekommen und haben ihn aufgehalten. Ich hab mich versteckt. Als ich rausgekommen bin, war der Mond weg.“

   „Meine Güte. Es tut mir leid. Du wolltest weg von all dem und ich löchere dich darüber.“

   „Macht nichts.“, lächelte Link doch leicht gequält, wagte es aber dennoch, ihn kurz dabei anzusehen. „Wer ist sie?“, das Mädchen, das er in Boro’s Haus gesehen hatte stand am Bach und holte Wasser mit einem hölzernen Eimer.

   „Das ist Ilya. Boro’s einziges Kind.“, sie starrte Link nach der mit Moe und Colin die kleine Holzbrücke überquert hatte und ihr entglitt der Eimer, als Link ihr zulächelte.

   „Ups.“, kicherte Link und Ilya wurde leicht rot, konnte den Eimer aber gerade noch aus dem Wasser ziehen, bevor er abtrieb und füllte ihn abermals, nicht ohne Link noch einmal nachzusehen.

   „Ich glaube, du hast ihr gerade etwas den Kopf verdreht.“

   „Sieht so aus.“, kicherte Link weiter, zog aber den Blick von der Bürgermeistertochter, noch mehr über die Ironie des Lebens schmunzelnd. „Ich hab sie in der Nacht kurz gesehen. Auch da hat sie mich schon so angestarrt.“

   „Naja – du bist ein Fremder, der mitten in der Nacht kommt und am nächsten Morgen in meinen alten Sachen durch unser Dorf läuft – und noch dazu kein Mensch. Kannst du es ihr verübeln? Außerdem. Wenn ich ein Mädchen wäre, würde ich auch starren, wenn ein so bildhübscher, junger Mann in mein Dorf kommt.“

   „Tz.“, fauchte Link. „Was finden bloß alle an mir? Andauernd muss ich mir anhören, dass ich ach so schön wäre.“

   „Na aber hallo! Du bist schon ein ziemlicher Blickfang.“, etwas verwirrt sah Link ihn an. „Versteh mich jetzt nicht falsch, aber ich bin doch viel älter als du und hatte schon genügend Erfahrungen mit den Schwärmereien von Mädchen.“

   „Erzähl mir bloß nichts von schwärmenden Mädchen. Ich hab fünf Verehrerinnen. Eine davon ist die Dekukönigin, ja?“

   „Oha.“

   „Du sagst es.“, seufzte Link.

   „Und du willst auch nichts von den anderen?“

   „Nein.“

   „Zu launisch? Zu aufdringlich?“

   „Das auch.“

   „Aber Ilya ist schon hübsch, oder?“

   „Mag sein. Hübsch sind sie alle. Aber nicht mein Typ.“

   „Du kennst Ilya noch gar nicht.“

   „Versuchst du mich gerade zu verkuppeln?“

   „Entschuldige. Ich bin wohl etwas zu übereifrig. Ja. Du solltest sie selbst kennen lernen. Aber vorher noch ein bisschen unsere Sprache.“

   „Die Sprache ist mir lieber.“

   „Kein Weiberheld?“

   „Nicht im Geringsten.“

   „Wenigstens bist du ehrlich und schämst dich nicht dafür.“, Link sagte nichts darauf. „Es ist schlimm, wenn einem die Mädchen auf die Nerven gehen, man es aber nicht zugeben will, weil man sonst von den anderen Jungen ausgelacht wird.“

   „Solche Möchtegernfreunde hatte ich auch. Aber es ging dabei nie um Mädchen.“

   „Sondern?“

   „Darum, dass ständig ich daran schuld war, wenn etwas mit dem Wetter nicht in Ordnung war. Einer schreit, alle schreien nach. Aber lassen wir das.“

   „In Ordnung.“, sie hatten eine kleine Runde durchs Dorf gedreht und hielten an einem der Häuser nach einer weiteren, etwas größeren Brücke an und eine ebenfalls blonde Frau öffnete ihnen lächelnd die Tür. „So, Link. Das ist meine Frau Ulina. Ich hab ihr bereits von dir erzählt. Sie spricht ein wenig Hylianisch, aber ich konnte sie nicht ganz so überzeugen.“, Link schüttelte ihr mit einem freundlichen Nicken die Hand und sie traten ein.

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Er hatte mit einigen Anlaufschwierigkeiten gerechnet. Aber dank Moe’s Übersetzungskünsten stellte sich alles als halb so schlimm heraus. Seine Frau Ulina hatte er gerade noch rechtzeitig dazu überreden können, ihre Speisekammer nicht vollständig auf den Frühstückstisch zu verlagern. Link war ihm durchaus dankbar, da er dennoch zu vier Broten gezwungen worden war. Er musste fast einen Eimer Tee im Magen haben.

   Ihr Haus war nicht groß, aber neben dem Kamin gab es eine Tür, die offenbar in Räume unter dem Fels führte. Der Raum in dem sie sich nun befanden war etwas wie Wohnzimmer, Esszimmer und Küche in einem, und das auch noch auf engsten Raum gepfercht. Trotzdem fühlte man sich nicht vollkommen eingeengt. Über der mysteriösen Tür hing ein Schwert, das Link das ganze Frühstück über in seinen Bann gezogen hatte. Bis jetzt hatte er es verstecken können.

 

   „Gefällt dir das Schwert?“, fragte ihn Moe.

   „Ja. Sieht nach einer guten Klinge aus.“

   „Ist es. Es hat meinem Vater gehört. Er hat es mir vererbt, aber ich hab es nie benützt, da es mir ohnehin zu schwer ist. Aber dafür hält es ganz schön was aus. Ich hab es bevorzugt, seine Techniken zu verbessern. Er war zuletzt so neidisch, dass ich es geschafft hab, leichtere Schwerter herzustellen, die gleich robust sind wie seine. Dieses Thema hat ihn bis zu seinem Tod immer zur Raserei gebracht.“

   „Du bist Waffenschmied?“

   „Ja. Aber ich mache nur Einzelstücke. Keine Massenproduktion für die Königliche Garde.“, Link nickte. „Es ist ein Wunder, dass das Teil überhaupt auf der Wand bleibt, so schwer wie es ist. Hinten hab ich noch eines von ihm. Zum Vergleichen für Kunden. Willst du es sehen?“

 

   Link war sich nicht ganz sicher, ob er das wirklich wollte. Immerhin sollte er doch sein altes Leben zurücklassen. Und gleich am ersten Tag seines neuen Lebens schon wieder ein Schwert in der Hand zu halten, schien ihm nicht gerade eine gute Idee für einen Neuanfang. Er würde sich sehr beherrschen müssen – so tun, als verstünde er nichts von Schwertern. War denn das möglich? Kafei war der Schauspieler. Er nicht. Aber offenbar musste er doch ein gewisses Talent dafür haben – oder waren alle anderen einfach immer nur zu blöd gewesen, um seine Mimik zu verstehen? Gut, Navi hatte sämtliche seiner Versuche, sie zum Schweigen zu bringen stets ignoriert. Und eine Fee dazu zu bringen, einen in Ruhe sein Geschäft an einem beliebigen Baum verrichten zu lassen, war nicht wirklich einfach, ganz zu schweigen von anderen Dingen, bei denen Mann normalerweise nicht unbedingt beobachtet werden wollte. Selbst Epona war so diskret gewesen wegzusehen, wenn er einmal in die Ecke gepinkelt hatte. Ja, Epona war eine wahre Freundin. Und sie war ein Pferd!

 

   „Link?“, er erschrak aus seinen Gedanken.

   „Äh – ja! Wieso nicht?“, auch wenn er sich gedanklich dafür auf den Kopf schlug.

   „Gut. Komm mit.“, lächelte er.

 

   Moe besprach noch irgendetwas mit seiner kleinen Familie und führte Link durch die schlichte Holztür in einen schmalen Korridor, an dessen Ende sich eine weitere Tür befand. Links waren noch zwei Türen und eine vierte auf der rechten Seite. Link vermutete darin die Schlafzimmer, was er in den nächsten Monaten bestätigt bekommen sollte. Moe öffnete die Tür gerade vor ihnen und trat in den Hinterhof, der zwischen den Felsen eingebettet war. Er beinhaltete nicht viel mehr als ein Stück Wiese, ein Plumpsklo, einen Brunnen und die überdachte Schmiede. Diese war auch nicht mehr als eine Esse mit diversen Balken und Tischen auf denen sich allerhand Werkzeug und Rohmaterial befanden und einer anschließenden Scheune.

   Zumindest dachte Link, es wäre eine Scheune. Als Moe jedoch die Tür entriegelte, stellte sie sich als ein gut isolierter Trainingsraum heraus. An seinen Wänden hingen verschiedenste Stichwaffen, viele schlicht, manche mit äußerst verspielter Dekoration. Diese wirkten eher repräsentativ als kampftauglich. Rundum standen mehrere Übungspuppen. Auf dem Holzboden lag ein dicker, fast den Raum ausfüllender, abgetretener Teppich.

   Für jemanden wie Link sollte es ein Schlaraffenland sein, doch er hatte gerade große Bedenken, sich nicht zu verraten. Er wusste schon jetzt, dass er in Ordon noch eine Fähigkeit zur Perfektion erlernen würde: das Lügen. Auch wenn ihm diese Überlegung ganz und gar nicht gefiel.

 

   „Das ist es.“

 

   Er hatte ein wunderschönes Schwert mit gewellter Klinge und goldenem Griff aus einer abgeschlossenen Vitrine geholt. Der griff wirkte so unglaublich kitschig und zierlich, aber Link wusste, dass er sicher sehr robust war. Moe hielt es ihm so hin, dass seine Absicht nicht deutlicher hätte sein können. Nur zögerlich nahm Link es in die Hand und war froh, nicht noch zögerlicher gewesen zu sein. Es war sicher schwerer als Biggoron’s Schwert und er hatte ernsthafte Probleme es mit einer Hand zu halten.

 

   „Oh!“, staunte Moe. „Also doch! Mir war nicht gleich klar, warum du das Messer in der linken Hand gehalten hast. Du bist tatsächlich Linkshänder?“

   „Ja.“

   „Aber es wäre besser, wenn du es in der rechten Hand halten würdest. Das würde es für mich leichter machen, dir was beizubringen. Die Kraft bekommst du schon noch.“

   „Wie kommst du auf die Idee, ich würde lernen wollen, wie man mit einem Schwert umgeht?“, er versuchte, ein recht neutrales Gesicht aufzusetzen.

   „Ach komm schon. Ich seh doch, wie du es ansiehst. Und die anderen auch. Aber mit so einem Schwert kannst du sowieso erst frühestens in zwei Jahren was anfangen. Es wäre dir viel zu schwer.“

   „Schwer ist es schon.“, schmunzelte Link. „Aber – “, er ließ es kurz nach hinten und wieder nach vor schwingen.

   „Vorsicht!“

   „Es liegt gut in der Hand. Sicher – im Kampf wäre es eher ein Zweihänder, aber dafür ist der – “

   „Mach das noch mal.“, hauchte Moe.

   „Was? Das?“, er ließ es noch einmal schwingen.

   „Verdammt! Mit dem Schwert schaff das nicht einmal ich!“

   „Kein Wunder. Es geht ziemlich ins Handgelenk. Da hast du den Klotz wieder.“, ziemlich entgeistert nahm Moe das Schwert wieder an.

   „Du Lausbub! Du verstehst was von Schwertern, oder?“

   „Vielleicht?“, er hatte beschlossen, es zuzugeben, aber dennoch ein bisschen mit Moe zu spielen.

   „Kannst du auch richtig kämpfen oder nur angeben?“

   „Keine Ahnung. Sag du mir, ob ich kämpfen kann.“, er musste doch nicht schon am ersten Tag alles wissen, oder?

   „Forderst du mich etwa heraus?“, tat er das?

   „Ist es nicht das, was du beabsichtigt hast?“, und außerdem sollte er doch sein altes Leben hinter sich lassen, oder nicht?

   „Ich dachte ja zuerst an ein paar Grundtechniken, aber bitte – trotzdem sollten wir die Sache langsamer angehen.“

 

   Ehrlich – langsam? Dieser Mann wollte ihm schon am ersten Tag etwas beibringen, das er, Link, eigentlich schon fast sein ganzes Leben lang gemacht hatte und erwartete von ihm, er würde von vorne beginnen? Womöglich noch mit Holzschwertern? Er hatte nie auch nur annähernd eine Beziehung gehabt und schon am zweiten Tag seiner ersten Beziehung hatte er seine Jungfräulichkeit verloren. Und jetzt sollte er etwas, in dem er Erfahrung hatte, langsam angehen?

 

   „Wir probieren’s erst einmal mit denen hier.“, ja, genau. „Was? Warum siehst du mich so an? Ich weiß mich durchaus zu verteidigen. Aber ich will doch nicht, dass du dich schon verletzt.

   „Trotzdem. Meinst du nicht, Holzschwerter sind etwas übertrieben? Holzschilde lass ich mir ja noch einreden – wenn sie was aushalten. Das mag jetzt schon etwas arrogant klingen, aber es ist nicht so, dass ich heute zum ersten Mal ein Schwert in der Hand hatte.“

   „Gekämpft auch schon?“, er sah ihn ungläubig schief an.

   „Ja.“

   „Richtig gekämpft?“, einige seiner heftigsten Kämpfe spulten gerade vor seinem geistigen Auge ab.

   „Ja, ich denke, das kann man so nennen.“

   „Oder nur zur Unterhaltung?“

   „Lustig war’s nicht immer.“

   „Gewonnen auch?“, er wollte schon von kurzzeitigem Sterben und Feen erzählen, entschloss sich aber für die Kurzfassung.

   „Bis jetzt, immer.“, er verkniff es sich auch, hinzuzufügen, dass er sonst wohl nicht mehr hier stünde.

   „Na gut. Auf deine Verantwortung. Du bekommst sogar ein Metallschild.“

   „Danke für dein Vertrauen.“, lächelte er gequält.

 

 

~o~0~O~0~o~


 

   „Ich bitte dich. Steh auf.“, keine Antwort. „Ich weiß, dass du von diesem ganzen Feiern nichts mehr wissen willst. Aber du kannst nicht den ganzen Tag im Bett liegen.“

   „Es ist mein Bett. Ich kann so lang darin liegen, wie ich will.“

   „Es ist ja nicht so, dass er tot ist. Er ist nur nicht hier. Das kannst du Anju nicht antun.“

   „Zu deiner Information, Anju versteht es.“, grummelte er durch die Decke.

   „Bitte, Dotour. Sag doch du auch mal was.“

   „Und was?“

   „Na – dass er aufstehen soll!“

   „Wieso?“, er sah vom Stuhl neben dem Bett zu ihr auf.

   „Was?“, zischte Esra.

   „Vielleicht verstehst du es nicht, aber ich verstehe es sehrwohl.“

   „Danke, Vater.“

   „Aber du musst doch zugeben, dass sie in einem Punkt Recht hat. Link ist nicht tot. Trotzdem – “

   „Was jetzt? Bist du für oder gegen mich?“

   „Darf ich dich daran erinnern, dass er so ein Drama schon einmal veranstaltet hat? Weißt du noch? Damals, als Anju fort war?“

   „Ja, ich erinnere mich nur zu gut daran.“, fauchte Dotour, erhob sich und sah ihr direkt in die Augen. „Aber das beweist doch etwas.“

   „Und was?“

   „Dass er die beiden gleichermaßen über alles liebt. Darf ich dich daran erinnern, dass – ich – “, er brach ab und verließ den Raum.

   „Dass du?“

   „Ach vergiss es.“, raunte er gut hörbar von der Treppe.

   „Gut.“, schnaubte Esra. „Aber erwarte nicht, dass ich dir was zum Essen hochbringe, Kafei.“

 

   Auch sie verließ den Raum ohne die Tür zu schließen, was sie augenblicklich bereute, da Kafei seine Hand unter der Decke hervorstreckte und die Tür mit einem Schlenkern hinter seiner Stiefmutter zuknallte.

 

 

~o~0~O~0~o~


 

  Verdammte Scheiße!

   „Was?“, schnaufte Link.

 

   Moe lag am Boden, Schwert und Schild außer Reichweite und Link’s Schwertspitze einen Finger breit von seinem Kehlkopf entfernt.

 

   „Verdammte Scheiße, hab ich gesagt.“

   „Oh. Gut zu wissen.“, lachte Link, nahm das Schwert weg und half ihm auf.

   „Sag mir jetzt bloß nicht, dass du das in dieser herabgewirtschafteten Schule gelernt hast.“

   „Nein. Aber ich leugne nicht, es dort mal probiert zu haben. Du hast Recht. Diese Schule ist ein Witz. Für den Anfang vielleicht gut, aber der Fortgeschrittenen-Kurs ist einfach lächerlich. Mich wundert es ehrlich nicht, dass es Kinder gibt, die die Meisterprüfung schaffen.“

   „Und wo hast du gelernt?“

   „Ich hab doch gesagt, ich bin viel herumgekommen.“

   „Ja. Hast du.“

   „Und Termina ist nicht klein.“, versuchte er dennoch gewisse Überlegungen aus dem Weg zu räumen.

   „Ja. Da hast du auch Recht. Es ist schon ein breiter Weg von der Passage in Ikana bis nach Unruhstadt. Weiter bin ich zwar auch nie gekommen, aber – na gut. Hyrule ist sehr sicher sehr viel größer.“

   „Kann ich nicht sagen.“, warf er zur Verteidigung seines Neuanfangs ein.

   „Schon klar. Was auch immer dich aus deinem vorigen Leben getrieben hat, ich weiß jetzt, dass es mehr als spannend war.“, er legte ihm kurz die Hand auf die Wange. „Aber eine Sache nur – das hier bleibt unter uns, ja?“

   „Hab nichts dagegen.“

   „Es ist zwar nicht so, dass ich mich nur dafür schäme, von einem Sechzehnjährigen besiegt worden zu sein, sondern hauptsächlich wegen meinem Sohn. Er ist noch zu jung für Schwerter. Ich will noch nicht, dass er damit umgehen lernt. In ein oder zwei Jahren vielleicht. Aber noch nicht jetzt.“

   „Gut.“

   „Okay – dann – also – stell ich dich am besten gleich auf der Ranch vor. Fado wird sich über weitere zwei Hände freuen. Der arme Tölpel hat in letzter Zeit immer häufiger Probleme damit, die Ziegen unter Kontrolle zu halten. Auch verliert er zunehmend an Geduld und wird fauler. Vielleicht kannst du da ein bisschen frischen Wind reinbringen. Wäre schade, wenn wir keinen Käse mehr verkaufen könnten. Unser Ziegenkäse ist ein richtiger Renner in Hyrule.“

   „Das glaub ich gerne. Er ist wirklich gut.“

   „Solltest du auch unseren Ziegen sagen. Vielleicht benehmen sie sich dann etwas mehr.“, lachte Moe.

 

 

~o~0~O~0~o~


 

   Völlig geschafft ließ er sich in seinem neuen Schlafanzug ins Bett fallen. Er wusste nicht, was anstrengender gewesen war. Fado’s Tollpatschigkeit auszugleichen oder Navi zu ignorieren, die ihn wieder erst am Nachmittag gefunden hatte. Eines wusste er aber: morgen würde er die Ziegen nicht mehr zu Fuß zusammentreiben. Epona würde das sicher nicht gefallen, aber sie hatte bis jetzt immer zu ihm gehalten. Vielleicht würde sie auch bei dieser Neuanfangs-Sache mitmachen. Zumindest hoffte er es. Alles in allem war es trotzdem eine schöne Zeit gewesen. Schon langsam fing ihm Ordon an zu gefallen. Doch nun, da Navi sich umgelegt hatte und er mit seinen Gedanken alleine war, fühlte er sich wieder verlassen. Er starrte gedankenverloren auf die hölzerne Raumdecke, dann zum Loch durch das die Sterne hereinfunkelten. Sie waren so weit weg. Es kam ihm so vor, als wäre Kafei genau so weit weg. So weit wie diese Sterne hinter diesem Loch. Kafei war ein Stern.

   Ein lächerlicher Gedanke überkam ihn. Wenn Kafei ein Stern war, würde er ihm dann nicht näher sein, wenn er direkt unter den Sternen lag? Er stand wieder auf, packte seine beiden Decken und die Kopfkissen und warf sie nach unten. Und er hatte gedacht, er wäre müde. Navi zuckte nicht einmal, als das Betzeug auf den Boden puffte. Kopfschüttelnd kletterte er hinab, nahm die Sachen erneut auf die Arme und pfefferte sie durch die Eingangstür auf die Wiese vor seinem Haus hinunter. Dann schloss er ab und ignorierte die letzte Leiter einfach. Mit einem Satz landete er auf den weichen Decken und machte sich sein Bett im Freien zurecht, die Überwurfdecke unten. Bis zum Kinn zugedeckt starrte er zu den unzählbaren, glitzernden Sternen empor. Ein leichtes Lüftchen wanderte um seine Ohren.

   Diese Nacht war schon lauer als die vorangegangenen. Der Frühling war endlich da. Dennoch war es noch immer recht kühl. Vielleicht war es ihm aber auch nur kühl um seine Ohren weil ein paar Tränen seitwärts aus den Augen liefen. Er versuchte es trotzdem auf die Größe seiner Ohren zu schieben. Eine der Tränen floss in sein Ohr hinein und riss ihn aus seinen Gedanken. Seufzend wischte er sie mit den anderen trocken, doch es kamen neue nach. Er hörte Epona näher trotten. Bei ihm, drehte sie sich ein Mal herum und legte sich mit dem Gesicht an seinem zu ihm auf den Boden. Als die Stute ihren Kopf gegen seine Wange schmiegte, konnte er die Tränen endgültig nicht mehr halten. Er drehte sich zu ihr, streichelte sie kurz und kuschelte sich dann an ihren Hals, wobei Epona ihren rechten Forderlauf um ihn legte und seinen Kopf mit dem ihren an sich drückte.

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   „Hör mal – so kann das nicht weitergehen.“

 

   Kafei saß auf seinem Schreibtisch und ließ die Füße baumeln, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestemmt und das Gesicht in den Händen vergraben. Hinter ihm stapelte sich eine schöne Menge Papier. Nérimlath marschierte vor ihm auf und ab, die Arme verschränkt.

 

   „Du hast Verantwortung. Übernimm sie auch. Hörst du mir eigentlich zu?“, er blieb stehen und starrte Kafei an. „Nein. Tust du nicht.“, fügte er leise hinzu. „Du kannst nicht ewig in Selbstmitleid versinken.“, er ging auf ihn zu, legte die Hände auf seine Oberarme und begann ihn zu streicheln. „Was?“, Kafei hatte etwas gemurmelt. „Tut mir leid, aber ich versteh dich nicht, wenn du in deine Hände nuschelst.“

   „Ich hab gesagt, du sollst das lassen.“, zischte er.

   „Was?“

   „Lass mich bitte los.“, er sah auf, das Gesicht tränenverschmiert, die schwarze Farbe um seine Augen verronnen.

   „Meine Güte – sieh dich mal an.“, er wollte die Farbe wegwischen, doch Kafei drückte seine Hände von sich.

   „Kafei – “

   „Es ist mir egal, wie ich aussehe. Ich will ohnehin niemanden empfangen.“, Rim legte ihm seufzend erneut die Hände auf die Arme. „Und ich hab gesagt, du sollst das lassen.“

   „Kafei – was soll das? Du bist mein bester Freund. Ich werde dich wohl noch anfassen dürfen. Immerhin – “

   „Nein.“

   „Was? Ach komm schon! Das – verdammt, Kafei! Wie oft soll ich mich noch bei dir entschuldigen? Du weißt, dass ich mich an nichts davon erinnern kann! Wir waren mehr als nur Freunde.“

   „Exakt. Wir waren. Warum willst du nicht kapieren, dass das vorbei ist? Und vor allem – warum willst du dir nicht eingestehen, dass du – “

   „Wie sollte ich die volle Schuld an etwas haben, an das ich mich nicht erinnern kann? Ich versteh deine Logik dahinter nicht. Was hab ich bitte getan, das deine Gefühle für mich dermaßen getötet hat?“

   „Du weißt, was du getan hast. Ich hab es dich ansehen lassen. Und so groß waren meine Gefühle für dich nie. Ich war nur in dich verknallt. Aber geliebt hab ich dich nicht auch nur ansatzweise.“

   „Aber dir ist offenbar egal, dass ich – “

   „Dir ist offenbar egal, dass du verheiratet bist!“

   „Du doch auch! Und trotzdem liebst du Link!“

   „Ich liebe sie beide und beide haben kein Problem damit. Anju und ich haben keine Geheimnisse voreinander. Wir warten nicht jahrelang um einander solche Dinge zu erzählen. Aber die Ehe die du führst, ist lächerlich. Warum musste es ausgerechnet Cremia sein?“

   „Wie bitte?“

   „Ja – vielleicht ergänzt sie dich, weil sie das absolute Gegenteil von dir ist. Aber das macht euch doch beide alles andere als glücklich! Cremia ist Anju’s beste Freundin. Anju hat ihr nur nichts gesagt, weil sie weiß, dass das eine Sache zwischen euch beiden ist. Aber ich hab schon langsam keine Lust mehr, Anju in Schuldgefühlen darüber versinken zu sehen, nur weil du zu feig bist, dir einzugestehen, die falsche Frau geheiratet zu haben. Ich weiß, dass du Cremia nichts davon erzählen kannst, weil es sie umbringen würde. Und du wusstest es, als du sie geheiratet hast. Warum hast du dir nicht eine gesucht, der du solche Dinge erzählen kannst? Eine, die es versteht? Ich bin mir sicher, du hättest sie gefunden, wenn du nicht deinem Mitleid mit Cremia nachgegeben hättest.“

   „Um über solche Dinge zu reden, hab ich dich. Das solltest du verstehen.“

   „Tut mir leid, Rim. Diese Kutsche ist abgefahren. Wenn du es kontrollieren wolltest, wären wir immer noch die besten Freunde – wenn auch nicht mehr. Aber das wird nicht sein. Nie mehr. Ich könnte dich nicht mehr lieben, selbst nicht, wenn ich wollte. Die Narben die du bei mir hinterlassen hast, bluten noch immer, jedes mal wenn du mich anfasst. Es ist als würde ich innerlich verbrennen. Aber du verstehst das nicht. Vor allem weil du es an meiner Stelle zugelassen hättest. Bitte geh. Ich will jetzt alleine sein.“

   „Es tut mir leid, ja?“

   „Bitte. Geh.“, Rim schüttelte nur den Kopf und verzog die Lippen.

   „Nein.“, er trat wieder näher an ihn heran.

   „Rim. Ich bitte dich ein letztes Mal. Geh jetzt.“

   „Das werde ich nicht. Ich lasse dich hier nicht alleine.“, sein Gesicht war nur noch eine Hand breit von Kafei’s Gesicht entfernt.

   „Ich hab gesagt, raus.“

   „Nein.“

   „Verschwinde aus meinem Büro.“, zischte Kafei und Tränen der Wut traten in seine Augen.

   „Nein.“

 

   Er hatte seine Hände auf Kafei’s Gesicht gepresst und zwang ihn in einen Kuss der alles andere als liebevoll war. Kafei sträubte sich mit aller Macht und schaffte es auch nach einigen Sekunden, Rim von sich wegzustoßen. Dieser stolperte rückwärts und fiel zu Boden. Kafei stürmte zu ihm, schlug die Tür mit einem Schlenkern seiner Hand auf, zerrte den anderen Mann hoch, schleifte ihn zur Tür und warf ihn draußen abermals auf den Boden.

 

   „Ich hab gesagt, verschwinde aus meinem Büro, bevor ich dich endgültig aus meinem Leben werfen muss! Und wehe du lässt dich in den nächsten zwei Wochen auch nur einmal hier blicken! Dann zeig ich dir, was wahre Schmerzen sind!“

 

   Er verschwand wieder in seinem Büro und ließ die Tür zuknallen. Doch etwas entgeistert starrte Rim auf die Stelle, wo gerade eben noch Kafei’s Haare in einem blauen Wirbel verschwunden waren. Lori hatte sich hinter ihrem Stuhl verkrochen und blickte ängstlich hervor. Die Tür zu Anju’s Büro flog auf und sie kam nicht minder wütend als Kafei herausgestapft. Sie zog Rim problemlos hoch, zerrte ihn an die Wand und drückte ihn dagegen.

 

   „Was hast du gemacht?“, zischte sie.

   „Nichts.“

   „Lüg mich nicht an. Sei nicht so dreist und lüg mich auch noch an! Was hast du gemacht!“

   „Nichts wofür er mich so behandeln müsste.“, sagte Rim kalt.

   „Wenn er dich so rauswirft, tut er das nicht, weil du `nichts´ getan hast. Also?“, ihre Augen bohrten sich in seine, doch dann wandte sie den Blick kurz zur Tür, da sie Kafei hindurch schluchzen hörte.

   „Was ist denn hier los?“, Cremia stand in der Eingangstür und sah die beiden fragend an.

   „Du mieses Schwein.“, flüsterte Anju so leise, dass nur er es hören konnte. „Was auch immer du da drinnen gemacht hast, ich finde es heraus. Und je nachdem was es ist, kannst du damit rechnen, dass die Schmerzen, die dir Kafei zufügen wird, nichts im Vergleich zu dem sein werden, was du von mir zu erwarten hast.“, dann ging sie ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen in Kafei’s Büro.

   „Rim? Kafei hat dich rausgeworfen? Wieso? Was meint Anju?“

   „Nicht so wichtig.“, auch er verließ den Raum, an seiner Frau vorbei.

   „Rim?“

   „Ich will nicht darüber sprechen.“, er verschwand über die Treppe und hinaus aus der Stadt.

 

   Kafei saß auf dem Boden, an seinen Schreibtisch gelehnt und weinte noch mehr als zuvor. Nur zaghaft hob er den Kopf, als Anju die Tür hinter sich schloss, sich neben ihn setzte und die Arme um ihn legte.

 

   „Willst du darüber reden?“, er schüttelte nur den Kopf.

   „Vielleicht – hab ich nur – überreagiert. Ich – ich denke, ich – sollte mich bei – ihm – entschuldigen.“

   „Alles was du solltest, wäre dich mehr mit deinen Kindern zu beschäftigen. Vielleicht können sie dich aufmuntern, wenn ich es schon nicht kann.“, ein leichtes Lächeln trat auf seine Lippen.

   „Das kannst du.“, er kuschelte sich an sie. „Ich bin nur – so bescheuert und – lass es nicht zu.“

   „Das mit unseren Kindern hab ich ernst gemeint, weißt du? Du kennst Taya. Du weißt, wie sehr diese Puppe Tingle geähnelt hat.“

   „Anju?“, er setzte sich auf. „Worauf willst du hinaus?“

   „Darauf, dass ich nicht wissen will, was passiert, wenn Link irgendwann wirklich eine dieser Nadeln in die Puppe sticht.“

   „Was?“, gluckste Kafei.

   „Das meine ich wirklich ernst. Du hast sie gehört. `Warum macht sie das? Warum tut Zelda Papa so weh? Warum ist sie so böse und sagt ihm, dass er Link fortschicken soll?´ Ich denke, mit dieser Aussage ist nicht zu Spaßen.“

   „Du denkst – sie machen eine Puppe von – Zelda?“

   „Ich sag ja nur. Es wäre möglich. Ich habe den Mann wiedererkannt, der Rim gerade vor die Tür gesetzt hat. Und das warst nicht du. Das waren ganz eindeutig Igos’ Gene. Taya kommt jetzt in das Alter, in dem auch du nicht gerade ein Unschuldskind warst. Wenn ich dich daran erinnern darf, du hast Chaliém damals den Arm gebrochen. Er war zehn Jahre älter als du.“

   „Das ist er noch immer und wir sind trotzdem gute Freunde.“, Anju half ihm dabei, sich die zerronnene Farbe aus dem Gesicht zu wischen.

   „Das mein ich nicht. Du hast ihm den Arm gebrochen. Sehr bewusst und mit zwei gezielten Griffen. Taya hat mir erzählt, dass sie manchmal heimlich den Suro-Novizen beim Training zusieht. Du weißt, zu welchen Mitteln die Meister manchmal greifen, um den Willen der Novizen stark zu machen, damit sie nicht an sich selbst scheitern. Und Taya weiß, dass du die Ausbildung heimlich gemacht hast. Ich kann ihre Gedanken nicht lesen. Ich kann nicht wissen, welche Dinge sie sich zusammenwürfelt und eine Lebenseinstellung daraus bastelt. Und dass sie einmal so eine Puppe aus Scherz gebastelt hat, heißt nicht, dass sie die Idee nicht weiterführt. Und Link macht mit. Ja, er geht voll in dieser ganzen Bomber-Sache auf, aber sie ist seine Schwester. Wenn sie ihn fragt, ob er mitmacht, macht er mit, da du auch sein Vater bist. Du verstehst, was ich meine? Wir reden hier von Zelda. Prinzessin Zelda von Hyrule.“, Kafei starrte sie nur ungläubig an. „Ich weiß, das klingt vielleicht alles weit hergeholt. Sie sind wirklich liebenswerte, nette Kinder. Aber sie sind Kinder und lieben ihren Vater. Chaliém hat deinen Vater vor Publikum vor dem Schloss bloß gestellt. Ich zähle nur eins und eins zusammen.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, als die Tür aufging. Auch war es ihm egal. Immerhin hatte sie sehr viel zu tun. Und es war seine Schuld, dass sie sehr viel zu tun hatte. Doch es war nicht Anju, die hereingekommen war. Als er sich leicht zur Tür drehte, konnte er nur eine kleine Hand sehen. Die Schritte bewegten sich ums Bett herum. Die kleine Silhouette stellte sich vor das der beiden Fenster, das dem Bett nahe war und blickte nach draußen auf die Berge. Dann drehte er sich um. Seine blauen Augen leuchteten kaum merklich im Halbschatten. Wortlos ging er zum Bett und sah seinen Vater fast traurig an. Dieser hob die Decke hoch und ließ ihn zu sich, wo er sich an seine Brust kuschelte. Kafei machte die Decke wieder zurecht und schloss ihn sanft in seine Arme.

 

   „Was ist los – Link?“

   „Du musst mich nicht so nennen, wenn es dir weh tut. Immerhin hab ich einen Spitznamen.“

   „Warum sollte ich dich nicht so nennen? Es ist meine Schuld, dass das dein Name ist.“

   „Trotzdem. Ich will nicht, dass du traurig bist, wenn du mit mir redest. Dann fühl ich mich immer, als könnte ich dich nicht fröhlich machen.“

   „Natürlich kannst du das.“, seufzte Kafei. „Du bist mein Junge. Es ist nur – irgendwas in mir wehrt sich momentan dagegen, glücklich zu sein.“

   „Du klingst schon fast wie Rim, weißt du?“

   „Kann sein.“, hauchte er zurück.

   „Ich will nicht, dass du so – depressiv – wirst wie er.“

   „Weißt du, ich auch nicht.“

   „Dann lach doch mal.“

   „Wenn ich das nur könnte.“

   „Ich wünsch mir, dass du kitzlig bist.“

   „Da kannst du lange drauf hoffen.“, kicherte Kafei.

   „Ah? Geht doch.“

   „Was?“, stockte Kafei.

   „Du hast gekichert. Das ist ein Anfang.“

   „Wenn du meinst.“, seufzte Kafei wieder.

   „Sag mal – ist dir heiß?“

   „Schon irgendwie. Wieso?“

   „Du bist schlimmer als ein Ofen im Winter und es ist Sommer. Wieso deckst du dich zu, wenn dir so heiß ist?“

   „Weiß nicht. Vielleicht, damit ich was zum Kuscheln hab.“

   „Jetzt bin ja ich da.“

   „Ich weiß.“

   „Du schwitzt schon alles voll.“

   „Na – jetzt übertreib nicht, ja? Aber gut – darf ich?“

   „Und wie du darfst.“, Kafei ließ ihn los, zog sich den Oberteil seines Schlafanzuges aus und nahm seinen Sohn wieder in seine Arme. „Besser?“

   „Wenn’s für dich besser ist, ja. Aber du kochst noch immer.“

   „Faszinierend, wie schnell die Zeit vergeht.“, er hob Link’s linke Hand etwas hoch und verglich sie mit seiner.

   „Wieso?“

   „Deine Hände sind schon so groß.“

   „Groß?“, er setzte sich neben ihm auf.

   „Ja. Gerade noch waren sie so klein, wie dein kleiner Finger. Und jetzt schau sie an.“

   „So klein?“, seine Augen weiteten sich.

   „Ja.“, kicherte Kafei. „So klein waren sie.“

 

   Auch er setzte sich im Schneidersitz auf, griff mit dem linken Arm unter die Beine seines Sohnes und legte ihn zu sich gedreht in seinen Schoß, wo sich dieser zusammen rollte. Nachdenklich streichelte er ihm über die violetten, mit roten Strähnen durchzogenen Haare und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, wozu er sich ebenfalls einrollen musste. So ruhte er seine Stirn gegen Link’s und beide schlossen die Augen.

 

   „Du stichst.“, murmelte der Junge.

   „Was?“, schrak Kafei leicht hoch.

   „Du stichst. Du solltest dich rasieren.“

   „Oh.“

   „Was ist denn hier los?“, Anju war hereingekommen.

   „Raus, Mama.“, fauchte der Kleine, konnte aber ein Kichern nicht ganz unterdrücken.

   „Wie bitte?“

   „Das ist ein Männerabend. Raus.“

   „Du hast ihn gehört, Schatz.“, schmunzelte Kafei.

   „Oh – ja. Männerabend. Das sehe ich.“, lächelte sie. „Na dann werde ich mir wohl mit Taya einen Frauenabend machen müssen?“

   „Sieht wohl so aus.“

   „Aber um eines kommst du nicht herum.“, sie ging zu ihrem Mann und küsste ihn. „Gute Nacht, ihr zwei.“, auch ihrem Sohn gab sie einen kleinen Kuss.

   „Gute Nacht.“, erwiderten die beiden gleichzeitig, bevor sie die Tür geschlossen hatte.

   „Dass ist voll eklig.“, raunte Link.

   „Was?“

   „Ich hab eure Zungen gesehen. Wieso müsst ihr die auch dabei benutzen? Das ist eklig.“

   „Na warte.“, er nahm den Kleinen so wie er lag zu seiner Brust hoch und ließ sich mit ihm umfallen. „Das bekommst du zurück, wenn du deine erste Freundin hast.“

   „Und wenn ich aber mit einem Freund anfange?“, konterte der Junge.

   „Das macht für mich keinen Unterschied. Auch dann bekommst du das zurück, ja?“, kicherte er und küsste die Zehen seines Sohnes.

   „Warum küsst du meine Füße?“

   „Die hab ich gemacht, also darf ich das. Und wenn Mama das macht, darfst du dich auch nicht aufregen. Sie hat sie ausgebrütet.“

 

 

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