- Kapitel 21 -

Obstkuchen

   Wie beschäftigt sie alle waren. Niemand blickte auch nur kurz zu ihm hinauf. Link saß am Dach über dem Tor von Schloss Ikana, ließ die Beine herabbaumeln und beobachtete die Leute im Dorfzentrum. Es kam ihm seltsam vor, nicht weit von der Stelle zu sitzen, an der sich Rim das Leben genommen hatte. War er noch hier? Link fühlte jemanden neben sich, doch da war niemand. Das Leben ging weiter. Er war froh, dort sitzen zu dürfen. Gestern hatten sie ihn vertrieben. Kein Außenstehender durfte den Suro-Novizen beim Training zusehen. Alles war streng geheim.

 

   „Zwar sind wir es, die verweilen,“, er erschrak leicht, „Doch sind es sie, die sich im Stillstand befinden. Sie sind so beschäftigt mit den alltäglichen Dingen die sie tun, dass sie vergessen zu leben. Dabei bedenke man, dass sie einer Rasse angehören, die sehr viel Wert darauf legt, das Leben zu leben und nicht bis ans Lebensende in unnötigen `Pflichten´ zu versinken.“

 

   Er hatte sich nicht getäuscht. Sie saß zu seiner Rechten, die roten Augen zu den Leuten unter ihnen gewandt. Im ersten Moment hatte er nur Ahnung, wer sie war. Ihre Stimme kam ihm merkwürdig bekannt vor. Und nicht nur das. Interessiert musterte er ihre leicht bauschigen, schulterlangen, alt-rosa Haare, die sich in der sanften Brise kaum merklich bewegten. Endlich sah sie ihn an, etwas wie Wehmut im Blick und er erkannte die Frau, deren Leben er vor vielen Monaten gerettet hatte. Ein Photo drängte sich vor sein geistiges Auge und er verstand, wen er eigentlich vor sich hatte. Sie hatte sich kaum verändert. Nur wirkte sie jetzt viel älter als Kafei.

 

   „Oh – tut mir leid. Ich hab dir ja noch immer nicht gesagt, wie ich heiße. Also.“, sie war aus ihrer Trance erwacht und streckte ihm voll entschlossen die Hand entgegen. „Sirileij.“

   „Sehr erfreut.“, schmunzelte Link und erwiderte.

   „Ich bin gerne hier oben, weißt du?“, Link nickte.

   „Ich auch. An guten Tagen kann man den Dämmerwald sehen. Aber bei dieser Bewölkung dort unten – ich vermute, es regnet. Oder es hat geregnet.“

   „Nein. Sieh dir die Wolken genau an. Sie kommen von Osten und sammeln sich um den Krater. Es wird dort erst in ein oder zwei Stunden regnen.“

   „Ach so. Naja – ich kenn mich halt nicht so mit dem Wetter aus.“

   „Ist nicht weiter schlimm. Du fragst dich sicher, warum ich hier bin?“

   „Wenn du so fragst, nehme ich an, du bist meinetwegen hier?“

   „Ja. Du hast etwas, das du nicht vergeuden solltest. Immer wieder hast du es getan. Das muss nicht sein.“

   „Wovon redest du?“

   „Von deiner Lebensessenz. Du stärkst sie immer wieder und dann lässt du sie wieder erschwächen. Dabei könntest du sie in dem Zustand erhalten, in dem sie noch ist. Und zwar ohne dass du etliche von Dämonen befreite Herzen essen musst.“

   „Und wie dann?“

   „Du musst sie nur fordern. Du musst deine Kondition beibehalten, wenn möglich sogar noch verbessern. Ich rede nicht von gelegentlichen Kletterversuchen, Morgengymnastik oder täglichen Laufrunden um Gras zu mähen. Ich rede von Bewusstseinsveränderung. Du musst deine Denkweise gegenüber dem Machbaren ändern. Und diese Denkweise musst du auch deiner Lebensessenz klarmachen. Auch wenn keine Gefahr besteht, muss deine Energie denken, dass sie jederzeit damit rechnen muss, deinen Körper zu verteidigen. Du willst besser klettern können? Du kannst schon gut klettern. Du bist nur faul. Du bist zu faul, um deine Sinne zu schärfen. Du hast das Herz eines Wolfes.“

   „Ich war längere Zeit und immer wieder ein Wolf.“, sie schüttelte den Kopf.

   „Davon rede ich nicht. Es ist in dir. Du hast das Gespür eines Wolfes auch in dieser Gestalt. Schalte es nicht aus, sondern nutze es. Andere haben das nicht und klettern trotzdem scheinbar glatte Felswände hoch. Dein Problem ist, dass du Angst hast, herab zu fallen. Das ist ganz normal. Diese Angst macht dich aber blind. Du siehst die Möglichkeiten nicht. Natürlich gehört Übung auch dazu. Ohne die nötige Kraft, das nötige Gefühl dafür, kommst du selbstverständlich keine Wand hoch. Aber du musst auch sehen können. Du musst sehen können, wo die winzigen Unebenheiten sind, die deinen Weg nach oben bilden. Auch das ist eine Frage der Übung. Das Wichtigste jedoch ist, dass du mit dir selbst im Einklang stehst. Nur dann kannst du dich in deine Umgebung hineinversetzen. Eins werden mit ihr.“

   „Kannst du mir das beibringen?“

   „Ja.“

   „Das wäre toll. Wann geht’s los?“

   „Jetzt.“

   „Jetzt?“, nun war Link wirklich perplex.

   „Ja, jetzt. Wenn du nicht in zwei Wochen durch einen Sturz von hier sterben willst, jetzt.“

   „Oh. Und – was – machen wir?“

   „Wir beobachten.“

   „Das hab ich die letzte halbe Stunde lang getan, oder so.“

   „Es waren siebenundzwanzig Minuten, bis ich dich angesprochen hab.“, sie richtete den Blick wieder auf den Platz.

   „Oh. Warte – woher weißt du – “

   „Die Sonne.“

   „Du hast – die Sonne beobachtet und festgestellt, dass ich – ?“

   „Nein.“, kicherte sie. „Ich bin nicht Kafei.“, sie holte eine kleine, sehr exakte Sonnenuhr hervor. „Der könnte das. Aber er empfindet es nicht für wichtig. Also? Was hast du gesehen?“

   „Eine ganze Menge.“, überlegte Link.

   „Sieh mich an und sag mir, welche Farbe das Wasser im Bach hat.“

   „Es – “, er sah ihr genau in die Augen. „Durchs- nein.“, er schloss kurz die Augen und schüttelte kaum merklich den Kopf. „Nein. Es ist leicht braun verfärbt. Die Erde ist aufgewühlt, weil so viele Leute Wasser holen. Die Sonne lässt es zartgelb glitzern und dazwischen spiegelt sich der Himmel. Aber er ist wegen den Wolken nicht sonderlich blau. Es ist ein dumpfes Hellblau. Und die Mischung mit dem Bachbett – schafft ein bläulich-grünes Graubraun.“

   „Wie kalt ist das Wasser?“

   „Wie kalt?“, stutzte Link.

   „Sieh nicht hinunter. Sag es mir einfach.“

   „An der Quelle ist es kühler als in der Mitte, wo die Sonne es aufgewärmt hat. Beim Wasserfall wird es wieder kühler.“

   „Das ist gut, aber ich hab dich nicht nach der Logik gefragt. Ich will die Tatsache wissen.“

   „Es – ist fast durchgehend kühl. In der Mitte fällt eine kühle Luftströmung hinein, die es abkühlt. Das sieht man am Baum. Und ein Mädchen hat sich die Hände besonders gut trocken gerieben. Sie ist nicht eitel. Ihre Finger sind vom Wasser kalt geworden.“

   „Das ist ein Anfang.“, lächelte Sirileij gequält.

   „Nein. Ist es nicht. Ich hab geraten. Und das Mädchen – es war ein Junge mit langen Haaren.“

   „Nein. Das war ein Mädchen. Und du hast nicht geraten. Lass dich nicht von meinem Ausdruck täuschen. Du bist nicht dumm. Nur kompliziert. Du kannst sehr gut beobachten und verknüpfen. Dein einziges Problem ist, dass du die Antwort kennst, ihr aber keinen Glauben schenkst. Du verunsicherst dich selbst. Und dann beißt du die gedanklich in den Hintern, dass du alle möglichen Arten der Linienführung ausprobiert hast, obwohl du nur die Blätter vor dem Tor wegwehen hättest müssen. Das Zeichen, das die Pfeiler ergeben, war die klar. Aber du hast zu kompliziert gedacht. Als du die Lösung entdeckt hast, hast du dir nur auf den Kopf gegriffen, weil dir bewusst geworden ist, dass du die Lösung gewusst hast, aber zu naiv warst, sie auszuprobieren. Du hast dir selbst nicht geglaubt. Du hast deine Intuition ignoriert. Und das ist sehr töricht, wenn man bedenkt, wie gut deine Intuition ist.“

   „Du stöberst aber nicht in allem herum, oder?“

   „Könntest du mich aufhalten?“

   „Nein.“

   „Du wirst es können.“

   „Was?“

   „Ich sollte es dir nicht sagen, aber ich werde es tun. Kafei hat die Ausbildung zum Suro gemacht.“

   „Das war mir klar. Relativ schnell, eigentlich.“

   „Aber er hat dabei nichts gelernt. Gelernt hat er von seiner Mutter. Er war uns allen voraus. Hat sich bescheiden gehalten. Und nach dem Unterricht hat er mit der Gruppe in der wir waren, weitergeübt. Mir hat er sogar noch mehr Zeit geopfert. Wieso, weiß ich nicht. Er kann seine Gedanken verschließen. Es raubt ihm sehr viel Kraft, aber wenn er es will, kann er es. Jedenfalls, sie haben uns erwischt. Es ist verboten, außerhalb des Unterrichts zu üben. Wir waren dumm genug, Kafei gegen Meister Lathiru verteidigen zu wollen. Er ist unheimlich. Und ein ziemlicher Heißläufer. Er trainiert nur die angehenden Meister. Sein Spezialgebiet ist das Gehirn. Telepathie, Telekinese, Gehirnwäsche. Einfach alles was mit Gedanken zu tun hat. Er kann beinahe alles und jeden mit seinen Gedanken kontrollieren, wenn er will.“

   „Wenn du schon so schön `beinahe´ sagst, nehme ich an,“

   „Kafei hat ihn eigentlich nur angesehen. Er hat mir erst danach gesagt, dass Lathiru versucht hat, ihn dazu zu bringen, sich selbst zu foltern, aber damit nicht durchgekommen ist. Dass ihn das nicht fasziniert sondern wütend gemacht hat, haben wir gesehen. Drei weitere Meister mussten einschreiten. Sie mussten ihn vor sich selbst retten. Kafei hat nichts weiter gemacht, als Lathiru’s gedankliche Attacken auf ihn zurück zu projizieren. Er war halb tot als die anderen ihn dazu bringen konnten, aufzuhören, Kafei anzugreifen. An diesem Punkt ist Kafei zusammengebrochen. Aber er ist stark. Er hat sich binnen wenigen Minuten vollkommen erholt. Das kann man natürlich darauf schieben, dass er ein Auserwählter ist. Aber ich denke, da ist noch viel mehr. Er trägt die gestaute Macht von Generationen in sich.“

   „Das hab ich gesehen.“, irgendetwas sagte ihm jedoch, dass er nicht auch nur ansatzweise ermessen konnte was ihre Worte bedeuteten.

   „Er selbst hat lieber mit einem schlechten Ruf weitergelebt als mit der Wahrheit. Er hat nie mit seiner Macht geprahlt. Es war ihm lieber, dass die anderen dachten, er hätte Meister Lathiru aus eigenen Stücken gefoltert. Er wollte das Ansehen des Meisters bewahren. Und die anderen drei wollten ihn sofort in beide Prüfungen schicken.“

   „Was er natürlich nicht wollte, oder?“

   „Nein. Am nächsten Tag ist er dann doch zu beiden angetreten. Er hat mit Bravur bestanden. Angeblich hat er die Aufgaben auf Arten gelöst, die keiner der Meister für möglich gehalten hat. Was immer Rim über diese Prüfungen gesagt hat, er war nur eifersüchtig. Kafei wurde nur nicht zum Meister, weil Meister Aslios, unser Meister, in davon überzeugt hat, dass es ihn töten würde. Kafei braucht die Freiheit. Er braucht ein Leben. Meister Aslios hat ihn davor bewahrt, dass er sich selbst in Ketten legt. Er hat mich weiter heimlich unterrichtet. Auch ich habe schlussendlich die Prüfungen abgelegt und bestanden. Aber letztere habe ich abgelehnt.“, Link nickte.

   „Und jetzt willst du mich unterrichten? Warum?“

   „Kafei sieht mich als eine Freundin. Nur als eine Freundin. Aber für mich ist er mehr. Er hat mir den Wert des Lebens gezeigt, mir klar gemacht, was wirklich zählt.“

   „Und was ist das?“

   „Das kann ich nicht für dich tun. Du musst es für dich selbst herausfinden. Was du bei mir lernst und wie du es weiterführst, ist deine Sache. Im Grunde hast du die Prüfungen zum Suro bereits bestanden. Zwar mithilfe einiger Gegenstände, aber du hast bestanden.“

   „Was? Aber – “

   „All die Schreine – was denkst du, wozu sie gedient haben? Sie stehen auf heiligem Boden. Man kann sich dort nicht teleportieren. Hervorragende Plätze für Prüfungen. Oder warum denkst du, bist du auf so viele verschiedene Rätsel und Fallen gestoßen?“

   „Das sind Prüfungshallen?“, hauchte Link, nicht glaubend, was er da hörte.

   „Natürlich werden dort auch einige, heilige Gegenstände aufbewahrt, aber die meisten waren immer schon als Prüfungshallen konzipiert.“

   „Aber warum finden sich dann so viele Ornamente und Symbole in ihnen?“

   „Um wenigstens daran zu erinnern, dass der Boden darunter heilig ist und dass man diese Hallen mit Ehrfurcht betreten sollte. Es gibt nur wenige Teile der Prüfungen, die hier im Schloss abgehalten werden.“

   „Und die wären?“

   „Normalerweise müsste ich darüber schweigen. Aber egal. Eine davon behandelt das Teleportieren.“

   „Interessant.“, überlegte Link. „Dann ist das Schloss ja gar nicht sicher.“

   „Oh das ist es. Es gibt einen Bann. Er kann nur vom amtierenden König verändert werden. Der König entscheidet, wer sich ins Schloss teleportieren kann. Kafei findet es nur gemein, dass das nicht innerhalb des Schlosses funktioniert. Ist man einmal mit Erlaubnis drin, kann man sich in jeden beliebigen Raum teleportieren. Außer in den Keller. Unterirdische Bereiche des Schlosses verlangen nach einer zusätzlichen Genehmigung.“

   „Wie lange bleibt der Bann aufrecht? Ich meine, so lange bis der nächste König den Thron besteigt?“

   „In der Regel, ja. Es ist der Nachfolger, der den Bann mithilfe der Hohepriester erneuern muss. Das geschieht kurz nach der Krönung. Deshalb ist es sehr heikel, wenn ein König stirbt, ohne dass sein Nachfolger gekrönt wurde. In dieser Zeit ist das Schloss ungeschützt.“

   „Deshalb konnten sich die Garo nach Igos’ Tod hier einnisten.“

   „Sie waren hier?“, fragte Sirileij erstaunt. „Das wusste ich gar nicht.“

   „Ein paar waren hier. Aber sie waren nicht viel lebendiger als alles andere in Ikana zu dieser Zeit.“

   „Weißt du, wer die Garo waren?“

   „Feinde des Königs, oder?“

   „Ja. Sie waren Suro. Viele der besten haben sich dieser Gruppe von Verrätern angeschlossen. Ihr Name bedeutet nichts anderes als Schatten. Sie waren ständig gegen den König. Bereits König Ikan selbst hatte mit ihnen seine Not. Diese Schmarotzer waren seither immer da. Sie waren gegen das Großreich Ikana. Sie wollten ein autonomes Volk, das über sich selbst bestimmte. Auch waren sie sehr für Rassentrennung. Die `Reinheit´ des Blutes war für sie oberstes Gebot. Das hat sie auch vor direkter Innzucht nicht zurückschrecken lassen. Anders als bei anderen Rassen, bei denen Innzucht zu Missbildungen führen kann, macht sie uns Shiekah stark. Die Vermischung von gleichen oder ähnlichen Genen verstärkt herausragende Fähigkeiten. So haben sich die Garo ihre Meisterkrieger gezüchtet. Sie haben beobachtet, wer worin gut war und gezielt Begabte miteinander gekreuzt. Um Liebe ist es da nie wirklich gegangen.“

   „Das ist krank.“

   „Ist es. Aber sie sahen das als beste Möglichkeit, das Königshaus zu stürzen. Zwar haben sie immer wieder Mordversuche unternommen, aber diese konnten so gut wie immer verhindert werden.“

   „So gut wie immer?“

   „Igos. Beide von ihnen. Auch der Vater des letzten Königs wurde von den Garo getötet. Sein Sohn hat ihnen das nie verziehen. Er hat sie gejagt. Er hat auch nicht vor Kindern zurückgeschreckt, wenn sie die Meinung ihrer Eltern vertreten haben. Er hat sie alle abgeschlachtet. Persönlich. Nur wenige konnten sich verstecken. Und gegen die Anführer war er machtlos. Aber nur, weil er keinen Krieg wollte. Er stand sich sozusagen selbst auf seinem blutigen Feldzug im Weg. Und dann ist etwas passiert, mit dem er nicht gerechnet hat. Lange hat er ihnen vorgeworfen, dass sie es nun auf diese Weise versuchten. Dass sie nun beschlossen hatten, das Königshaus zu unterwandern, indem sie ihm einen gemeinsamen Erben unterjubeln wollten. Aber Dotour war anders. Er hat die Einstellung seiner Vorfahren verabscheut.“

   „Dotour ist ein Garo?“, platzte es aus Link.

   „Wie viel weißt du eigentlich über die Familie, die du die deine nennst?“, raunte sie.

   „Natürlich! Termin! Er – er hat das Königreich gespaltet!“

   „Also doch. Und ich dachte schon, ich müsste mit dem Schlimmsten rechnen.“, kicherte sie verhalten.

   „Und – die Rassen haben sich endgültig getrennt.“, hauchte Link, den Blick wieder auf den Bach richtend.

   „Ja. Was dachtest du, wie die Hylianer die Überhand in Termina gewonnen haben, obwohl sie von einem Shiekah regiert werden?“

   „Igos hat sie alle getötet.“

   „Ja. Gar nicht vorzustellen, welche Panik ausgebrochen sein muss, wenn er in der Stadt aufgetaucht ist. Ich war zwar noch ein kleines Kind, aber einmal war ich dabei. Meine Eltern waren mit den Maranóshu befreundet. Zwar nicht in jeder Hinsicht, aber gut genug, dass wir manchmal in der Stadt waren. Sie waren gerade im Rathaus, als er dort hin wollte. Ich habe davor mit ein paar anderen Kindern gespielt. Dotour muss die Panik der Bewohner gehört haben und ist rausgekommen. Es war ein heftiger Streit. Kurz bevor Igos handgreiflich geworden ist, ist Ajrini dazwischen gekommen. Sie war im dritten Monat schwanger, aber die Aufregung war ihr egal. Sie ist ein anderes Programm gefahren als Dotour. Ich weiß nur noch, dass er sie Blutsverräterin genannt hat. Ihre Antwort, an die ich mich sehr wohl erinnere, war, `Im Gegensatz zu dir habe ich es geschafft, dass das Königshaus von Ikana einen Erben hat. Wenn du deinen einzigen Nachfolger töten willst, nur zu.´“

   „Was?“, zischte Link.

   „Ja, er wäre nicht davor zurück geschreckt, seine schwangere Großnichte zu töten. Aber sie hatte mehr Einfluss auf ihn, als es ihm lieb war. Er hat sie nur angesehen und ist gegangen. Dotour hat mir gesagt, dass sie bis zu Kafei’s Geburt kein Wort mehr miteinander gesprochen haben. Aber nach der Geburt sei er gekommen, habe sich bei ihr entschuldigt und ihr alle Unterstützung zugesagt, die er aufbringen konnte. Dotour hat ihm angeblich daraufhin gesagt, dass wenn er Ikana wieder vereinen wollte, ihm ohnehin keine andere Wahl bleiben würde. Dass es auf ihn ankommen würde, welchen Weg er, Dotour, einschlagen würde, sobald er in die Fußstapfen seines Vaters getreten war. Leider hat ein weiterer Garo, Urol, die Wiedervereinigung vereitelt, indem er sein eigenes Land ausgerottet hat.“

   „Und Kafei versucht wieder zu flicken, was sein Urgroßvater zerrissen hat.“

   „So ist es.“

   „Also gibt es noch einen anderen Grund als den, den Anju mir genannt hat.“, Sirileij untersuchte kurz seine Gedanken.

   „Anju ist das wahre Ausmaß dieser Sache nicht wirklich bewusst. Aber langsam sollte sie daran arbeiten. Schließlich ist es auch ihr Land.“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Und wieder. Diesmal war er klug genug gewesen, den Mund zu zu machen und durch die Nase auszuatmen. Es war mehr als anstrengend, sich ständig aus einem Sandhaufen heraus zu quälen.

 

   „Du hörst mir nicht zu.“, sagte Sirileij kalt, als er endlich stand.

   „Ja, ja. Ich bin Sand und der Sand ist ein Teil von mir. Ich kann mich von ihm abstoßen. Au!“, sie hatte ihm eine Ohrfeige verpasst.

   „Das hat dir nicht weh getan.“, entgegnete sie knapp.

   „Nein.“, überlegte Link und bekam noch eine.

   „He! Ich versuch’s doch!“

   „Tust du nicht. Du hörst mir nicht richtig zu.

   „Ich bin Sand und der Sand ist ein Teil von mir!“, fauchte er. „Ich hab’s ka-“

 

   Diesmal war er schneller. Er fing ihre Hand in der Luft ab und drehte ihr den Arm um. Sie jedoch wand sich ohne Mühe aus seinem Griff und stieß ihn an der Schulter mit der flachen linken Hand wieder in den Sandhaufen. In diesem Moment klickte es wohl bei ihm. Rückwärtssalti ohne Anlauf waren nie wirklich ein Problem gewesen. Aber auf Sand war er so gut wie immer gescheitert. Bis jetzt hatte sie ihn auf Gelenkigkeit trainiert. Und nun machte er es sich erstmals zu Nutze. Den Schwung den sie ihm mitgegeben hatte, führte er weiter, schlug seine Arme über den Kopf und ließ den Schwung so durch seinen Körper wandern, dass er in dem Moment als der Schwung seine Beine vom Boden löste, mit den Handflächen sanft auf den Sandkörnern landete, von welchen er sich so schnell abstieß, dass sie fast wie fester Boden reagierten. Bevor der Schwung seine Füße verlassen konnte, wandelte er ihn erneut zu seinen Gunsten um. Er nahm ihn mit seinen Beinen mit und ließ sich diese von ihm wieder nach unten ziehen.

   Der zweite Rückwärtsüberschlag vom Sandhaufen herunter war nur noch ein Kinderspiel und er bremste sich dahinter ab, als wäre nie etwas geschehen. Eigentlich wollte er stolz auf sich sein, aber er war es nicht. Es kam ihm vor, als hätte er solche Dinge schon immer gekonnt, war aber nur zu faul gewesen, sie auch wirklich konsequent zu machen. Er sah sie an, aber nichts passierte. Sirileij blickte nur zurück. Dann nickte sie ein einziges Mal, wünschte ihm eine gute Nacht und verschwand.

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Er schnarchte. Er hatte noch nie geschnarcht. Nein. Link ging zur Tür und lauschte. Die beiden schliefen still wie eh. Das Schnarchen kam von wo anders. Bei dieser Lautstärke musste er sich nicht einmal bemühen, leise zu gehen. Das Schnarchen wurde lauter. Schlussendlich stand er vor einem der Gästezimmer. Er drückte die Schnalle herunter und tatsächlich bewegte sich die Tür. Sogleich dröhnte es wesentlich lauter. Von den Fackeln des Platzes beleuchtet, lag die große Gestalt da. Doch etwas anderes mischte sich unter das grauenvolle Grölen. Blitzschnell drehte er sich um und fand eine erschrockene Anju in der Tür.

 

   „Oh.“, seufzte sie. „Du hast ihn gefunden. Im Gasthof war wegen dem Handwerksmarkt kein Platz mehr. Ich musste ihn hier hinein verlegen. Glaub mir. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich den Mund gehalten. Kommst du?“

   „Gleich. Ich geh mich nur noch waschen.“

   „In Ordnung.“, gähnte Anju und watschelte davon.

 

   Er hörte sie die Tür öffnen und wieder schließen. Zurück blieb wieder das monströse Schnarchen des Goronen. Nachdenklich drehte er sich zu ihm und beobachtete, wie die Kugel anschwoll und wieder abnahm. Ein Flüstern riss ihn aus seinen Gedanken. Er war sich nicht ganz sicher, welcher Teil von ihm, ihm in den Kopf geflüstert hatte.

 

   „Klopf ihm auf den Rücken.“

   „Was?“, sagte er unabsichtlich laut.

   „Klopf ihm auf den Rücken. Dann hört es auf. Mach es ruhig fest.“

 

   Nicht wissend was er davon halten sollte, tat er es trotzdem. Und es wirkte. Augenblicklich war es still.

 

   „Endlich!“, hörte er dumpf Kafei seufzen.

   „Interessant.“, flüsterte er zu sich selbst und zog eine Augenbrauen hoch.

   „In der Tat.“

 

   Da war das andere Flüstern wieder. So rasch wie er sich zu Anju umgedreht hatte, tat er es auch jetzt. Im Schatten der Ecke rechts von ihm stand jemand. Etwa in seiner Größe, schlank, Suro-Uniform. Zuerst hatte er geglaubt, es wäre Sirileij. Doch hätte sie sich verhüllt? Dann entdeckte er die blonden Haarbüschel. Langsam kam ihm auch das wenige Sichtbare an Gesicht bekannt vor. Er musste einfach lachen. Zwar tat er es leise, aber kopfschüttelnd und die Hände in die Hüften stemmend.

 

   „Wie naiv bist du eigentlich?“, die roten Augen weiteten sich. „Wenn du es für dich behalten hättest, wäre ich dir jetzt um den Hals gefallen. Aber so ist es einfach nur naiv.“, die Augen wurden um noch ein Stück größer. „Wie oft muss ich dir sagen, dass ich Kafei liebe? Diese Verkleidung hilft dir auch nichts mehr. Außerdem bist und bleibst du eine Frau.“

   „Ich bin keine Frau!“, das Zischen der Stimme wirkte doch sehr überzeugend männlich.

   „Ich bitte dich.“, fauchte Link zurück und ließ die Arme sinken.

   „Ich glaube, du verwechselst mich gerade mit jemandem.“, die Arme verschränkend, sah er Link kalt an. „Das Weib muss dir ja ganz schön auf die Nerven gehen, wenn du mich so anfauchst.“

   „Hör auf damit, ja?“, er ging zu ihm und zog ihm den Schal vom Mund.

   „Und? Was wird das jetzt?“, gluckste er angesichts Link’s Blickes.

   „Du – “, hauchte er nur.

   „Ja?“

   „Verdammt. Du bist ja wirklich ein Mann.“

   „Hab ich dir doch gesagt, oder?“, sein Tonfall hätte nicht gelangweilter sein können.

   „Aber du siehst ihr so ähnlich – zum Verwechseln ähnlich.“

   „Offenbar ja. Auch wenn ich nicht weiß, wen du meinst.“

   „Wie heißt du?“

   „Das tut nichts zur Sache.“

   „Wie heißt du?“, wiederholte Link fordernder.

   „Ich hab gesagt, das geht dich nichts an.“

   „Hast du eine Schwester?“, drängte Link weiter.

   „Ich bin ein Einzelkind.“, sein Ton wurde immer wütender.

   „Wer sind deine Eltern?“, seine Augen bohrten sich in die des Shiekah.

   „Ich habe sie nie gekannt. Mir wurde gesagt, dass meine Mutter bei meiner Geburt gestorben ist und dass mein Vater sie kurz davor verlassen hatte.“

   „Und dass du zur Hälfte Hylianer bist?“

   „Woher weißt du das?“, sämtliche Kälte war verschwunden.

   „Reine Vermutung. Was machst du hier?“, der Gorone begann wieder zu schnarchen.

   „Ihn beobachten.“

   „Wen? Den Goronen?“

   „Ja.“

   „Was ist an ihm so wichtig, dass ein Suro ihn bewachen muss?“

   „Ich sagte, beobachten. Nicht bewachen, beobachten. Er trägt etwas bei sich, das nicht in falsche Hände geraten darf. Er weiß nicht, von welchem Wert es ist. Ich habe nur die Aufgabe, es im Auge zu behalten und zu beobachten, wo er es hinträgt.“

   „Und was?“

   „Du schuldest mir etwas.“

   „Wofür? Und was?“

   „Dafür dass du so viel fragst. Und – “, er nickte zum Bett.

   „Schon gut.“, fauchte Link, ging hinüber und schlug dem Goronen wieder auf den Rücken. „Und? Was trägt er nun bei sich?“

   „Was trägt wer bei sich?“, die Ecke war leer, stattdessen stand Kafei halb nackt, verschlafen und mit Link’s Schlafanzug auf dem Arm in der Tür. „Mit wem redest du?“, Link sah noch einmal genauer in die Ecke und wieder zu Kafei. „Was ist dort?“, auch er warf einen kurzen Blick in die Ecke. „Oder – was war – dort – Link? Alles in Ordnung? Du siehst ziemlich fertig aus. Hast du einen Geist gesehen?“

   „Ich – weiß nicht – er – war – er war echt – nein – doch – keine Ahnung – ich – “, er wurde mit jedem Wort verzweifelter.

   „Der Geist?“

   „Es war kein Geist – es war – Shiek – nur – wirklich ein Mann – ich hab ihn zuerst beschimpft, weil ich dachte, es wäre Zelda – aber dann – “

   „Es ist mitten in der Nacht. Komm ins Bett.“

   „Ja – ich – ich geh mich nur – schnell waschen – “, überlegte er. „Du glaubst mir doch – oder?“

   „Ja. Ich glaube, dass du das gesehen hast. Aber du bist müde. Du selbst solltest nicht so viel Glauben hineinstecken.“, er ging auf Link zu und nahm ihn an der Hand. „Ich komm mit ins Bad.“, er strich ihm kurz über die Wange. „Damit dir nicht noch ein Gespenst erscheint.“

 

   Behutsam zog er ihn aus dem Zimmer und schloss die Tür. Im Badezimmer angekommen, begann er Link auszuziehen. Dieser ließ es, in Gedanken verloren, an sich vorbeigehen. Erst als Kafei ihn küsste, war er mit seinen Gedanken wieder fast dort wo er stand. Jedoch noch immer nicht ganz. Kafei nahm ihn erneut an der Hand und führte ihn zur Dusche. Er stellte Link hinein, hielt ihm die Hand auf den Mund und drehte das Kaltwasser kurz ganz auf. Durch seine Hand wurde Link’s spitzer Schrei leicht gedämpft.

 

   „Spinnst du?“, jammerte er.

   „Munter?“

   „Ja.“, hauchte Link.

   „Tut mir leid. Ich wollte nur nicht, dass dich etwas die ganze Nacht hindurch beschäftigt, das du im Halbschlaf gesehen hast.“, er stieg nun selbst in die Dusche, zog den Vorhang hinter ich zu und drückte Link sanft gegen die kalten Fliesen.

   „Was hast du vor?“, murmelte Link mit geschlossenen Augen zwischen Kafei’s Lippen hindurch, doch dieser drehte nur magisch beide Ventile auf, so dass das Wasser lauwarm auf sie herabplätscherte. „Du hast deine Pyjamahose an.“, stellte Link fest, als Kafei ihm übers linke Ohr leckte.

   „Dann zieh sie mir aus, wenn du kannst.“, flüsterte er ihm hinein und drückte sich gegen ihn.

 

   Auf der Hinterseite ging es, doch vorne erwies es sich als durchaus schwierig, vor allem da nun Kafei’s rechte Hand auf seinen Hintern wanderte und den wenigen Spielraum in ihren Körpermitten fast gänzlich vernichtete. Spielend trafen sich ihre Zungen, einen verführerischen Reigen tanzend, während das lauwarme Wasser sanft auf diese Bewegungen traf. Link wollte gerade erneut versuchen, Kafei die Hose auszuziehen, als er bemerkte, wohin einer von Kafei’s Fingern wanderte.

   Mit jeder von Kafei’s feinen Berührungen wurde Link’s Atem flacher und er befürchtete, sich am Wasser zu verschlucken. Aber Kafei wusste Link’s Stöhnen im richtigen Moment durch das Zusammenführen ihrer Lippen zu unterbinden. Link wollte sich mit beiden Händen in Kafei’s Haare krallen, jedoch gelang es ihm nur mit einer. Die andere wurde von Kafei am Hosenbund zurückgehalten und langsam mit diesem nach unten gedrängt. Das Gefühl des nassen Stoffs der zwischen ihnen herausgezogen wurds, ließ sie fast platzen. Vorsichtig drehte er Link herum. Erst jetzt ersetzte er seinen Finger durch etwas anderes.

 

   Ein kindisches Lächeln auf den Lippen, der Raumdecke über dem Bett zugewandt, spürte Anju eine leichte Wärme in ihr Gesicht steigen. Sie presste ihre Lippen zusammen, nur hoffend, dass die Kinder nicht wach wurden – oder gar schon waren. Aber immerhin kannten sie solche Geräusche inzwischen.

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   „Es tut mir so leid.“, seufzte Link zu seinem Obstkuchen, stach ein Stück ab und schob es in den Mund.

   „Was?“, gluckste Kafei. „Du entschuldigst dich schon bei deinem Kuchen, dass du ihn isst? Ich wusste gar nicht, dass wir so einen Einfluss auf dich haben.“

   „Idiot.“, fauchte Link zurück. „Ich hab mit dir geredet.“

   „Oh.“, kicherte Kafei verlegen. „Was tut dir leid?“

   „Ich krieg ihn einfach nicht aus dem Kopf.“

   „Ja. Ich hör ihn auch noch immer schnarchen.“

   „Mach dich nicht immer über mich lustig. Und du auch nicht.“, murrte er, als Anju sich kichernd Nachschub holte. „Ich mein es ernst. Er war da!“

   „Ich weiß.“, meinte sie. „Ich hab ihn gehört.“

   „Es reicht, ja?“

 

   „Schon gut.“, beruhigte Kafei ihn lächelnd – dass dieses Lächeln schon reichte, dachte Link. „Ich weiß. Zelda hat dir dein Leben versaut. Immerhin hast du dich, wenn es dir auch nicht klar war, in diesen Shiek verknallt. Und dann steht er dir plötzlich gegenüber und ist keine Frau mehr. Ich bewundere dich, weißt du? An deiner Stelle hätte ich ihn ohne Umschweife geküsst.“

   „Ja, ja.“, raunte Link.

   „Hast du Zelda wenigstens schon davon berichtet?“

   „Das ist jetzt zwei Monate her. Ich hab den Typ weder wieder gesehen, noch weiß ich, was genau der Gorone bei sich hatte, dass dieser Suro ihn beobachten musste.“, zählte er energisch auf. „Geschweige, dass ich mir völlig sicher bin, ob er überhaupt real war.“, fügte er dumpf hinzu. „Zelda’s Mutter wurde ermordet. Ja, sie war noch sehr klein. Vielleicht haben sie es verdrängt. Vielleicht gab es bei der Geburt geplante Komplikationen. Vielleicht hat die Hebamme das Kind schon vor der Geburt an eine andere Frau verkauft und Zelda’s Mutter gesagt, die Geburt hätte es so geschwächt, dass es in der folgenden Nacht gestorben ist und sie es sofort begraben hat. Stattdessen hat sie es gestohlen.“

   „Vielleicht hat er ihr einfach nur ähnlich gesehen.“, seufzte Anju.

   „Dafür hat er ihr viel zu ähnlich gesehen.“

   „Und wenn es nun doch Einbildung war?“

   „Ja. So lange er nicht wieder auftaucht, werden wir es nie erfahren.“, schüttelte Link den Kopf. „Die einzigen die noch davon wissen hätte können, sind für uns unerreichbar. Zelda’s Vater ist auch tot und Impa ist in einer anderen Paralleleb-e-n-e-“, eine Stimme tauchte in seinem Kopf auf, nur die Erinnerung daran. „Raffler! Er hat doch gesagt, er hätte Zelda unterrich-tet. Oh. Naja. Ich glaube auch kaum, dass ein König dem Lehrer seiner Tochter von einem verstorbenen Zwillingsbruder erzählen würde.“, deutete er Kafei’s spontanen Blick richtig.

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Es war noch immer da. Und noch immer hatte er es ihr nicht gesagt. So oft es ihm möglich gewesen war, hatte er sich unsichtbar zur Hyliabrücke teleportiert und es angesehen. Verändert hatte es sich nicht. Inzwischen waren fast drei Monate vergangen, seit er es entdeckt hatte. Was Zelda von ihm wollte, war ihm noch immer nicht klar. Er war nicht so dreist, ihre Gedanken zu lesen. Jedoch hatte es bewirkt, dass seine Gefühle für sie stetig gewachsen waren. Er wusste nur nicht, wie er ihr das beibringen sollte. Vermutlich wusste sie es sogar schon und sagte nur nichts.

   Langsam wurde es ihm zu heiß am Kopf und er wechselte die Bank. Die sommerliche Mittagssonne knallte regelrecht in den Schlossgarten. Einige Leute schlenderten im Garten umher. Niemand beachtete ihn. Es war wirklich ein heißer Sommer. Der Garten trocknete immer mehr aus und der Freizeitpark am Hyliasee war täglich überrannt. Die Massen standen immer bis zur Brücke hinauf an. Einige wagemutige Vollidioten waren immer wieder direkt von der Brücke gesprungen. Einer von ihnen hatte sich überschätzt und war dabei gerade noch mit dem Leben davongekommen. Jedoch war er nun querschnittsgelähmt. Seitdem patrouillierten Wachen auf der Brücke, Tag und Nacht, da es auch in der Nacht warm genug zum Schwimmen war.

   Dieses Getümmel war nichts für ihn. Er bevorzugte das Becken nördlich der Stadt. Dort war er zumindest in der Nacht ungestört. Es gab nichts Schöneres, als im Mondlicht zu schwimmen. Und nichts Dümmeres als sich in Gedanken zu verlieren, wenn man ein Buch las. So hatte er die Seite nun schon zum vierten Mal gelesen. Seufzend blickte er umher. Er wollte das Buch schon zuklappen und sich ebenfalls ein bisschen bewegen, als ihm auffiel, dass er nun vollkommen alleine war. Bis auf – er fiel fast vor Schreck von der Bank herunter. Er hatte sie überhaupt nicht bemerkt.

 

   „Es tut mir leid. Ist alles in Ordnung?“, jammerte Zelda, die, wenn sie saß, fast gleich groß war wie Vaati.

   „Geht schon.“

   „Sicher?“

   „Ja.“

   „Was liest du da?“, er reichte ihr das Buch. „`Die besten Obstkuchen in ganz Holodrum´? Willst du backen lernen?“

   „Nein. Es war unter den Büchern in meinem Zimmer. Ich habe mich auch nur gewundert und angefangen, es zu lesen, falls irgendwelche geheimen Botschaften darin sein sollten.“

   „Willst du damit sagen, Impa hatte ein Buch über Obstkuchen?“

   „Sieht so aus. Deshalb dachte ich ja, sie hat es vielleicht als Versteck für irgendetwas benützt. Aber bis jetzt ist mir nichts Merkwürdiges aufgefallen. Außer dass die kulinarischen Ansprüche in Holodrum absolut grauenhaft sind.“

   „Das hat mir Link auch schon erzählt.“, lachte Zelda.

   „Gerade noch sind hier Leute spaziert. Jetzt sind wir alleine. Kannst du dir einen Reim darauf machen?“

   „Die sind vermutlich alle nach Hause gegangen, um zu Mittag zu essen. Ich habe mich übrigens für das Mittagessen abgemeldet. Bei diesen Temperaturen habe ich immer so gut wie keinen Hunger.“

   „Geht mir genau so. Und nach den letzten beiden Rezepten ist es ein Wunder, wenn einem nicht der Appetit vergeht. Außer natürlich, man ist aus Holodrum.“, beide konnten nicht vermeiden, zu lachen. „Du – du hast da ein Blatt in den Haaren.“

   „Was? Wo?“, er nahm es weg.

   „Oh. Danke. Die Bäume bekommen auch immer weniger Wasser. Aber diese Wolken scheinen es ihnen bringen zu wollen.“

   „Wolken?“

 

   Er hatte nicht einmal bemerkt, dass die Sonne nicht hinter den Blättern des Baumes, sondern hinter dicken grauen Wolken verschwunden war. Diese Front hatte er überhaupt nicht kommen sehen. Auch war die Temperatur nicht wirklich abgesunken. Es blitzte. Der Donner ließ nicht lange auf sich warten.

 

   „Meine Güte! Ich habe schon fast vergessen, wie schnell ein Sommergewitter auftauchen kann.“, seufzte Zelda.

 

   Sie machte aber keine Anstalten, den doch sehr gefährlichen Platz unter dem Baum zu verlassen. Nötig war es auch nicht mehr. Es donnerte noch ein weiteres Mal. Dann prasselte der Platzregen auf sie nieder. Zelda seufzte erneut und sah Vaati kurz an, der binnen Sekunden nicht minder klitschnass war wie sie. Sie begann langsam zu kichern. Auch Vaati konnte nicht umhin, einzusteigen. Er hatte das Buch gerade noch in seinem Medaillon verstauen können, bevor es den Wassermassen zum Opfer gefallen wäre. Als er kurz hoch ins karge Blätterdach blickte, spürte er etwas an den Haaren, die ihm bereits im Gesicht klebten. Es war Zelda’s Hand, die sie hinter sein Ohr strich. Er drehte den Kopf leicht zu ihr und bemerkte, wie nah ihr Gesicht dem seinen war. Ihre Nasen berührten sich fast. Dann ganz. Der nächste Donner verfehlte seine Wirkung. Auch der übernächste. Nichts konnte die beiden erschrecken.

 

 

~o~0~O~0~o~

 

 

   Es war ungewohnt. Wenn er traurig gewesen war, hatte er sich an Ezelo gekuschelt. Wenn ihm in der Höhle oder dem Schloss kalt gewesen war, hatte Onnoru seine Arme um ihn gelegt, um ihn zu wärmen. Doch nun lag eine junge Frau in seinen Armen, die das ganz und gar wollte. Sie war eine Prinzessin, er nur ein glückloser, geächteter Magier. Er hatte ihr schreckliche Dinge angetan und doch hatte sie ihm verziehen und sich in ihn verliebt. Jemand lag in seinen Armen. Er hatte stets allen das Gefühl von Sicherheit genommen. Gewollt und ungewollt. Doch nun war da jemand. Er gab dieser Person Sicherheit, ohne zu wissen, wie er das tat. Er war doch nur. Sie schlief bereits, mit einem glücklichen Lächeln auf ihren zarten Lippen. Er fühlte sich bei ihr wohl. Doch konnte sich sein Glück nicht ganz entfalten. Es war so neu für ihn, dass es ihn davon abhielt, genau so glücklich einzuschlafen wie sie.

   Sie hatte auf ihr rosa Prachtgemach, auf ihr kleines Idyll verzichtet, um bei ihm zu sein. Weil es Impa’s altes Zimmer war? Nein. Dafür lächelte sie zu sehr. Weil sie ihm das ganze Rosa ersparen wollte? Womöglich. Seine Gedanken drehten sich wild umher. Maljema-Sanduni-Sahne-Roulade. Zum Kotzen. Er versuchte an Erdbeeren zu denken. Keine Chance. Sein Gehirn regenerierte den bitteren Geschmack der Sanduni-Nüsse auf seiner Zunge. Und dann waren sie auch noch ganz zu verwenden. Nicht einmal ein Wasserglas hatte er auf seinem Nachttisch, um die Illusion herunterzuspülen.

   Zelda’s zarte Finger wanderten höher und legten sich auf seine Schulter. Und das schleimige, viel zu gezuckerte Gelee der Maljemas. Er richtete den rechten Arm gen Schreibtisch und fing das Kochbuch behände auf. Es musste doch irgendetwas Genießbares darin stehen. Irgendwie schaffte er es, mit dem Daumen zu blättern. Weit kam er jedoch nicht. Zwischen den letzten Seiten des Buches rutschte ein Stück Pergament heraus. Es wirkte sehr alt. Neugierig legte er das Backbuch auf den Nachttisch und zog den Zettel so vorsichtig er konnte heraus. Der Brief musste schon mehrmals gefaltet worden sein, da die Faltkanten spröde waren. Auch die Schrift bestätigte sein Alter.

 

   `Meine teureste Königliche Hoheit, ich habe versagt. Ich schäme mich zutiefst. Eine unerträgliche Schmach. Hyrule vermochte ich vor dem Bösen zu erretten, doch eine Waffe in einer Truhe zu verteidigen, lag nicht in meiner Macht. Dabei ward er so jung – fast noch ein Kinde! Ein junger Bursche in grünem Gewande, eher schmächtig, doch so geschickt mit dem Schwerte wie ich es noch nie zuvor erblicken hatte dürfen. Ich verstehe dies nicht. Er kämpfte wie ich – er wandte Techniken an, die ich von niemandem erlernte und auch niemandem lehrte. Sein Schwert – ich glaube, die Waffe erkannt zu haben. Zwar weiß ich nicht, ob mich nicht meine Augen übel täuschten, doch sagen sie mir, es war das Große Schwert gewesen, ein Meister unter seinesgleichen und unverkennbar. Zumindest für mich, da auch ich es in meiner Hand hielt, als ich gegen ihn kämpfte. Er selbst wirkte gesegnet, ein einsamer Wolf wie ich. Doch die Göttinnen segnen nie mehr als Dreie an der Zahl. Auch wüsst ich nicht, wie man eines der Heiligen Schwerter so in Aussehen und Kraft imitieren könnte, noch dazu, wo ich es lange nicht mehr aus den Augen gelassen habe und auch damals die Göttinnen darüber wachten. Ich weiß keinen Rat. Dennoch ist der Stab verschwunden. Er zerschmetterte meine Rüstung als wäre sie aus Glas, schlug mich zu Boden und war mit dem Stab in alle Winde. Zwar schien er auf mich nicht, als habe er Böses mit dem Stab´

 

   Hier endete die Seite. Vaati drehte das Blatt um, doch die Rückseite war leer. Der Rest des Briefes fehlte. Wieder und wieder las er den Brief durch. Er hatte einmal von drei mächtigen Stäben gehört. Uralte Relikte, die verschwunden seien. Konnte es sich dabei um einen dieser Stäbe handeln? `Ein junger Mann in grünem Gewande´ – `geschickt mit dem Schwerte´ – `eines der Heiligen Schwerter´– das klang mehr als eindeutig nach Link. So bedacht wie nur möglich legte er den Brief auf das Buch und versuchte Zelda von sich herunterzubekommen. Zwar dauerte es eine Weile, aber er schaffte es, sie nicht aufzuwecken.

   Leise trug er den Brief zum Schreibtisch, rückte ihn im einfallenden Mondlicht zurecht, beschwerte ihn mit kleinen Gegenständen an den Ecken, holte seinen Photoapparat heraus und probierte, mehrere akzeptable Aufnahmen hinzubekommen. Um die Leserlichkeit des Textes zu erhalten, musste er ihn abschnittsweise photographieren. Dann setzte er sich hin, nahm ein Blatt Papier zur Hand, tunkte seine Feder und fing an zu schreiben.

   Der Brief war sehr kurz. Nicht nur, weil ihm momentan die Worte fehlten. Er wollte Link einfach nur wissen lassen, was sich zwischen ihm und Zelda entwickelt hatte und auf was er wie gestoßen war. Zum Glück trocknete die Tinte in der lauen Luft die durch das Fenster hereinkam sehr schnell. Er faltete den Brief, steckte ihn mit den Photographien in ein Kuvert und wollte sich schon hinunter teleportieren. Jedoch konnte er sich gerade noch daran erinnern was er an hatte, holte so leise es die alte Tür zuließ, einen Umhang aus seinem Kleiderschrank und war auch schon in der Eingangshalle.

   Der Portier schlief laut schnarchend mit weit aufgerissenem Mund. Vaati wunderte sich, dass ihm der Kopf noch nicht von der Sessellehne abgetrennt worden war, so theatralisch hing er nach hinten. Etwas entfernt saß ein weiterer Mann auf einem schlichteren Stuhl, die Ohren mit einem Schal zugebunden und las eine Zeitung. Als er Vaati bemerkte, blickte der Kurier fast flehend auf.

 

   „Ich habe einen sehr wichtigen, streng geheimen Brief zu verschicken. Es eilt.“

   „Ich danke Euch von ganzem Herzen.“, seufzte der Kurier, band sich den Schal vom Kopf und rannte mit dem Brief in Richtung Eingang.

   „Äh – warte – der Zielort! Ich habe – “, mit einem Grunzen schrak der Portier hinter ihm auf und sah sich entgeistert nach dem Störenfried um.

   „Ich nehme an, nach Ikana?“, bremste der Kurier ab und drehte sich zu ihm um.

   „Vielleicht. Kann auch sein, dass es Unruhstadt ist. Er geht jedenfalls an Link.“

   „Ich verstehe. Danke.“, erleichtert ließ Vaati die Schultern hängen.

   „Was soll das Geschrei mitten in der Nacht vor meiner Nase?“

   „Was soll das Schnarchen während deiner Schicht? Wenn du müde bist, schreib deine Stunden auf und lass dich ablösen. Ehrlich.“, fauchte Vaati zurück und war wieder auf seinem Zimmer.

   „Wo warst du, Schatz?“, auch das n- hatte sie ihn gerade – ?

   „Ich – habe einen Eilbrief verschicken müssen.“

   „Eilbrief? Mitten in der Nacht?“, gluckste Zelda matt und gähnte mit ungeniert weit aufgerissenem Mund, ohne sich die Hand vor zu halten.

   „Ich konnte wegen diesem dummen Backbuch nicht schlafen. Da wollte ich sehen, ob nicht doch etwas Essbares darin steht. Stattdessen habe ich das hier gefunden.“, er nahm den Brief vom Tisch, kletterte ins Bett und gab ihn ihr. „Ich hatte Recht. Impa hatte etwas versteckt. Kannst du ihn lesen?“

   „Ja. Gerade so.“, sie rieb sich kurz die Augen. „Der muss ja uralt sein. Dieses Siegel hat meine Familie seit mindestens zweihundert Jahren nicht mehr verwendet. Auch die Schrift ist – warte – grün?“

   „Genau.“

   „Ein Stab? Das – das passt – das passt alles zusammen – das – “

   „Ich dachte auch sofort an Link. Aber welcher Stab? Ich habe zwar einmal von drei mächtigen Stäben gehört, aber kann es einer dieser sein?“

   „Ganz sicher sogar. Und zwar der Kopierstab. Das erklärt einfach alles!“

 

 

~o~0~O~0~o~

 

   „Was um alles in der Welt – “, raunte Kafei.

   „Mach doch auf.“, jammerte Anju. „Sonst hört das sicher nie auf.“

   „Ja?“, fragte Kafei laut.

   „Du sollst die Tür aufmachen.“, jammerte Anju erneut. „Sie ist doch abgesperrt.“

   „Ich geh schon.“, seufzte Link.

 

   Er versuchte irgendwie aus dem Bett zu kommen, was schwierig war, weil er sich in der Decke verknotet hatte. Draußen war er dann zwar, allerdings geleitet von der vollen Kraft der Gravitation.

 

   „Link?“, kam es vom Ehepaar.

   „Nichts passiert. Ja! Ich komm ja schon!“, fauchte er, da es schon wieder klopfte. „Was ist denn bitte so wichtig?“, kaum war die Tür offen, konnte er gerade noch den Brief in die Hand nehmen, so schnell wurde er ihm entgegengedrückt. „Für mich?“

   „Ja.“

   „Tz. Danke für die Geduld.“

   „Schon in Ordnung.“, schmunzelte der Kurier und verschwand gemächlich über die Treppe.

   „Faszinierend.“, Link schüttelte den Kopf und wandte sich an Kafei. „Hast du unten nicht abgesperrt?“

   „Keine Ahnung.“, gähnte dieser.

   „Keine Ahnung?“, stutzte Anju. „Ehrlich. Du wirst langsam senil.“

   „Ich bin neunundzwanzig.“

   „Sicher?“

   „Ja. Von wem ist der Brief, Link? Link? Hörst du mich?“

   „Hä?“

   „Ja, du.“

   „Oh. Was?“

   „Von wem ist der Brief?“

   „Er – ist von Vaati. Moment mal – was?“, er starrte wieder auf den Brief. „Ha! Ich bin sie los!“

   „Was, was, was?“, nun war Kafei putzmunter und auch Anju, da er sich abrupt aufgesetzt hatte.

   „Zelda. Sie und Vaati – haben sich geküsst.“

   „Nein!“

   „He! Das ist mein Brief!“, Kafei hatte ihn einfach zu sich schnellen lassen, was Link wieder ins Bett zwang.

   „Nein.“, grinste Anju verschlafen.

   „Und was ist das was du da noch hast?“, fragte Kafei.

   „Irgendwelche Photos – so weit war ich noch nicht.“, die anderen beiden drückten ihre Köpfe an Kafei’s, um den Brief besser lesen zu können.

   „Und was hat er gefunden? Ach ja – die Photos. Da steht’s ja.“, gähnte Anju.

   „Das scheinen Photos von einem weiteren Brief zu sein. Er hat sie sogar nummeriert, damit wir nichts durcheinanderbringen.“, stellte Link fest und sie versuchten, auch diese zu lesen.

   „Klingt irgendwie nach dir.“, gluckste Kafei.

   „Und ob ich das war!“, staunte Link. „Der Stab – der Kopierstab – “

   „Was für ein Teil?“, hauchte Anju.

   „Der Kopierstab.“, wiederholte Kafei. „Es heißt, er war ein Geschenk der Kumulaner an die Königliche Familie von Hyrule. Der König hat seine Macht erkannt und ihn im Zeitschrein aufbewahren lassen. Ursprünglich stammt das Teil ja von uns. Um genau zu sein, von meinem Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßonkel Ilchanji.“, er zählte an den Fingern auf. „Der Bruder von Ikan. Er hat den Zeitschrein erbauen lassen. Die Kumulaner haben die Fallen gegen Eindringlinge entworfen und umgesetzt. Als Dank hat er ihnen einen der drei Stäbe überlassen, mit denen man bestimmte Steinstatuen bewegen konnte. Der zweite Stab war der Zeitenstab. Mit ihm kann man angeblich die Zeit kurz anhalten. Oder vordrehen. Oder zurück. Weiß nicht mehr genau. Der dritte dieser Stäbe war der Weltenstab. Was der bewirkt, hab ich allerdings nirgends erfahren. Warum sie den Kopierstab zurückgeschenkt haben, weiß ich auch nicht. Ich nehme an, du hast ihn?“, Link nickte, öffnete sein Medaillon, holte seine Mütze heraus und zog den Kopierstab aus ihr. „Meine Güte! Wann räumst du die endlich aus?“

   „Klappe.“

   „Und der funktioniert noch?“, fragte Kafei, den Stab wie paralysiert anstarrend.

   „Wieder. Jargo hat seine Macht mit einer kumulanischen Formel erweckt. Sie stand in einem Buch, das ich von einer Shiekah bekommen habe. Sie durfte es nur einem `königlichen Herold´ mit einem Stab übergeben. Warte – ja – das ergibt Sinn. Da war dieser Geisterritter. Er hat mir einige Schwerttechniken beigebracht. Schaut, was dieser Wächter hier schreibt. Er – hat mir diese Techniken nur beigebracht, weil er mich erkannt hat! Er hat nach all dieser Zeit verstanden, dass ich aus der Zukunft war und diese Techniken von ihm gelernt habe. Ich hab ihn in der Vergangenheit mit Techniken geschlagen, die er niemandem gelehrt hat. Aber in seiner Zukunft hat er es getan, weil er mich – “

   „Ja. Ich weiß, worauf du hinaus willst.“, seufzte Kafei. „Und du hast Recht. Das ergibt Sinn. Schau mal. Sein Schwert. Eines der Heiligen Schwerter. Dieser sogenannte Wächter muss einer deiner Vorgänger gewesen sein.“

   „Das Schwert – ich hab nie wirklich darauf geachtet, weil ich zu sehr damit beschäftigt war, zu kämpfen. Bleibt nur die Frage – nein. Wir sind füreinander bestimmt, oder? Ich meine – ich kann unmöglich die Vergangenheit verändert haben. So weit vor meiner Geburt. Oder doch?“

   „Tut mir leid. Solche Überlegungen hab ich längst aufgegeben. Du landest irgendwann immer an dem Punkt, wo du dir die Frage stellst, ob du auch nur irgendwas von dem was du tust, bestimmen kannst, oder ob nicht auch allein der Gedanke daran schon vorherbestimmt ist.“

   „Hm.“

   „Es ist nach drei Uhr.“, raunte Anju. „Hört auf, so tiefsinnig zu denken.“

   „Zelda hat mir gesagt, dass die Zitadelle der Zeit nicht immer das Tor zum Heiligen Reich war. Bevor die Heiligen Steine geschaffen wurden, konnte man nur mit einem der Heiligen Schwerter den Zeitschrein betreten. Dort war angeblich eine sehr mächtige Waffe eingeschlossen. Das war sicher der Zeitenstab. Und später eben der Kopierstab.“

   „Und die Heiligen Steine beinhalteten einen geringen Teil der Kraft der drei Göttinnen.“, fügte Kafei hinzu.

   „Ja. Mit ihnen und einem der Heiligen Schwerter konnte man ein Portal ins Heilige Reich erschaffen. Bevor ich Termina gerettet hab, hab ich Zelda den Kokiri-Smaragd erneut gebracht. Sie war etwas geschockt, konnte sich aber auch an alles erinnern. Ich wollte, dass wir den Lauf der Dinge ändern. Sie hat gemeint, das wäre schon alleine dadurch passiert, dass wir wussten, was los war. Aber dann hat sie ihn dennoch mit Impa vernichtet und mir aufgetragen, ihr die beiden anderen Heiligen Steine zu bringen, damit sie sie ebenfalls vernichten konnte. Sie hat auch das Podest zerstören lassen, auf das man sie legen musste und die alten Wächter erweckt, um den Eingang zum Schrein zu bewachen. Natürlich – es war alles schon so durcheinander gebracht und jetzt eben der Schrein durch das Erdbeben zerstört. Deshalb bin ich vermutlich an einen Zeitpunkt geschickt worden, bevor die Heiligen Steine existiert haben. Siehst du? Wenn das Erdbeben nicht gewesen wäre, hätte ich nicht in die Vergangenheit reisen – warte – weißt du, was ich denke? Ich musste den Stab in der Vergangenheit stehlen, damit ihn niemand falsches in die Hände bekommen würde. Deshalb war auch das Masterschwert wieder im Sockel, obwohl Zelda ja gemeint hat, – “

   „Eines der Heiligen Schwerter. Ja.“, nickte Kafei. „Nur du kannst dieses Schwert führen. Logisch. Vollkommen logisch. Damit ja du den Stab bekommst. Wenn ich das so weiterdenke, bist du mit diesem Schwert echt verdammt mächtig oder wir werden tatsächlich nur verarscht und uns ein freier Wille vorgetäuscht. Und das was ich jetzt gesagt hab, war auch schon vorherbestimmt.“

   „Bitte.“, flehte Anju und legte sich wieder hin.

   „Eine Sache noch.“, drängte Kafei. „Eine kumulanische Formel? Hast du das Buch noch?“

   „Ja. Jargo hat es mir zurückgegeben.“, auch dieses zog er aus seiner Mütze.

   „Hm.“, überlegte Kafei, als er es durchblätterte. „Hm.“, er wurde zunehmend amüsierter. „Ja. Kumulanisch – von wegen. War doch gleich klar, dass er da was falsch verstanden hat. Ich kann zwar so gut wie die Hälfte von dem hier nicht entziffern, aber das was ich lesen kann, ist eindeutig Shiekjiarnjinjú. Das muss eine uralte Form unserer Sprache sein. Einleuchtend, wenn man bedenkt, wie alt dieser Stab ist. Ach!“, er war auf die große, verblasst färbige Zeichnung auf der ersten Seite gestoßen. „Sehen sie so aus?“

   „Ja.“, bestätigte Link. „Weißt du jetzt, warum es mich wundert, dass sie zu solcher Technik fähig sind? Sie reichen mir bis zu den Knien.“

   „Whow! Ja – das ist erstaunlich. Moment mal! Aber solche Augen haben sie nicht, oder?“, kicherte er, da beide Augen des frontal dargestellten, vogelähnlichen Wesens durch das Auge der Shiekah ersetzt waren.

   „Nein.“, lachte Link verschmitzt. „Verdammt. Wieso ist mir das nicht früher aufgefallen? Und warum hat Jargo das eigentlich nicht bemerkt? Das müsste doch sofort bei ihm Alarm geschlagen haben.“

   „Könntet ihr das bitte bei Tageslicht weiterbesprechen?“, murrte Anju in die Decke hinein.

   „Ja, ja.“, raunte Kafei zurück und Link steckte Stab und Buch wieder in die Mütze.

   „Tz.“

   „Was.“

 

 

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